Wie Mikroplastik in die Arktis und auf Alpengletscher kommt
In Zahnpasta sorgten winzige Plastikkügelchen lange Zeit dafür, dass sich selbst hartnäckige Rückstände von den Zähnen lösten. In der EU sind diese Kügelchen aus Kosmetika mittlerweile fast verschwunden, seit 2023 sind sie sogar verboten. Mikroplastik steckt allerdings nicht nur in Alltagsprodukten, sondern löst sich auch aus größerem Plastik: Wer einen Plastiksessel längere Zeit im Garten stehen lässt, kann beobachten, wie er durch Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung spröde wird – so wird z.B. Mikroplastik freigesetzt.
Über das Abwasser findet Mikroplastik einen Weg ins Meer. Allerdings ist es nicht nur dort, sondern überall – auch in der Atmosphäre und in der Luft, die wir atmen. Wie sich die Stoffe dort verhalten, gibt Forschenden bislang aber noch Rätsel auf.
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Arktis und Alpengletscher belastet
„Man findet die Partikel auch in den entferntesten Gegenden, in der Arktis oder auf den höchsten Alpengletschern. Es überrascht, dass selbst relativ große Teilchen letzten Endes überall hinkommen“, erklärt der Meteorologe Andreas Stohl. „Gerade bei solchen entlegenen Gebieten gibt es eigentlich keine andere Möglichkeit als die Luft als Transportmedium“, so Stohl.
An der Universität Wien forscht er gemeinsam mit Kolleg*innen dazu, wie Stoffe in der Atmosphäre transportiert werden. Derzeit weiß niemand wirklich, wie viel Mikroplastik in der Atmosphäre unterwegs ist und wie es sich mit Wind und Wetter global verteilt. Stohl und seine Kolleg*innen sahen daher eine besondere Dringlichkeit, dieser Art der Luftverschmutzung auf den Grund zu gehen – denn harmlos ist das Plastik nicht.
Chemische Substanzen werden freigesetzt
„Polymere sind das Gerüst, aber sehr oft sind Weichmacher zugesetzt oder Dinge, die das Plastik lichtbeständiger machen. Gerade wenn es um die Auswirkungen auf Gesundheit oder auf Ökosysteme geht, sind diese Zusatzstoffe vielleicht sogar relevanter“, meint Strohl. Tatsächlich handle es sich bei Mikroplastik eigentlich um Tausende verschiedene chemische Substanzen.
„Großes Plastik stört vielleicht mehr – ein herumliegender Plastikbecher sieht nicht besonders schön aus. Zunächst macht dieser aber länger relativ wenig. Zum Problem wird er, wenn er sich zersetzt. Dann werden Substanzen freigesetzt, die gesundheitsschädlich für Menschen, aber auch für Tiere und Pflanzen sind“, sagt Stohl. Über die Luft atmen wir diese Teilchen dann ein. Sind sie klein genug, können sie in unsere Blutbahn übergehen.
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Eine Beobachtung von Polarforschenden gab den Anstoß für das Forschungsprojekt, das die Universität Wien gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut in Göttingen durchführte. „Wenn man sich das in der Arktis gefundene Plastik ansieht, sieht man, dass viele dieser Teilchen längliche Fasern sind oder andere komplexe Formen haben“, erläutert Stohl. Runde Formen seien hingegen selten – eine erste Spur.
Plastik auf Reisen
Deshalb wollten die Forscher schauen, wie die Plastikform mit ihrer Verbreitung zusammenhängt. Die Forschenden beobachteten dafür das Absenkverhalten von 3D-gedruckten Plastikteilchen in einem speziellen Luftturm mit Kameras. So konnten sie zeigen, dass sich längliche Fasern 4-mal langsamer absenken als runde Teilchen.
Mit diesen Ergebnissen fütterten sie dann ein Computerprogramm, mit dem sich der Teilchentransport in der Atmosphäre simulieren lässt. Die Software, die ähnlich wie eine Wettervorhersage funktioniert, ist so zuverlässig, dass sie in Österreich sogar zur Krisenvorsorge verwendet wird, etwa im Fall eines Reaktorunfalls.
„In der Simulation haben wir anhand virtueller Partikel gezeigt, dass sie mit Winden quasi durch die Atmosphäre getragen werden“, erklärt Stohl. Die Simulationen bestätigten die Arktis-Funde: faserförmige Teilchen kommen viel weiter als Kügelchen. „Das erklärt zumindest zu einem guten Teil, warum man diese langen Fasern überall auf der Welt findet“, meint Stohl.
Großer Aufholbedarf in der Forschung
Das Projekt klingt zunächst trivial, die Forschenden haben damit aber endlich tatsächlich einen Beweis geliefert, dass das Plastik tatsächlich mit der Luft kommt. Das Projekt zeigt, wie groß der wissenschaftliche Nachholbedarf hier ist. „Wir wollen auch auf ein Umweltproblem hinweisen und zu einem besseren Verständnis beitragen, was die Auswirkungen von Plastik sind“, erklärt Stohl.
Weitere Forschung soll mehr Klarheit schaffen, auch zu den Auswirkungen auf den menschlichen Körper. „Erst dann kann man sagen, ob das potenziell gesundheitsschädlich ist oder nicht. Wir atmen das Zeug ja auch ständig ein“, meint Stohl. Derzeit stecken die Messmethoden für die Luftbelastung mit Plastik noch in Kinderschuhen.