Science

Tech-Chef der ESA: „Ohne Weltraumkapazitäten kann Europa nicht souverän sein"

Der Weltraum gilt als neue Kampfzone der Supermächte, denn Militärs steuern ihre Drohnen und Raketen über Satelliten. Auch die Wirtschaft ist  vom Weltraum abhängig: Die globalen Finanzmärkte hängen genauso an zuverlässigen Signalen aus dem All, wie Autofahrer oder Handy-Nutzer, die mit GPS navigieren.

„Das All ist ein Ort, der viel näher ist als Sie vielleicht denken“, sagte Leopold Summerer vergangene Woche auf der violett beleuchteten Bühne bei den Technology Talks im Wiener Museumsquartier. Der Österreicher leitet die Technologieentwicklung bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA

Technology Talks

Veranstaltet wurden die Technology Talks Austria vom AIT Austrian Institute of Technology in enger Kooperation mit dem Bundesministerium für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI), dem Bundesministerium für Frauen, Wissenschaft und Forschung (BMFWF), dem Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus (BMWET) sowie der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und der Industriellenvereinigung (IV).

Im Gespräch mit der KURIER-futurezone entschuldigt er sich für die vielen Anglizismen – Interviews auf Deutsch sind für den studierten Physiker mittlerweile ungewohnt. Denn am ESA-Standort in Holland, wo er die meiste Zeit arbeitet, sprechen alle Englisch.

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Keine Spielwiese

Mit einer dringenden Botschaft wandte sich Summerer vergangene Woche an die heimische Tech-Elite: Wer sich für die Zukunft Europas interessiert, müsse nach oben blicken – und das, was im All passiert ernst nehmen. Neben verpassten wirtschaftlichen Chancen stünde nämlich auch etwas besonders Heikles am Spiel: die Sicherheit unseres Kontinents. 

Im Ukrainekrieg hätte man etwa gesehen, wozu die Abhängigkeit im All führen könne, als SpaceX plötzlich das Satelliten-Internet Starlink eingeschränkt hatte. „Wir können in Europa ohne Weltraumkapazitäten nicht souverän sein. Und wir können keine kompetitive Wirtschaft ohne den Weltraum haben", sagt Summerer.

Leopold Summerer auf der Bühne bei den Technology Talks in Wien. Bereits während des Studiums knüpfte der Physiker erste Kontakte zur ESA, jetzt leitet der gebürtige Österreicher die Technologieabteilung.

Rennen zum Mond

Beim neuen Space Race geht es nicht nur um Satelliten, die zur Erde funken, sondern auch um die Kontrolle über neue Gebiete und Ressourcen auf Mond und Mars. Beim Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den USA und China hinkt Europa teilweise hinterher. „Weltklasse sind wir in Earth Science und der Erdbeobachtung und wir haben das präziseste Satelliten-Navigationssystem“, sagt Summerer.  

Zurückgefallen sind wir beim wichtigen Bereich des Transports ins All: „Unsere Trägerraketen sind im Moment nicht so gut wie manche andere“, bedauert er. Während sich Europa hier bisher mit der Rolle des Junior-Partners der USA zufriedengab, funktioniere das nicht mehr so reibungslos wie früher.

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ESA

Mitglieder
Aktuell gehören der European Space Agency (ESA) 23 Mitgliedsstaaten an: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik und Ungarn.

Finanzierung
Die ESA bündelt die Zahlungen der Mitglieder. Die Weltraumagentur kann so Forschung, Programme und Projekte realisieren, die für die einzelnen Länder viel zu teuer wären.

260 Millionen Euro
hat Österreich in den vergangenen drei Jahren der ESA gezahlt. Im November soll eine Anhebung auf bis zu 320 Millionen Euro beschlossen werden, kündigte Innovationsminister Peter Hanke an. 

Private Raumfahrt

„Der Upstream-Sektor (Transportwesen mit Raketen, Anm.) ist in den vergangenen 4 bis 5 Jahren von ca. 40 auf 60 Milliarden Dollar gewachsen“, meint Summerer. Die meiste Innovation passiert hier mittlerweile in privaten Unternehmen wie SpaceX. Die Raumfahrtfirma von Elon Musk hat nicht nur Raketenstarts revolutioniert, sondern mit Starlink auch ein weltumspannendes Satelliteninternet-Service aufgebaut. 

Nicht alle profitieren von dem Trend gleichermaßen: „Ein Großteil dieses Wachstums findet auf abgeschotteten Märkten wie in Amerika, aber auch in China statt“, sagt Summerer. In den USA könnten Raumfahrtunternehmen etwa in größeren Mengen produzieren und hätten weniger Kosten als in Europa.

Kluge Köpfe in Europa

An Talenten mangelt es aber nicht: Das deutsche Start-up Isar Aerospace aus Deutschland testete etwa eine eigene Rakete. In Österreich gibt es einige erfolgreiche Zulieferer. „Ich sehe sehr innovative Firmen. In Wien gibt es ein paar Perlen: Enpulsion hat etwa früh auf elektrische Antriebe gesetzt. Mittlerweile sind sie die Einzigen, die das anbieten“, erklärt Summerer. Die Nachfrage sei groß.

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China und USA investieren massiv

Es bleibt die Finanzierungsfrage – denn die Raumfahrt verschlingt viel Steuergeld. „Im besten Fall brauchen wir überhaupt keine staatlichen Forschungsabteilungen mehr, sobald der private Weltraumsektor läuft“, sagt Summerer: „Wie im Automobil- oder Aeronautiksektor, wo die Industrie selbst genügend Profite macht, um in Forschung und Entwicklung zu investieren.“

Allerdings würden auch die USA und China derzeit extrem viel Steuergeld in die Raumfahrt-Forschung pumpen. Würde man den europäischen Raumfahrtfirmen Forschungsgelder streichen, wären sie doppelt benachteiligt. 

Die ESA kooperiert deshalb mit den Firmen und sieht sich als Vermittler für die europäische Weltraumwirtschaft: „Unsere Aufgabe ist es, die besten Ideen frühzeitig herauszufiltern und zu unterstützen“, meint Summerer. Allgemein sollten die Mitgliedsstaaten mehr auf bessere Bedingungen für europäische Raumfahrt-Start-ups setzen – im Sinne der europäischen Unabhängigkeit.

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Jana Unterrainer

Überall werden heute Daten verarbeitet, Sensoren gibt es sogar in Arktis und Tiefsee. Die Welt hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Das interessiert mich besonders, mit KI und Robotik steigt die Bedeutung weiter enorm.

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