Games

Cyberpunk 2077: Betonoase der völligen Freiheit

Der Hype ist groß um Cyberpunk 2077 und das wurde auch beim Community-Event im Wiener Gartenbaukino deutlich, das im Rahmen der Game City stattfand. Präsentiert wurde die Live-Demo von Leveldesigner Miles Tost. Auf der diesjährigen Gamescom traf die futurezone ihn und die Designerin Matha Jonkers zum Gespräch.  

Hauen, schießen und hacken

Basierend auf dem Tabletop-Rollenspiel von Mike Pondsmith möchte CD Project Red das Thema Cyberpunk neu interpretieren. Das betonen sie zumindest immer wieder. Kein Wunder, denn Kritik blieb nach Veröffentlichung des ersten Trailers nicht aus: Ist das überhaupt noch Cyberpunk? Bunt und sonnig statt düster und dystopisch und - zumindest augenscheinlich - werden weniger philosophische Fragen diskutiert und mehr gehauen und geschossen im GTA-Style.  

Inzwischen weiß man: Wer will, kann beim Spielen auf tödliche Gewalt vollständig verzichten und sich auf das Schleichen und Hacken konzentrieren. Anders als man es von Rollenspielen gewohnt ist, wird bei der Charaktererstellung nur noch eine weibliche oder männliche Körperform ausgewählt, und nicht mehr das Geschlecht. Dieser Umstand bekam in den sozialen Medien aber deutlich mehr Aufmerksamkeit, als notwendig gewesen wäre. Es ist ein guter Schritt, denn modifizierte Körper und Identität scheinen zentrale Bestandteile des Spiels zu sein. Das liefert saubere Rollenspiel-Action und der fantastische Grafik-Überzug täuscht darüber hinweg, dass hier nicht so viel Innovation drin steckt, wie angepriesen wird (muss aber auch nicht). 

Deutsche Stimmen überzeugen 

Die Demo wurde in der sehr gelungenen deutschen Sprachausgabe präsentiert. Während die männliche Stimme des Hauptcharakters V gut, aber recht unspektakulär ist, konnte besonders die weibliche Lokalisierung glänzen. Der Name der Newcomer-Sprecherin ist bisher noch unveröffentlicht, sie konnte V jedoch viel emotionale Tiefe, Profil und Persönlichkeit verleihen, die ihr männlicher Counterpart leider im gehörten Abschnitt vermissen ließ. Für die Rolle von Johnny Silverhand (Keanu Reeves) konnte Benjamin Völz gewonnen werden, der schon in Matrix und John Wick als Stimme von Reeves eingesetzt wurde.

Marthe Jonkers ist Senior Art Designerin bei CD Project Red.

Betonburgen

Der im Demovideo gezeigte Stadtteil des fiktiven Schauplatzes Night City heißt Pacifica. “Es ist ein geschichtsträchtiger Ort. Eigentlich sollte es ein Feriendomizil werden, aber dann sind die Investoren abgesprungen. Jetzt herrscht dort Armut und Gangs haben sich angesiedelt”, beschreibt die Art Designerin Marthe Jonkers im Gespräch mit futurezone. Sie arbeitete mit ihrem Team an der Gestaltung der Spielwelt, also der Architektur der Stadtteile. Die Kulisse ist schön, ich sehe mich bereits stundenlang auf ihren Straßen auf Entdeckungstour gehen. 

Optisch macht das District mit seinem postapokalyptischen Flair brennender Autowracks und halbfertigen Betonburgen einiges her. Es gibt viel zu entdecken, die Bilder des Verlassenen Domizils machen Lust, auf Entdeckungsreise zu gehen. Die Charaktere, die Pacifica mit Leben füllen, überzeugen aber nicht. Die Bevölkerungsgruppe, die sich in Pacifica ansiedelte, sind haitianische Flüchtlinge mit starkem Akzent, die Gegenspieler sind aufgepumpte Fleischberge, die gerne in einem Mistkübel mit der aufschrift "Trash" entsorgt werden. Das Publikum applaudiert, ich schäme mich. V tritt den Kontakt Placide, der mit seinen Dreadlocks ein Abziehbild davon ist, wie man sich seit Cool Runnings Menschen aus der Karibik vorstellt. Dass eine der Gangs dort “Voodoo Boys” heißt, hilft diesem Gesamtbild nicht zwingend.

