Wie hart trifft die Corona-Krise Europas Luftfahrt?
Dass der gesamte Luftfahrtsektor von der Corona-Krise arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist seit dem Frühling klar. Die europäische Koordinationsstelle für Luftverkehrskontrolle Eurocontrol, hat den Trend in einem neuen Bericht nun in konkrete Zahlen gegossen und gibt eine Prognose zur Entwicklung 2021 und darüber hinaus.
Zurück in die 80er-Jahre
Der Flugverkehr über Europa ist gegenüber 2019 um 55 Prozent geschrumpft. Während im Vorjahr 11,1 Millionen Flüge über dem Kontinent gezählt wurden, waren es 2020 nur 5 Millionen. Auf diesem Niveau war der Flugverkehr zuletzt Mitte der 1980er-Jahre.
Der Tiefststand wurde im Frühling erreicht. Während des ersten Lockdowns fanden täglich 2.099 Flüge statt, ein Rückgang um 92,8 Prozent gegenüber 2019. Im Sommer gab es wieder mehr Flüge (Rückgang um 51 Prozent), während es im Herbst und Winter erneut einen stärkeren Rückgang gab (minus 73,1 Prozent).
1,7 Milliarden Fluggäste weniger
Auf Fluglinien, Flughäfen und Flugnavigationsdienstleister (ANSP - Flugverkehrsmanagement, Wetterdienste, Kommunikationsdienstleister etc.) wirkte sich die Krise finanziell katastrophal aus. Die Gesamtverluste werden von Eurocontrol auf 56,2 Milliarden Euro geschätzt. Die Fluglinien hatten 1,7 Milliarden Passagiere weniger als 2019. Etliche Airlines strichen Flugverbindungen, reduzierten ihre Flotten und hatten zudem mit geringer Sitzplatzauslastung zu kämpfen.
Größte Verluste bei Billig-Airlines
Unter den Top 10 der europäischen Fluglinien kam es deshalb zu einigen Verschiebungen. Ryanair behauptete seine Spitzenposition. Statt 2.323 täglichen Flügen führte die Fluglinie allerdings im Durchschnitt nur 951 durch, ein Rückgang um 59 Prozent. Noch stärker war der Rückgang bei easyJet, das Platz zwei an Turkish Airlines abgeben musste. Die Lufthansa-Tochter Eurowings flog wegen massiver Kürzungen aus den Top 10, genauso wie die insolvente Linie Norwegian Air Shuttle.
Billig-Airlines (minus 63 Prozent) und traditionelle Fluglinien (minus 60 Prozent) hatten insgesamt mit den größten Rückgängen zu kämpfen. Business-Fluglinien traf es mit minus 25 Prozent weniger hart. Frachtfluglinien hatten nur minus 1 Prozent zu verzeichnen, ihr Marktanteil am europäischen Luftfahrtmarkt stieg von 3 auf 6 Prozent. Der Anstieg der Transporte von medizinischer Ausrüstung machte es möglich.
Flughäfen tragen große Last
Der Rückgang des Flugverkehrs trifft Flughäfen besonders hart. Sie haben mit 33,6 Milliarden Euro den größten Verlust zu schultern. Flughäfen mit vielen Inlandsflügen haben noch die geringsten Verluste zu beklagen, weshalb etwa Istanbul Sabiha Gökcen und Oslo Gardermoen in die Top 10 der europäischen Flughäfen - gemessen nach Flugbewegungen (Ankünfte und Abflüge) pro Tag - aufgestiegen sind.
Am Jahresende sind 51 Prozent der europäischen Flugzeuge "grounded", sind also nicht im Einsatz und verbleiben am Boden. 191.000 Arbeitsplätze in der Luftfahrtindustrie wurden gestrichen.
Ein Segen für die Umwelt
Für die Umwelt und das Klima war der Rückgang ein Segen. Zwischen Jänner und November 2020 erzeugte die Luftfahrt in Europa um 56,7 Prozent weniger Kohlendioxid-Emissionen als im selben Zeitraum des Vorjahres. Der Flugverkehr ging in diesem Zeitraum um 54 Prozent zurück. Die zusätzlichen CO2-Einsparungen waren deshalb möglich, weil durch den geringen Flugverkehr bestimmte Streckenbegrenzungen aufgehoben wurden. Das ermöglichte effizientere Flugrouten.
Langsame Erholung
2021 soll sich der (wirtschaftlich) negative Trend in der europäischen Luftfahrt fortsetzen, prognostiziert Eurocontrol. Vor allem in den ersten Monaten des Jahres werde der Flugverkehr auf einem Niveau 50 bis 60 Prozent unter jenem von 2019 verbleiben. Dann soll es jedoch wieder bergauf gehen.
Wie schnell, das hängt ganz von der Verbreitung der Covid-19-Impfungen ab. Drei Szenarien werden dabei angenommen. Szenario 1: Die Impfung ist für die meisten Flugreisenden bis Sommer 2021 verfügbar. Szenario 2: Es dauert bis Sommer 2022. Szenario 3: Die Impfung ist ineffizient, die Pandemie geht weiter.
Bei Szenario 1 sollte der Flugverkehr bis 2024 wieder das Niveau von 2019 erreichen, bei Szenario 2 dauert es bis 2026, bei Szenario 3 länger als 2029. Derzeit sehe es ganz so aus, als würde der Pfad von Szenario 2 verfolgt werden.
Unterstützung mit Auflagen
Im Jahr 2021 soll es in jedem Fall etwas bergauf gehen mit der europäischen Luftfahrt, dennoch werden einige Unternehmen auf der Strecke bleiben, meint Eurocontrol. Bisher habe es bereits staatliche Unterstützung für diverse Fluglinien gegeben. Unterstützungen sollten allerdings auf Flughäfen und die gesamte Industrie ausgeweitet werden, um weitere Pleiten zu verhindern.
Durch staatliche Intervention ergebe sich die Chance auf eine verstärkte Dekarbonisierung der Industrie, die genutzt werden sollte. Sämtliche Akteure der Luftfahrtbranche sollten die Chance erkennen, ihr Geschäft klimaverträglicher zu gestalten und nicht einfach den Status quo wiederherzustellen.
Mehr Effizienz
Als eine der Maßnahmen, um das Motto "Build Back Better" umzusetzen, schlägt Eurocontrol die Verbreitung nachhaltiger Flugzeugtreibstoffe vor. Um diese zu optimieren, seien mehr Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung notwendig.
Schlussendlich gelte es auch, den lange bestehenden Plan eines "Single European Sky" umzusetzen. Der europäische Luftraum soll dabei einheitlich geregelt und überwacht werden. Nur dadurch könnten Kosten gesenkt und Kapazitäten erhöht werden.