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Burewestnik: Russlands nukleare Superwaffe rückt näher

Russland arbeitet an einem neuen Marschflugkörper: Burewestnik, zu Deutsch: Sturmvogel. In der russischen Armee hat er die Bezeichnung 9M730. Die NATO hat ihm den Namen SSC-X-9 Skyfall gegeben.

Die Rakete soll nicht nur einen atomaren Sprengkopf, sondern auch atomaren Antrieb haben. Das könnte sie zu eine der gefährlichsten strategischen Waffen der Welt machen.

Strahlung deutet auf aktuelle Tests hin

Jetzt gibt es Hinweise darauf, dass Russland Burewestnik kürzlich getestet hat. Die norwegische Strahlenschutzbehörde hat an der Grenze zu Russland erhöhte Werte Caesium-137 gemessen. Diese könnten durch den Atomantrieb der Rakete freigesetzt worden sein.

Das Isotop kommt in der Natur nicht vor. Es entsteht als Nebenprodukt in Atomreaktoren und wird bei der Explosion von Atomwaffen freigesetzt. Erstmals wurde die Abgabe von Caesium-137 an die Umwelt beim US-Atombombentest Trinity beobachtet, der am 16. Juli 1945 als Teil des Manhattan-Projekts stattgefunden hat.

Nachdem die USA Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben, wurde Caesium-137 in Bodenproben gefunden. Die Menge wurde genutzt, um die radioaktive Reststrahlung an den Orten zu bestimmen. Nach der Kernschmelze von Tschernobyl ging Fallout über Europa nieder, weshalb noch heute Caesium-137 in Pilzen und und Wildtieren nachgewiesen werden kann, die diese Pilze fressen.

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Dass dieser erhöhte Caesium-137-Wert von einem Atomunglück in Russland stammt, sei laut Experten nahezu ausgeschlossen. Selbst wenn Russland das erfolgreich geheimgehalten hätte, würden andere Messinstrumente und Satellitendaten anschlagen. Ähnliches gilt für einen Atombomben-Test. Diese sind heutzutage kaum zu verheimlichen. Das letzte Mal hat Russland im Jahr 1990 solche Tests durchgeführt.

Das lässt dann noch 2 plausible Gründe zu: Möglicherweise ist Radioaktivität beim Befüllen eines Schiffsreaktors ausgetreten, etwa für ein Atom-U-Boot oder einen der russischen Eisbrecher mit Nuklearantrieb. Möglicher Grund Nummer 2: Burewestnik.

Test auf Insel Nowaja Semlja

Das Caesium-137 könnte vom Atomwaffen-Testgelände Pankowo stammen. Dieses befindet sich auf der Insel Nowaja Semlja, die zwischen der Barentsee und Karasee liegt. Sie ist etwa 800 Kilometer von Norwegen entfernt. Erst kürzlich hatte die russische Armee erklärt, dass man jederzeit bereit sei, in Pankowo wieder Atombomben-Tests aufzunehmen.

Zwar hat Russland seit 1990 keine Atombomben mehr gezündet, bei Pankowo wurden aber weiterhin Waffen getestet – wie eben Burewestnik. Offiziell hat das Russland zwar nicht gesagt, aber es gibt Hinweise.

So gab es Warnungen für den Luftraum über Nowaja Semlja im Jahr 2023, in einem Zeitraum, kurz bevor Putin einen erfolgreichen Test von Burewestnik verkündet hat. Davor haben Satellitenbilder militärisches Equipment auf der Insel gezeigt, die auf einen Raketentest hindeuteten.

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Ein Hinweis für einen kürzlich stattgefunden Test von Burewestnik sind nicht nur die jetzt erhöhten Caesium-137-Werte, sondern die Aktivität am Flughafen von Nowaja Semlja.

Dort waren in den vergangenen Wochen 2 Flugzeuge des Typs Il-76 der russischen Atomenergiebehörde Rosatom zu sehen. Die Transportmaschinen werden als fliegende Labore genutzt und sollen schon frühere Testflüge von Burewestnik begleitet haben.

