Biowaffen und Kriegspropaganda
Es klang wie Science Fiction: Biowaffen, die ganz spezifisch auf bestimmte ethnische Gruppen wirken, sollen in der Ukraine mit US-Unterstützung entwickelt werden, behauptete Russlands Außenminister Lawrow. Solche Waffen könnten angeblich Russen treffen, Angehörige anderer Volksgruppen hingegen unversehrt lassen. Was in dieser Unterstellung mitschwingt, ist ein völlig unwissenschaftliches und ziemlich rassistisches Bild von Volkszugehörigkeit. Selbstverständlich gibt es keine Möglichkeit, Russen von Nichtrussen auf biologische Weise präzise voneinander zu unterscheiden. Daher kann man auch keine Biowaffe entwickeln, die spezifisch nur Russen tötet. Doch ganz grundsätzlich sind Sorgen, dass moderne gentechnische Methoden für neuartige Biowaffen eingesetzt werden könnten, leider mehr als berechtigt.
Gentechnisch veränderte Viren
Es ist eine traurige Konstante der Geschichte: Jede wissenschaftliche Entdeckung, die für die Produktion von Waffen genutzt werden kann, wird für die Produktion von Waffen genutzt. Menschen haben andere Menschen mit Feuer getötet, mit Schießpulver und mit Giftgas. 1938 gelang die erste Kernspaltung, bereits sechs Jahre später wurden die ersten Kernwaffen abgeworfen. Die Mikrobiologie, die in den letzten Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht hat, ist da keine Ausnahme.
Krankheitserreger genetisch zu verändern ist heute kein Kunststück mehr. Nach Belieben kann man die Erbinformation von Viren anpassen, man kann sie dadurch gefährlicher oder ansteckender machen – man spricht von „Gain of Function-Forschung“. Sie kann dazu dienen, rechtzeitig gegen neuartige Viren gerüstet zu sein. Sie kann aber natürlich auch für militärische Zwecke missbraucht werden.
Es stimmt tatsächlich, dass seit längerer Zeit auch über Biowaffen nachgedacht wird, die unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich treffen. Man könnte etwa Viren herstellen, die auf ganz bestimmte DNA-Marker reagieren, die in bestimmten Völkern häufiger vorkommen als in anderen. In Russland macht man sich darüber schon seit längerer Zeit Sorgen: Schon im Jahr 2007 wurde der Export russischer Bioproben verboten, angeblich aus Angst, der Westen könnte auf Basis ihrer DNA antirussische Biowaffen herstellen.
Dass Russland nun aber gerade der Ukraine solche Pläne unterstellt, hat eine tragische Ironie – schließlich hatte man den Angriff auf die Ukraine ja damit begründet, dass es sich bei den Ukrainern gar nicht um ein eigenes Volk handle, sondern dass sie eigentlich ja Russen seien. Also was jetzt?
Schlechte Wissenschaft, aber gute Propaganda
Klar ist: Die Grenzen zwischen Völkern sind niemals scharf, sondern höchstens statistisch festzustellen, wenn man eine große Zahl von Menschen untersucht. Es mag schon sein, dass man eine biologische Waffe herstellen könnte, die 70 Prozent der Gegner tötet, aber nur 30 Prozent der eigenen Leute. Aber wäre das ein Gewinn? Wer ist wahnsinnig genug, um das als eine nützliche Sache zu betrachten?
Was denn Einsatz solcher Waffen verhindern würde, wären wohl nicht moralische Skrupel der Befehlshaber, sondern ganz einfach die Tatsache, dass so eine Waffe kaum echte Vorteile hätte. Wenn man schon schreckliche Kriegsverbrechen mit biologischen Waffen begehen möchte, dann wäre ein extrem tödliches Virus, das schnell tötet und dann wieder verschwindet, bevor man dann selbst einmarschiert, wohl effektiver.
Man könnte Pocken zurückholen, die seit 1980 als ausgerottet gelten. Man könnte auch maßgeschneiderte Pflanzenkrankheiten verbreiten, die gezielt die Ernte des Feindes vernichten. Möglichkeiten gibt es viele. Wir sollten uns daher sicher mehr Gedanken über biologische Waffen machen als bisher. Sie sind eine sehr reale Bedrohung. Aber die russische Behauptung von Biowaffen, die gezielt und spezifisch Russen töten, ist wissenschaftlich unsinnig.
Sie ist aber wohl auch nicht als wissenschaftliche Aussage gedacht, sondern als Propaganda – und in diesem Sinn ist sie sehr wirkungsvoll: Einerseits stellt sie den Gegner als bösartig und bedrohlich dar, andererseits befeuert sie einen biologistischen Nationalismus: Wenn es Biowaffen gegen eine Nationalität geben kann, dann muss Nationalität unabdingbar in unseren Genen wohnen und ein unauslöschlicher Teil unserer Identität sein.
Das ist zwar längst widerlegt – wir Menschen haben uns immer durchgemischt, im Gegensatz zu vielen Tierarten haben wir keine genetisch klar unterscheidbaren Rassen ausgebildet – aber für Kriegstreiber und Rassisten liefert das neue Munition. Wir sollten vorsichtig sein.