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“Tragbarer Iron Dome”: US Marines testen Gewehr, das von selbst zielt

Seit dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine ist klar: Drohnen sind fixer Bestandteil des Schlachtfelds. Das sind nicht nur große Aufklärungsdrohnen, sondern auch kleine handelsübliche Quadcopter, die für den Kampfeinsatz umgebaut werden.

Drohnen, die ein paar Hundert Euro kosten, werden mit Sprengsätzen zu Kamikazedrohnen umgebaut (FPV-Drohne), die moderne Kampfpanzer ausschalten können. Damit werden aber auch direkt Infanteristen attackiert.

Für die effektive Abwehr solcher Drohnen gibt es viele Ideen, aber kaum praktikable Lösungen. Hier setzt das US-Start-up Zeromark an.

Jetzt haben die US Marines das System bei einer Übung mit scharfer Munition getestet. Dazu wurde das M27, das eine Variante des H&K HK416 ist und zur Standardbewaffnung der Marines gehört, mit dem Zeromark Fire Control System (FCS) ausgerüstet.

Die 3rd Marine Division hat das Zeromark FCS in Hawaii getestet

Jammen ist nicht immer die beste Option

Viele Anti-Drohnen-Waffen für Soldat*innen sind Jammer. Sie blockieren das Signal der Drohne zur Steuerung, sodass diese abstürzt oder im Notfallmodus übergeht und landet. 

Wird der Jammer aber nicht mehr darauf gerichtet, kann die Verbindung wieder hergestellt werden, wodurch die Drohne erneut zur Bedrohung wird. Außerdem sind die Jammer oft groß und/oder schwer - die Soldaten müssen also zu normalen Ausrüstung und Bewaffnung noch zusätzlich einen Jammer mitschleppen.

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Das Zerstören von Drohnen mit herkömmlichen Schusswaffen ist herausfordernd. Die Drohnen können über 100 km/h schnell fliegen, sind relativ kleine Ziele und noch dazu ist die Distanz oftmals schwer einzuschätzen, was für den Vorhaltepunkt wichtig ist.

Schrotladungen, wie etwa beim Tontaubenschießen, erhöhen zwar die Trefferquote, haben aber eine geringe Reichweite. Das bringt wiederum die Soldaten in Gefahr: Ist die Drohne nur noch 10 bis 15 Meter entfernt, bleibt wenig Zeit zum Abschießen, bevor diese angreift.

Nachrüstkit besteht aus 3 Komponenten

Die Lösung von Zeromark ist ein Nachrüstkit für bestehende Sturmgewehre, die zur Standardausrüstung von Soldaten zählen. Das Kit besteht aus 3 Komponenten: Schulterstütze, Sensormodul und Vordergriff.

Die Schulterstütze ist die ungewöhnlichste Komponente des Kits. Sie hat einen Elektromotor eingebaut, der die Schulterkappe in der X- und Y-Achse bewegt. Der Vordergriff ist ebenfalls motorisiert und hat in etwa die Funktion eines Gimbals. Theoretisch geht es auch ohne den Vordergriff. Allerdings wäre es dann möglich, dass durch zu festes Halten bzw. Verkanten das Gewehr so in der Schulter eingespannt ist, dass der Motor in der Schulterstütze es nicht schnell genug bewegen kann.

Die Marines haben das FCS ohne den Vordergriff getestet. Stattdessen wurde das M27 auf einem Geländer aufgestützt. Dadurch wurde eine stabilere Schussposition erreicht, die aber wiederum nicht so fest ist, wie wenn das Zweibein des Gewehrs genutzt wird - was wiederum die Bewegungsfreiheit hätte einschränken können.

Der Test fand am 23. Oktober statt

Das Sensormodul wurde an der rechten Picatinnyschiene des Handschutzes montiert. Auf dem Foto ist gut zu erkennen, dass es deutlich größer als übliche Zielhilfen ist, wie etwa das Licht-Lasermodul AN/PEQ-16A, das am M27 des Marines oben am Handschutz montiert wurde.