Geschichte formt die Stadt 

Die Entwickler gaben der Stadt Night City eine fiktive Historie, die sich über den Zeitraum von 57 Jahren zwischen dem Tabletop und dem Videospiel erstrecken. Events in dieser Zeit prägten das Stadtbild und seine Bewohner und das soll man der Stadt auch ansehen, erklärt Jonkers. “Das ist keine Fantasiewelt mit Monstern, wie bei Witcher. Wir haben versucht, Night City realitätsnah zu gestalten, nur eben nicht in unserer Zeitlinie. Dafür haben wir vier unterschiedliche Artstile entwickelt, die sich überall in der Stadt und seinen Bewohnern widerspiegeln.” Auf vier Filmplakaten werden diese Konzepte präsentiert. Drei davon werden im Spiel für die Charakterauswahl genutzt, denn sie formen die Origin-Story der Spielfigur.

Form follows price

“Der Stil, den wir bei der Entwicklung von Pacifica verwendet haben, heißt Entropie. Er repräsentiert eine Zeit, in der Armut herrschte. Das spiegelt sich vor allem in den Materialien wieder: Sie sind billig und praktisch. Es gibt wenige Deko-Elemente und kaum Farben”, beschreibt die Designerin. Das Filmposter ist in braun gehalten, im Hintergrund sind kastenförmige Gebäude zu sehen, die eher dem  Motto "Form follows price" zuzuordnen sind. Im Vordergrund posiert Cyborg-Gwen-Stefani. Die abweisende Haltung gegenüber Technologie dieser Charaktere habe sich auf das fehlende Design ausgewirkt, was den Untertitel “Notwendigkeit vor Style” erklärt. Zusammen mit dem Designteam für Charaktere und Graffity wurde das entropische Pacifica von den Designern geformt. “Die Spieler sollen den Eindruck haben, dass die Stadt organisch gewachsen ist. Das gilt für die Districts selbst, aber auch für das gesamte Nightcity. Fließende Grenzen zwischen den Stadtteilen waren uns wichtig. Wenn man herumfährt, soll man Übergänge ganz natürlich wahrnehmen”, sagt Jonkers

Fließende Story-Übergänge

Das soll auch dazu beitragen, das Spiel nicht repetitiv werden zu lassen. “Wir haben aus dem Feedback zu The Witcher 3 unsere Schlüsse gezogen, was funktioniert und was nicht. Es gibt Street Stories, die man sich wie Kurzgeschichten aus Night City vorstellen kann, bei denen Spieler aus dem gesamten Arsenal an Möglichkeiten schöpfen können - also hacken, Ingenieurskunst, Nahkampf, schleichen, ballern und so weiter” beschreibt Leveldesigner Miles Tost das Design der Stadt gegenüber futurezone

Eine Erkenntnis war es, Story-Meilensteine gut in die offene Welt zu integrieren, ohne dass sich Spieler davon gehetzt fühlen. Bei Witcher 3 hatten Aktivitäten in der offenen Welt und die Dringlichkeit der Haupthandlung nicht richtig zusammengepasst. “Unser Ansatz ist es, die Nebenaktivitäten stärker an die Haupthandlung zu binden. Man sieht Reaktionen auf die Hauptquest in der Spielwelt in Form von Nachrichten. So ist die Haupthandlung ständig für Spieler präsent, aber sie fühlen sich nicht gezwungen, dieser nachzugehen.”

