Gewessler: "Wer mit dem SUV durch die Stadt rasen will, muss zahlen"
Bis 2040 soll Österreich zu 100 Prozent klimaneutral sein. Mit Maßnahmen wie dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, dem Klimaticket oder dem Ausbau der Bahn will Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Die Grünen) den Weg zur Klimaneutralität gehen. Laut Expert*innen verfehlt Österreich aus jetziger Sicht seine Klimaziele. Der Verkehr gilt nach wie vor als großes Sorgenkind und auch beim Ausbau erneuerbarer Energien geht in Österreich zu wenig voran, so die Kritik.
Im futurezone-Interview erklärt Leonore Gewessler, was sie der drohenden Verfehlung der Klimaziele entgegensetzen will. Sie spricht über zukünftige Klimaschutzmaßnahmen, warum sie beim fehlenden Klimaschutzgesetz optimistisch bleibt und erklärt, warum SUVs in der Innenstadt teurer werden müssen.
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futurezone: Frau Ministerin, Ihr Engagement für Klimaschutz startete mit Aktivismus. Was würde Ihr damaliges Ich zur jetzigen Bilanz der Klimapolitik sagen?
Leonore Gewessler: Das würde sich nicht groß unterscheiden. Ohne Zweifel müssen wir mehr Klimaschutz betreiben. Deswegen haben wir in den letzten Jahrzehnten eine Aufholjagd gestartet und viele Klimaschutzmaßnahmen durchgesetzt. Wir haben in der Mobilität neue Weichen gestellt, das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz beschlossen und das Klimaticket eingeführt. Aber auch heute sitzt hier keine Klimaschutzministerin, die sagt, wir sind fertig. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen weiter ambitionierte Politik, damit wir die Klimaneutralität bis 2040 erreichen.
Laut momentanen Einschätzungen verfehlt Österreich seine Klimaziele. Woran liegt das?
Mit den Maßnahmen, die wir 2020 und 2021 gesetzt haben, sind wir bereits die Hälfte des Weges zum Ziel 2030 gegangen. Das zeigt der aktuelle Bericht des Umweltbundesamtes. Die Emissionen sind 2022 deutlich gesunken. Das, was jetzt noch auf den Weg kommt, fließt in die nächsten Zahlen ein. Das wird uns zeigen: Die Emissionen sinken weiter. Natürlich ist das noch nicht genug. Wir arbeiten im Ministerium jeden Tag an neuen Maßnahmen. Sei es das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das derzeit im Parlament diskutiert wird, oder die Beschleunigung des Bahnausbaus.
Forschende und Aktivist*innen sagen trotzdem: Das ist zu wenig, die Zeit rennt uns davon.
Auch mir kann es nicht schnell genug gehen. Aber in einer Demokratie braucht man für Maßnahmen Mehrheiten. Dafür kämpfen und arbeiten wir jeden Tag. Viele weitere Gesetze wie das Energieeffizienzgesetz oder das Erneuerbare-Gase-Gesetz sind im Parlament oder in der Begutachtung. Damit wir unser Ziel erreichen, müssen wir uns weiter anstrengen, da braucht es uns alle - alle Ministerien, alle Bundesländer, die Wirtschaft. Klimaneutralität bis 2040 ist kein Spaziergang, das kann man nur gemeinsam schaffen.
Bei einem Ihrer größten Versprechen, dem Klimaschutzgesetz, erreichen Sie derzeit keine Mehrheit. Denken Sie, das geht sich noch aus?
Jedes Gesetz, das wir bisher durchgebracht haben, war eine harte Diskussion. Da hat es immer Widerstand gegeben, denken wir nur an das Klimaticket. Da haben wir mit neun Bundesländern und allen Verkehrsverbünden verhandelt. Auch beim Klimaschutzgesetz ist das nicht anders, da gibt es Sorgen und Widerstände. Aber ich habe mich noch nie vom alten Denken beirren lassen. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir auch beim Klimaschutzgesetz zu einer Einigung kommen.
