Die Archaeen wurden in vulkanischen Thermalquellen im Yellowstone Nationalpark (USA) gefunden. In Wien werden daraus smarte Verpfackungen für Medikamente.

Die Archaeen wurden in vulkanischen Thermalquellen im Yellowstone Nationalpark (USA) gefunden. In Wien werden daraus smarte Verpfackungen für Medikamente.

© Wikimedia Commons/Carsten Steger, CC BY-SA 4.0

Science

Wiener entwickeln Schluckimpfung mit Organismus aus Vulkanen

Archaeen sind eine der ursprünglichsten Lebensformen, die es auf der Erde gibt. David Wurm, CEO von NovoArc hat mit Julian Quehenberger und Oliver Spadiut aus ihnen eine Impfstoff-Form entwickelt, die man schlucken kann. Das ist nicht nur für Spritzenphobiker*innen interessant, sondern auch für ganze Weltregionen, wo Spritzen Mangelware sind. „Der Organismus, den wir nutzen, lebt eigentlich im Yellowstone Nationalpark (USA) in schwefelhaltigen, vulkanischen Quellen. Jemand hat dort eine Probe genommen und ihn entdeckt“, so Wurm.

Den Anfang nahm das Projekt in einem Labor an der TU Wien, wo mehrere Forscher nebeneinander an verschiedenen Projekten arbeiteten. „Julian Quehenberger machte ein Doktorat, wo es darum ging, Abfallströme aus der Papierindustrie zu verwerten. Diese sind extrem heiß und sauer“, erklärt Wurm – so wurde er auf die Mikroorganismen aufmerksam.

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Überlebt bei Extrembedingungen 

„Wir haben uns überlegt, dass der Organismus, um bei solchen extremen Bedingungen überleben zu können, sich auch irgendwie dagegen schützen können muss“, erklärt der Forscher. In seiner Zellmembran, der Schutzhaut, entdeckten sie dann spezielle Lipide. In der Natur schützen diese Fette die Archaeen. „Wir haben uns dann angesehen, wofür wir diesen Organismus sonst noch verwenden könnten“, erzählt Wurm. Nun umhüllen sie damit Medikamente: „Wir nehmen pharmazeutische Wirkstoffe, die wir von Pharma-Firmen bekommen und verpacken diese in den Lipiden.“ Dadurch werde der Wirkstoff bei der Lagerung vor Oxidation und Abbau geschützt, was eine Lagerung bei Raumtemperatur möglich mache. Aber auch an einem anderen Ort mit Extrembedingungen funktioniert der Schutz: im menschlichen Magen. Denn der Stoff schützt auch vor Säure und Enzymen, die normalerweise alles auflösen, was aufgenommen wird.

„Als Mini-Partikel wandert er durch den Magen. Dann bleibt er an der Darmschleimhaut kleben und gibt dort langsam den Wirkstoff ab“, erklärt Wurm. Ohne diesen Schutzmantel würde der Wirkstoff schon im Magen abgebaut und später ausgeschieden werden.

In der wissenschaftlichen Literatur fanden die österreichischen Forscher erste Machbarkeitsstudien. Richtig ausprobiert hatte die Idee in der Industrie allerdings noch niemand: „Da wir ein sehr großes Wissen im Bereich Bioprozess-Technik haben, waren wir die Ersten, die es geschafft haben, diesen Organismus, der normalerweise für Grundlagenforschung in kleinsten Spuren gezüchtet wurde, großtechnisch und im industriellen Maßstab zu züchten“, erklärt Wurm.

Julian Quehenberger, David Wurm und Oliver Spadiut haben aus Mikroorganismen eine Art Verpackung für Medikamente entwickelt, die die Magensäure überlebt.

Julian Quehenberger, David Wurm und Oliver Spadiut haben aus Mikroorganismen eine Art Verpackung für Medikamente entwickelt, die die Magensäure überlebt. 