Schlechte Bilanz für den Sturmvogel

Burewestnik scheint schon an mehreren Orten in Russland getestet worden zu sein. Dies geht nicht nur aus westlichen Geheimdienstberichten hervor, sondern auch aus Zwischenfällen, die auf fehlgeschlagene Tests zurückgeführt werden könnten.

So wurde südlich vom Ural 2017 das radioaktive Element Ruthenium freigesetzt, was mit Burewestnik in Zusammenhang stehen soll. Am 8. August 2019 ereignete sich am Marinetestgelände Njonoksa eine Explosion, bei der Radioaktivität freigesetzt wurde und 7 Personen starben. Im November 2019 verlieh Putin den Verstorbenen posthum Ehrenmedaillen für ihre Arbeit an einer „unvergleichbaren Waffe, die Russlands Zukunft sichern wird“.

Westliche Geheimdienste davon aus, dass der Unfall nicht direkt bei einem Testflug stattgefunden hat, sondern nachdem eine Burewestnik geborgen wurde, die bei einem Testflug 2018 ins Meer gestürzt war. Laut ihnen sollen zwischen 2016 und Ende 2019 13 Testflüge stattgefunden haben, von denen lediglich 2 als Erfolg zu werten sind.

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Wunderwaffe mit „unendlich Reichweite“

Offizielle technische Angaben zu Burewestnik gibt es noch nicht. Aktuell gehen Experten davon aus, dass durch den Mikro-Atomreaktor Hitze erzeugt wird, die als Schub dient. Dazu wird Luft eingesaugt, diese durch den Reaktor erhitzt und im Triebwerk gebündelt ausgestoßen.

Der Antrieb soll eine „unendliche Reichweite“ ermöglichen, wie Russland sagt. So könne Burewestnik mehrmals die Erde umrunden oder tagelang in Bereitschaft Kreise ziehen (Loitering), bevor das Ziel angeflogen wird.

Internationale Experten gehen bei einem nuklearen Raketenantrieb von einer Reichweite von mindestens 25.000 Kilometer aus. Da die Erde einen Umfang von 40.000 Kilometer hat, könnte Burewestnik also jedes Ziel von jedem erdenklichen Abschusspunkt aus erreichen – ohne den direkten Weg nehmen zu müssen. Burewestnik könnte also in Russland starten und sein Ziel aus jeder Himmelsrichtung anfliegen oder taktisch ausgedrückt: Aus der Richtung bzw. mit der Route, wo die Luftabwehr bzw. Luftraumüberwachung des Feindes am schwächsten ist.

Reichweite einer Interkontinentalrakete, aber stealthy

Burewestnik soll die Reichweite eine Interkontinentalrakete (ICBM) mit den Vorteilen eines Marschflugkörpers vereinen. ICBMs sind sehr groß. Russlands neuestes Modell, die RS-28 Sarmat, ist 35 Meter hoch.

Das macht sie einfach zu orten, zudem starten sie aus unterirdischen Silos, deren Positionen großteils bekannt sind. Dadurch gibt es Frühwarnsysteme, die solch einen Start erkennen. So kann der Feind vor Eintreffen der Rakete ein Gegenschlag oder Abwehrmaßnahmen einleiten.

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ICBMs eignen sich also nicht für Überraschungsangriffe, punkten aber mit ihrer großen Reichweite. Dazu bringen sie die nuklearen Sprengköpfe in den Weltraum. Von dort aus werden sie von einer „Bus“ genannten Plattform Richtung Ziel zurück zur Erde geschickt.

Weil Burewestnik durch den Mikro-Atomreaktor reichlich Treibstoff hat, muss der Marschflugkörper nicht ins All, sondern kann wie ein moderner Marschflugkörper niedrig fliegen und selbstständig Ausweichmanöver einleiten, sollte er von Luftabwehr erfasst werden. Man kann davon ausgehen, dass das Gehäuse gestaltet wird, um Stealth-Eigenschaften aufzuweisen.