Das Sensormodul erfasst optisch-elektronisch die Drohne. Das geschieht mittels Bilderkennung. Die Elektronik berechnet die Distanz zum Ziel und dessen Geschwindigkeit. Durch die eingespeicherten Ballistikdaten des Sturmgewehrs, wird auch die Flugbahn und -geschwindigkeit des Projektils miteinbezogen.

160 km/h schnelle Drohne auch für ungeübte Schütz*innen treffbar

Der Soldat muss die fliegende Drohne nur ungefähr anvisieren und abdrücken. Durch die Bewegung der Schulterstütze zielt das Gewehr im Grunde von allein auf die Drohne, um aus dem ungefähren anvisieren einen präzisen Treffer zu machen. Zeromark gibt ein Beispiel dafür: Eine Kleindrohne, die 160 km/h schnell fliegt, kann auf eine Entfernung von 180 Metern zu 98 Prozent mit dem ersten Schuss getroffen werden. Selbst wenig geübte Schützen sollen das schaffen.

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Laut Zeromark könne man sich das so vorstellen, dass man auf diese Distanz lediglich einen Kreis mit einem Durchmesser von etwa 10 Metern anvisieren muss – den Rest erledigt das Gewehr. Das Start-up bezeichnet sein System deshalb auch als „tragbarer Iron Dome“, in Anlehnung an das israelische Luftabwehrsystem, das automatisch Drohnen und Raketen abfängt.

Kein spezielles Visier nötig

Dieses ungefähre Anvisieren der Drohne erfolgt durch die Soldaten mit dem regulären Visier des Gewehrs. Dieses ist nicht mit dem Kit verbunden, da das Kit mit dem Sensormodul zielt. Um mit einer schnell fliegenden Drohne leichter mitschwenken zu können, wird ein Visier ohne Vergrößerung mit großem Sichtfeld empfohlen, wie etwa ein Rotpunktvisier. Im Falle der Erprobung der Marines wurde das Trijicon VCOG 1-8x28 Zielfernrohr genutzt, das bei der 1-fach Vergrößerung ähnlich wie ein Rotpunktvisier genutzt werden kann.

Vor einigen Monaten hatte hatte Zeromark auf einer Rüstungsmesse in den USA ein spezielles Visier auf einem ausgestellten Gewehr montiert, das wie eine Miniversion eines Flugabwehrvisiers für Maschinengewehre aussieht. Dies dürfte aber eher zu Illustrationszwecken gedacht gewesen sein. Durch die Größe und Form dieses Visiers würde es nämlich reguläre Visiere blockieren, was das Gewehr im Grunde zu einer Standalone-Drohnenabwehrwaffe macht.

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Zeromark betont aber, dass trotz des FCS die Sturmgewehre regulär genutzt werden können, wenn die Drohnen-Zielerfassung nicht aktiv ist. Wie die eingeschaltet wird, wurde bisher nicht im Detail gezeigt. Vermutlich wird es aber einen Druckknopf im Bereich des Vordergriffs geben, der das System einschaltet, bzw. am Handschutz, wenn der Vodergriff nicht genutzt wird.

Weitere Pläne für das System

Laut Zeromark kann das Sensormodul auch um eine Freund-Feind-Erkennung erweitert werden, sodass zB. eigene Drohnen nicht anvisiert werden. Zukünftig ist geplant, das System etwa mit Head-up Displays zu verbinden oder den Funk-Kopfhörern, um der Soldat*in Echtzeitinformationen anzuzeigen bzw. um akustisch Informationen zu liefern.

Derzeit ist das FCS nur für die Bekämpfung von Drohnen ausgelegt. Zeromark könnte sich aber vorstellen, das System zu adaptieren, um auch andere Ziele zu erkennen.

Laut dem Start-up ist das Nachrüstkit in seiner jetzigen Form noch nicht final, aber eben bereit für Tests. Man habe einige Stück nicht nur an die US Marines, sondern auch an andere Einsatzkräfte in den USA und in anderen Ländern geliefert.

Mit dem Feedback der Tests soll das System angepasst und bereit für die Serienproduktion gemacht werden. Wie der Test der Marines ausgegangen ist, also ob das System wie gewünscht funktioniert hat, ist bisher noch nicht bekannt.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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