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Hasspostings: Warum wir andere im Internet attackieren

„Mein Ziel ist es, in jeder Stadt Deutschlands zumindest einen Falschparker angezeigt zu haben“, sagte der selbst ernannte „Anzeigenhauptmeister“ Niclas Matthei (18) in einer Reportage von Spiegel TV. Das Aufspüren von Falschparkern ist ein Hobby, für das nicht alle Verständnis haben. Im Internet hagelte es Kommentare wie: „Durex hätte das verhindert“. Andere rufen zur Gewalt gegen Matthei auf: „Dem gehört mal richtig eine in die … geschlagen“; bei einer Zugfahrt wurde der Jugendliche sogar von Fremden attackiert.

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Online-Mob ist auch in Österreich aktiv

Ähnliche Hetzjagden wurden auch Österreich beobachtet, hierzulande richteten sie sich bisher gegen Erwachsene. Im Februar wurde etwa die österreichische Journalistin Alexandra Föderl-Schmid zur Zielscheibe. Als die Frau als vermisst galt, hinterließen ihr manche noch Kommentare wie „um diese Plagiatstussi ist es nicht schade“.

Digitale Hetzjagden mit Memes

Der Jugendliche Matthei sei über Nacht berühmt geworden, sagt Kevin Koban, der zu Hass im Netz forscht. Das sei eine Besonderheit. „Schnell wurde der Beitrag in kleine Schnipsel geschnitten und auf den sozialen Medien verbreitet, um Aufmerksamkeit zu generieren“, sagt der Kommunikationswissenschaftler. Memes seien dafür ein beliebtes Format: „Für den Fall, dass das kritisiert wird, kann man sagen: Okay, das ist ja bloß ein Witz.“

Mattheis Haltung polarisiert – viele haben eine andere Meinung als er und verschaffen sich Gehör. „Bei diesen Ansichten kann man schnell andocken und so sehr einfach noch mehr Leute mit ins Boot holen“, erklärt Koban. Rasch entsteht daraus eine Hasskampagne.

Laut Koban seien wichtige Beweggründe von Hassposter*innen der Wunsch nach Aufmerksamkeit für die eigene Person, das Bedürfnis zu einer Gruppe zu gehören und die Stärkung des eigenen Zugehörigkeitsgefühls.

Ein Beispiel für ein feindseeliges Meme, das sich gegen den jugen Mann richtet.

Jugendliche leben online - und mit Hasspostings

„Die Menschen sind in einer emotional stark aufgeladenen Situation.  Social Media eignet sich hervorragend dazu, um einen Teil dieser emotionalen Involviertheit gleich wieder loszuwerden. Ein abfälliger Kommentar ist schnell geschrieben und man kann damit seinen Unmut ausdrücken“, erklärt Ulrike Zartler. Die Jugendforscherin hat sich mit dem Thema Hass im Netz bei Jugendlichen intensiv auseinandergesetzt. Sie kommen wegen ihrer Online-Aktivität besonders häufig damit in Berührung. „Social Media bietet sehr einfache Möglichkeiten, um jemand anzugreifen. Und die werden auch genutzt“, sagt Zartler.

Opfer von Hass im Netz könnten grundsätzlich alle werden, „die nicht so sind, wie sich das die Personen vorstellen, die sie angreifen“, erklärt Zartler. Bei einer für Wien repräsentativen Studie haben sie festgestellt, dass praktisch alle befragten Jugendlichen schon einmal damit zu tun hatten. 2 Drittel waren selbst schon Opfer und 1 Drittel bereits Täter*in. Kommunikationsforscher*innen sprechen von einer „Fluidität der Rollen“ – Opfer werden schnell zu Tätern und umgekehrt.

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Die Soziologin Ulrike Zartl (Universität Wien) forscht mit ihrem Team, wie Jugendliche mit Hass im Netz umgehen. 

Veranstaltung

Eine neue Studie der Akademie der Wissenschaften sieht in den sozialen Medien eine Gefahr für die Demokratie. Hass und Herabwürdigung beherrschen zu oft den Ton der Auseinandersetzung. Was können Politik, Wissenschaft und Medien – und wir alle – dagegen tun?