Sprengkraft könnte der von Kh-102 entsprechen

Offiziell gibt es noch keine Angabe, wie stark der Nuklearsprengkopf von Burewestnik sein wird. Der Marschflugkörper könnte auch nur einen konventionellen Sprengkopf zu nutzen. Durch den atomaren Treibstoff an Bord würde Burewestnik das Zielgebiet nach der Explosion trotzdem verstrahlen, ähnlich wie bei einer schmutzigen Bombe.

Praktisch gesehen macht es aber wenig Sinn, so eine teure „Wunderwaffe“, mit solchen vermeintlich überragenden Eigenschaften, mit regulären Sprengstoff zu bestücken, anstatt mit einem nuklearen Gefechtskopf. Burewestnik wird daher vermutlich darauf ausgelegt sein, einen Sprengkopf mit 250 Kilotonnen zu tragen, so wie die Kh-102. Dabei handelt es sich um die Nuklearvariante des russischen Stealth-Marschflugkörpers Kh-101, die bis zu 4.000 Kilometer Reichweite haben soll. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von etwa 13 Kilotonnen.

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Start von Boden aus

Auch zu den Maßen von Burewestnik gibt keine offiziellen Angaben. 2019 berichtete die russische Tageszeitung Nezavisimaya Gazeta, die Rakete ist beim Start 12 Meter lang und im Flug 9 Meter. Das passt zu Angaben von anderen Quellen, wonach der Marschflugkörper für den Start vom Boden aus einen regulären Raketenantrieb hat, der abgeworfen wird, bevor der Nuklearantrieb aktiviert wird.

Mit 12 Metern könnte Burewestnik von einem mobilen Startfahrzeug aus abgefeuert werden. Das dürfte Russland anstreben, denn 2019 wurde bei einer Rede Putins eine Animation zu Burewestnik gezeigt, bei der der Start von einer Lkw-Plattform aus zu sehen war.

Zum Vergleich: Die berüchtigte Scud-Rakete ist 11,25 Meter lang. Das Startfahrzeug für die Scuds ist ein MAZ-543.

Der 8x8-Lkw kommt in verschiedenen Varianten immer noch Einsatz, etwa auch beim BM-30 Smerch, dem russischen Gegenstück zum amerikanischen HIMARS.

Der MAZ kam in der Variante 547A zudem als Starter für die Atomrakete RSD-10 Pioneer zum Einsatz. Diese war 16,5 Meter lang. Es sollte also nicht besonders schwer sein für Russland, ein Startfahrzeug für Burewestnik zu bauen.

Start aus der Luft

Sollten sich die 9 Meter Länge ohne Raketenbooster bestätigen, wäre Burewestnik um gut 1,5 Meter länger als die Kh-101. Das könnte wiederum bedeuten, dass Burewestnik von jedem Flugzeug aus gestartet werden kann, das kompatibel mit der Kh-101 ist. Das sind die Bomber Tu-95MS und Tu-160.

Angeblich strebt Russland an, auch die MiG-31 kompatibel mit Burewestnik zu machen. Das ist zumindest plausibel. Mit der MiG-31K gibt es eine Variante, die ein Exemplar der Hyperschallrakete Kh-47M2 Kinzhal unter dem Rumpf tragen kann. Diese ist in etwa 7,2 Meter lang.

MiG-31K mit Kinzhal

Doch größer als gedacht?

2019 schrieb VPK-news allerdings, die Burewestnik sei 1,5- bis 2-mal größer als die Kh-101 und wiege ein Vielfaches. Zudem habe sie ihre Gleitflügel oben statt unten. All das mache sie für Luftstarts ungeeignet.