Vulkanquellen im Labor

Ab diesem Punkt wurde das Projekt größer und die Forscher brauchten Unterstützung. „Wir möchten einen Produktionsprozess für diese Mikroorganismen entwickeln, sie züchten, die Lipide daraus extrahieren, aufreinigen und dann die Wirkstoffe darin verpacken“, erklärten die Forscher im Antrag für das Spin-off Fellowship (siehe Infobox). Mit dieser Idee konnten sie überzeugen.

„Wir versuchen, im Labor die Bedingungen in den vulkanischen Thermalquellen nachzustellen: Temperatur, Nährstoffe und Sauerstoff. Die Bedingungen müssen so sein, dass sich der Organismus wohlfühlt und vermehrt“, erklärt Wurm. In einem solchen Bioreaktor herrschen 80 bis 90 Grad. „Labore und Mitarbeiter kosten in unserer Branche sehr viel Geld“, erklärt Wurm. Im Jahr fällt so ein 6 bis 7-stelliger Betrag an. Das Spin-off Fellowship stattete sie dafür mit finanziellen Mitteln dafür aus.

Spin-off Fellowship

Aus Forscher*innen werden Start-up-Gründer*innen

In den USA ist es sehr häufig, dass Unternehmen an Universitäten gegründet werden. Ein berühmtes Beispiel ist Google (Alphabet). Auch in Österreich haben Forscher Ideen, aus denen Unternehmen werden können. Das geschieht oft aber nicht  – die Gründe dafür sind vielfältig. Initiativen wie das FFG Spin-off Fellowship unterstützen daher motivierte Forscher. 

Vorbild: ETH Zürich

„Das Programm haben wir uns von der ETH Zürich abgeschaut“, erklärt FFG-Geschäftsführerin Henrietta Egerth-Stadlhuber. Die Schweizer Eliteuni ist neben ihrer Spitzenforschung auch bekannt für ihre Spin-offs.  „Etwa 22 bis 25 Prozent der Start-ups sind akademische Spin-offs“, erklärt Egerth-Stadlhuber.  

Geld und Unterstützung

Aus 16 FFG-Fellows wurden bisher bereits erfolgreiche Unternehmen . „Wir sehen einen BIP-Zuwachs von bis zu sieben Euro pro investiertem Euro – die Innovationskraft wird dadurch generell gestärkt“, sagt Wissenschaftsminister Martin Polaschek. In Zukunft sollen sich Unis verstärkt um Spin-offs bemühen. Künftig soll es  hierzulande mehr Forscher geben, „die sich trauen, in die Selbstständigkeit zu gehen und ihre Ideen umsetzen. Denn sie sind auch Vorbilder für andere“, wie Polaschek meint.  Im Fellowship werden die Forscher*innen finanziell und mit Beratungsangeboten unterstützt. Denn Chemikalien im Reagenzglas zu mischen ist anders als einen Business-Plan zu schreiben oder einen Pitch vor Investor*innen abzuhalten.

 

Erste klinische Tests

Aber nicht nur das: Für 18 Monate waren die Forscher zudem von ihren universitären Verpflichtungen freigestellt. Außerdem erhielten sie zusätzlich Unterstützung in anderen Bereichen: etwa, wie sie ihre Ideen Investoren erklären – bzw. „pitchen“, wie das in der Start-up-Sprache heißt. Auch der fachliche Austausch mit der Pharmabranche wurde ihnen während dieser Zeit erleichtert.

Direkt nach Abschluss fanden die Forscher einen Investor und gründeten ihr Start-up NovoArc. Noch ist ihr Schluckimpfstoff nicht fertig. Mittlerweile hat das Start-up jedoch bereits einige Pharma-Kunden, mit denen sie Machbarkeitsstudien durchführen. Demnächst sollen erste klinische Studien mit Menschen stattfinden.

Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).

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Jana Unterrainer

Überall werden heute Daten verarbeitet, Sensoren gibt es sogar in Arktis und Tiefsee. Die Welt hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Das interessiert mich besonders, mit KI und Robotik steigt die Bedeutung weiter enorm.

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Jana Unterrainer

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