Der KURIER lädt zum Gespräch am Mittwoch, 10. April 2024 um 18 Uhr im Raiffeisen Forum (Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Platz 1, 1020 Wien) 

Es diskutieren:

Karoline Edtstadler (Bundesministerium für EU und Verfassung)
Werner Kogler (Vizekanzler und Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport)
Matthias Karmasin (Direktor des CMC, Institute for comparative media and communication studies,  Sprecher der AG für die Studie Hass im Netz)
Thomas Schweda (ÖTV Geschäftsführer)

Moderation: 
Martina Salomon (KURIER-Herausgeberin)

Anmeldung erfoderlich unter kurier-events.at/hassimnetz

Opfer verlieren jegliche Kontrolle

Früher wurden Konflikte in beschränktem Kreis auf dem Schulhof ausgetragen. Im Internet lassen sich Inhalte nun in Windeseile tausendfach verbreiten. Koban meint, dass sich „natürliche Grenzen“ im Internet auflösen würden. „Bestimmte Personen mit ähnlichen Ansichten können sich viel einfacher vernetzen“, erklärt er. So entstehe ein großer Kontrollverlust, weil es theoretisch sehr viele Zuschauer gibt, erklärt Zartler. In den meisten Fällen würden sich Täter*in und Opfer allerdings auch im Offline-Leben kennen.

Zartler und ihr Team erforschen Hate Speech bei Jugendlichen: „Wir simulieren reale Situationen, z. B. mit Rollenspielen. Alle bekommen von uns ein vorbereitetes Handy, damit sie nicht ihre eigenen Social Media Accounts verwenden müssen“, erklärt sie. Dann spielen die Jugendlichen eine Rolle, die sie auf einem gezogenen Kärtchen finden: Täter*in, Opfer oder Zuschauer*in. Die Forscher*innen beobachten dann, wie sich die Jugendlichen verhalten.

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Persönlichkeitseigenschaften und Plattformen

Koban arbeitet beim Forschungsprojekt Digihate mit, das feindselige Online-Kommunikation in EU-Ländern untersucht.  Sie machen etwa Interviews und Umfragen.

Sie schauten z. B., ob Persönlichkeitseigenschaften aussagekräftig sind, ob jemand zum Hassposter wird. So haben sie herausgefunden, dass diese nicht so stark aussagekräftig sind, wenn es um aggressive Postings generell geht. Anders ist es bei Diskriminierung – hier spielen Persönlichkeitsmerkmale wie etwa Psychopathie neben eigenen Opfer-Erfahrungen sehr wohl eine ausschlaggebende Rolle.

Das Risiko für Hassaktionen gibt es generell auf allen Plattformen, wo Menschen zusammenkommen. Allerdings würden sich die Plattformen etwa durch ihre Moderationstechniken unterscheiden. Auch welche Inhalte die Algorithmen der Plattformen eher verbreiten, sei wesentlich.

Kevin Koban ist Kommunikationswissenschaftler an der Universität Wien. Er ist am Projekt Digihate beteiligt, das verschiedene Formen von feindseligem Online-Verhalten in den Blick nimmt. 

Was tun gegen Hass im Netz?

Wer Hass gegen andere im Internet beobachtet, etwa in Form von Kommentaren oder Bildern, kann etwas dagegen unternehmen.  Etwa durch das Blockieren von Personen, wenn man selbst betroffen ist. Die meisten Plattformen haben auch die Möglichkeit, auffällige Nutzer*innen zu melden. Geht das nicht oder ist der Verstoß vielleicht nicht ganz eindeutig, kann es den Opfern auch helfen, wenn jemand aktiv dagegen redet – man darf Hassposter*innen ruhig klarmachen, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung sind.  

Strafrechtliche Verfolgung

Eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit ist auch die gezielte Anzeige. Denn Hasspostings, Videos  oder Bilder können auch strafrechtlich relevant sein. In diesem Fall gilt es zunächst jedoch, Beweise zu sichern. Das macht man am besten in Form von Screenshots oder Videoaufnahmen, wenn es um Bewegtbilder geht. Damit geht man zur Polizei und erstattet Anzeige. Als Strafbestand kommen etwa Verhetzung, gefährliche Drohung, Beleidigung oder Cyber-Mobbing infrage.

Extremismus im Internet

Bei Hasspostings im Internet kommt man gelegentlich auch mit extremistischen Inhalten in Berührung. Hier kann man sich dann z. B. an die Beratungsstelle Extremismus wenden. Für nationalsozialistische Wiederbetätigung gibt es das Verbotsgesetz, nach dem man jemanden anzeigen kann.
Generell lohnt es sich bei Hass-Inhalten das gezielte Hinterfragen und Vergleichen mit anderen Quellen – denn sehr oft stecken sich Gerüchte und Lügen dahinter. 

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Jana Unterrainer

Überall werden heute Daten verarbeitet, Sensoren gibt es sogar in Arktis und Tiefsee. Die Welt hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Das interessiert mich besonders, mit KI und Robotik steigt die Bedeutung weiter enorm.

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