Ihr Koalitionspartner bleibt stur. Welche Abstriche sind Sie bereit, in Kauf zu nehmen?
Wenn ich mir in dieser Bundesregierung einen Ruf erarbeitet habe, gehört Hartnäckigkeit dazu. Könnte ich es alleine entscheiden, gäbe es das Gesetz schon längst. Das Wichtigste ist, dass das Klimaschutzgesetz das liefert, was man von ihm braucht: Einen gesetzlichen Rahmen, der z.B. die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern regelt. Auch die Einbindung der Zivilgesellschaft und Wissenschaft ist zentral. Wir haben schon viele Klimaschutzgesetze beschlossen - etwa das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das Klimaticket -, aber wir brauchen alle an Bord. Wenn wir in einzelnen Sektoren nicht auf dem Zielpfad sind, müssen wir gegensteuern. Das muss das neue Klimaschutzgesetz institutionell besser organisieren als das alte.
Das bedeutet, ein Klimaschutzgesetz ohne Verbindlichkeiten, wie es die ÖVP präferieren würde, wird es mit Ihnen nicht geben?
Jedes Gesetz ist automatisch verbindlich. Genauso wie die Straßenverkehrsordnung verbindliche Regeln für den Straßenverkehr festlegt, muss ein Klimaschutzgesetz einen Rahmen für Klimaschutz geben.
"Klimaschutz heißt vor allem, Dinge anders zu machen."
Ein Stimmungsbarometer der WU Wien zeigt, dass persönliche Einschränkungen für den Klimaschutz durchaus akzeptiert werden. Doch nur die Hälfte der Befragten will den eigenen Stromverbrauch reduzieren und ist zudem gegen ein Verbrenner-Aus. Ohne Verzicht werden wir die Klimaziele aber nicht erreichen, da sind sich Expert*innen einig. Warum wird das nicht ausreichend kommuniziert?
Die Frage ist, was kommunizieren wir? Klimaschutz heißt vor allem, Dinge anders zu machen. Wenn eine Stadt durch weniger Autos leiser wird, Fußgänger, Radfahrer und Öffis mehr Platz haben, ist das in Summe ein großer Gewinn an Lebensqualität. Dort, wo wir ein Auto brauchen, werden wir auf E-Mobilität umsteigen. Dann habe ich immer noch einen PKW, aber ohne stinkende Abgase. Darüber sollten wir sprechen. Das ist, was Klima-Glück im eigentlichen Sinn bedeutet.
Das ist sicher richtig, aber wurde das genug vermittelt?
Das ist eine beständige Aufgabe, deswegen wollen wir das stärker kommunizieren. Da spielen Medien auch eine wichtige Rolle. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, was die Lösungen sind, die wir haben uns wie wir eine gute und glückliche Zukunft schaffen.
Die Klimakrise ist auch eine Gerechtigkeitsfrage. Das reichste Prozent in Österreich verursacht jährlich so viele Emissionen wie eine Person des ärmsten Zehntels in 44 Jahren. Was wollen Sie dem entgegensetzen?
Dass Klimaschutz eine Frage der Gerechtigkeit ist, zeigt sich national und global. Die Länder, die die Auswirkungen der Klimakrise am stärksten spüren, haben am wenigsten dazu beigetragen. Das ist eine Ungerechtigkeit der Betroffenheit, aber auch des Verursachens. Dem entgegenzuwirken, ist Auftrag für alle politischen Bereiche, auch für die Klimapolitik. Um ein Beispiel zu nennen: Das Klimaticket ist ein großer Beitrag zu leistbarer Mobilität, um nur 3 Euro pro Tag kann man österreichweit mit fast allen Öffis fahren. Das senkt die Kosten.
Für Menschen mit niedrigem Einkommen ist das Klimaticket trotzdem oft zu teuer.