Womöglich hat VPK-news nicht realisiert, dass der Raketenbooster, der für den bodengestützten Start genutzt wird, nicht benötigt wird, wenn Burewestnik in der Luft gestartet wird. Dass die ausklappbaren Flügel oben sind, ist nicht zwangsläufig ein Ausschlusskriterium. So hat Russland etwa schon eine 3 Tonnen schwere Gleitbombe von einer Su-34 abgeworfen, bei der die Flügel ebenfalls oben sind. Die Bombe wurde kopfüber befestigt und hat sich nach dem Abwurf um 180 Grad gedreht.

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Anfang September hat Reuters berichtet, dass ein US-Forscher mittels Satellitenbilder eine Startanlage für Burewestnik gefunden hätte. Diese befindet sich 475 Kilometer nördlich von Moskau in Bau.

Dort sollen 9 „horizontale“ Startrampen gebaut werden, die durch hohe Wälle vor „Attacken“ geschützt werden. Der Forscher ist der Meinung, dass die Rampen nur für Burewestnik sein können, weil es das „einzige, stationäre Raketensystem ist, das Russland derzeit entwickelt.“

Allerdings hat Russland Burewestnik von Anfang an als Marschflugkörper für mobile Starter dargestellt. Woher der Forscher die Information bezieht, dass es ein stationäres System sei, ist nicht bekannt. Außerdem befinden sich die Rampen in der Nähe von 5 Bunkern, in denen Russland nukleare Sprengköpfe für ICBMs lagert. Üblicherweise sind die Startsilos für ICBMs weit entfernt von solchen Bunkern.

Ganz auszuschließen ist aber nicht, dass die Rampen mit Burewestnik zu tun haben. Möglicherweise wird eine Testanlage errichtet. Dass es sich aber dabei wirklich um eine Raketenbatterie handelt, bei der künftig Burewestnik-Marschflugkörper bereitstehen, ist unwahrscheinlich.

Russlands Wunderwaffen

Wann Russland die Entwicklung von Burewestnik abschließen oder die Waffe in Dienst stellen will, ist derzeit nicht bekannt. Zudem sind jegliche Angaben und Aussagen von russischer Seite dazu mit Vorsicht zu genießen. Burewestnik wird etwa als „unstoppbar“ bezeichnet, genauso wie zuvor die Hyperschallrakete Kh-47M2 Kinzhal. Diese konnte von der Ukraine mehrfach mit regulären Luftabwehrsystemen abgefangen werden.

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Ebenfalls als unbesiegbar feiert Russland den Hyperschall-Gleitflugkörper Awangard. Der soll einen nuklearen Sprengkopf mit einer Geschwindigkeit von bis zu Mach 27 (über 33.000 km/h) ins Ziel bringen. Angeblich stehen seit Anfang 2024 10 ICBMs bereit, die mit Awangard bestückt sind.

Der Weltuntergangs-Torpedo

Eine weitere atomare Wunderwaffe soll 2M39 Poseidon sein. Es ist quasi die Torpedo-Version von Burewestnik – eine Unterwasserdrohne mit Atomantrieb und Atomsprengkopf. Auch diese hat angeblich unendlich Reichweite. Der Atomsprengkopf soll eine Kraft bis zu 2 Megatonnen haben. Durch Stealth-Techniken soll Poseidon nur schwer mit Sonar aufzuspüren sein.

Im russischen Fernsehen wurde behauptet, Poseidon könne einen radioaktiven Tsunami auslösen, der Großbritannien versinken lässt. Forscher haben mehrfach erklärt, dass dies physikalisch nicht möglich ist. Der Tsunami von Japan im Jahr 2011 hatte eine Kraft, die 163.000-mal größer war als die AN602 Zar. Der Test dieser Atombombe war die stärkste jemals von Menschen verursachte Explosion.

Angeblich hat Russland 2023 mit der Herstellung von Poseidon angefangen. Die Waffe, die gerne als „Weltuntergangs-Torpedo“ bezeichnet wird, soll 2027 in Dienst gestellt werden. Ähnlich wie bei Burewestnik sind auch hier Experten der Meinung, dass Russland übertreibt, was die Fähigkeiten der Waffe angeht.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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