Miles Toast ist Leveldesigner bei CD Project Red.

In der Präsentation muss das Lager der Voodoo Boys infiltriert werden. Das geht leise und gewaltlos, indem man seine Hacker- und Nahkampffähigkeiten einsetzt. Oder mit Waffen, Fäusten und Gebrüll, wo übersteigert brutal die Körperteile fliegen. Beide Wege führen zum Ziel, Spieler bekommen absolute Freiheit bei ihren Handlungen. Obwohl das Spielerlebnis ein völlig anderes ist, wird das unterschiedliche Verhalten innerhalb der Spielwelt gerechtfertigt. Glaubwürdigkeit sei laut Tost ein besonders hohes Gut, da nur so eine Welt entstehen könne, auf die Spieler sich einlassen.

Internet war einmal

Glaubwürdig, schön und gut, aber cool soll es schon auch sein. Wie man das vereint, erklärt Tost am Beispiel des Hackens: "In Night City existiert kein zusammenhängendes Internet mehr. Zwar sind fast alle Objekte 'smart', man muss sich aber erst Zugang zum lokalen Netzwerk verschaffen, um sie zu hacken." Das geht im Spiel nur, indem man mit V dort einbricht und die Kontrolle übernimmt. Dann erst können Geräte und Implantate aus der Distanz manipuliert werden. Das reicht von der plötzlich viel zu schweren Hantel bis zum Mensch mit Roboterarm, der die Waffe gegen sich selbst richtet. 

Die Demo schloss mit einem kurzen Ausblick auf das Matrix-artige Netzwerk ab, durch das man sich bewegen kann. Wie soll es auch anders sein, ist V mit einem ganz besonderen Biochip gesegnet, der das Eintauchen in so ein Netzwerk nicht nur möglich macht, sondern ihn oder sie als "Auserwählte" wohl in Bereiche vordringen lässt, die bisher nur wenige betreten haben. Obwohl hier alle Klischees bedient werden, das Figuren-Design von Stereotypen geprägt ist, sieht das Spiel wirklich gut aus. Und zwar nicht nur, aber vor allem optisch. Die Technisierung wird authentisch in das Gameplay und die Anzeige integriert, es gibt keine Ladezeiten was die Immersion verstärkt und die Story macht tatsächlich Lust auf mehr. Ob das Spiel gegen seinen eigenen Hype besteht, wird sich zeigen.

No-Crunch-Politik

Die Demo lief überraschend flüssig, ohne schwammige Texturen oder Framerateeinbrüche. Das scheint zumindest oberflächlich für eine stabile Endphase der Entwicklung zu sprechen. Cyberpunk 2077 befindet sich noch in der Entwicklung und soll am 16. April 2020 erscheinen. Nach heftiger Kritik an den Arbeitsmethoden für The Witcher 3 versprach Firmenchef Marcin Iwiński nach der diesjährigen E3, dass es in der Entwicklung von Cyberpunk nicht zu einer vergleichbaren Situation kommen würde.

Sollten Überstunden doch notwendig sein, wären sie nicht verpflichtend für die Mitarbeiter. Bei einem “Crunch”, der vor allem in den Wochen kurz vor Spieleveröffentlichungen passieren kann, kommt es mitunter zu sehr langen Arbeitstagen, 7-Tage-Woche mit wenigen Pausen und kaum Urlaubstagen. Bei The Witcher 3 wurde die Situation inzwischen vom Studio selbst als “unmenschlich” bezeichnet. Ob sich das Versprechen an die Mitarbeiter bewahrheitet, wird sich im April 2020 zeigen.

Klicken Sie hier für die Newsletteranmeldung

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Franziska Bechtold

frau_grete

Liebt virtuelle Spielewelten, Gadgets, Wissenschaft und den Weltraum. Solange sie nicht selbst ins Weltall kann, flüchtet sie eben in Science Fiction.

mehr lesen