Wir haben die Mobilität damit deutlich günstiger gemacht. Sehen wir uns ein zweites Beispiel an: Bei einer Investition in ein neues Heizsystem bekommen die unteren 20 Prozent der Einkommenspyramide die Kosten dank einer neuen Förderung bis zu 100 Prozent erstattet. Das sind Maßnahmen, mit denen wir genau diese Frage der Gerechtigkeit in die Klimapolitik bringen wollen. Wir brauchen aber auch eine gute Sozialpolitik, Pensionspolitik und Gleichstellungspolitik, um soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Wir müssen diese Frage grundsätzlich angehen.
Wird die Ungleichheit damit beseitigt? Diejenigen, die am meisten Emissionen verursachen, werden dadurch nicht zur Verantwortung gezogen.
Wir haben verschiedene Möglichkeiten, wie wir das adressieren können. In der Mobilität können wir durch gute Regulierung auf Technologien setzen, die kein CO2 emittieren. Ein anderes Beispiel ist die ökosoziale Steuerreform mit dem CO2-Preis. CO2 bekommt einen Preis und als Ausgleich bekommt jede*r den Klimabonus. Denen, die wenig CO2 verbrauchen, bleibt davon was übrig. Andere zahlen drauf. Wer mit dem SUV durch die Innenstadt rasen will, muss dafür zahlen und das soll einen gerechten Preis haben.
Diejenigen, die mit dem SUV durch die Innenstadt fahren, können sich das vielleicht ohnehin leisten. Ist das genug Anreiz, damit auch Besserverdiener ihren Verbrauch runterschrauben?
Die Veränderung passiert in allen Bevölkerungsgruppen, sowohl was die technische Veränderung betrifft als auch in allen sozialen Gruppen.
Technologie ist ein gutes Stichwort. Sie haben eben die Förderungen für Strom- und Heizsysteme angesprochen, die online beantragt werden können. Hier kam in den vergangenen Wochen viel Kritik auf: Zu wenige Online-Slots, komplizierte Antragstellungen und ein Förderdschungel zwischen Bund und Ländern. Was raten Sie den Leuten, die sich schwertun?
In allen Bundesländern gibt es Energieberatungs-Institutionen, die bei solchen Problemen Hilfe anbieten. Wir haben zusätzlich für alle Bundesförderungen Hotlines und Webseiten eingerichtet, auch dort gibt es Informationen. Wir versuchen, das Prozedere so einfach wie möglich zu machen. Gemeinsam mit den Bundesländern wollen wir uns anschauen, wie wir uns besser abstimmen können. Wir wollen es den Menschen möglichst einfach machen, Fördergelder zu beantragen.
Die schleppende Digitalisierung ist in Österreich ein Dauerthema, auch bei Klimathemen ist diese Frage essenziell. Warum geht da nicht genug voran?
Wir haben einen Staatssekretär für Digitalisierung, der sich dieser Frage mit frischem Elan widmet. Digitalisierung wird unser Leben auch in Klimafragen einfacher machen, indem wir unmittelbar Daten zur Verfügung haben, mit denen wir noch besser modellieren und reagieren können. Aber wir müssen schauen, dass die Digitalisierung kein Treiber in Sachen Energieverbrauch wird, sondern dass wir so effizient wie möglich arbeiten. Jetzt geht es darum, Technologie und künstliche Intelligenz so zu optimieren, dass wir im Kampf gegen die Klimakrise vorankommen.
Welchen Stellenwert hat KI in der österreichischen Klimastrategie?
Vor 2 Jahren haben wir in der Bundesregierung unsere Strategie zu künstlicher Intelligenz veröffentlicht, Klimaschutz ist ein großer Teil davon. Wir wollen hier sehr gezielt Geld in die Hand nehmen, um Anwendungen zu entwickeln, die dem Klimaschutz dienen. Dafür haben wir vielfältige Möglichkeiten, von Optimierungen der Logistikketten bis hin zur präziseren Analyse von riesigen Datenmengen. Wir investieren alleine aus dem Klimaschutzministerium 65 Millionen Euro pro Jahr in die angewandte Forschung zu künstlicher Intelligenz. Es gibt eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten, die wir im Sinne der Lösung gesellschaftlicher Probleme voranbringen müssen.