Butch Wilmore und Suni Williams auf der ISS

Science

Wie lange kann ein Mensch im All bleiben, bis es gefährlich wird?

Die Astronautin Sunita „Suni“ Williams und der Astronaut Barry „Butch” Willmore sollen heute, Dienstag, nach 9 Monaten auf der Internationalen Raumstation (ISS) endlich auf die Erde zurückkehren. Ihre Mission, die im Juni 2024 startete, war ursprünglich auf 8 Tage ausgelegt. Wegen technischer Probleme am Boeing Starliner, der sie zurückbringen hätte sollen, mussten sie auf der ISS bleiben.

Den Rekord für den längsten ununterbrochenen Aufenthalt im Weltall hält der russische Kosmonaut Valeri Polyakov. Er blieb von Januar 1994 bis März 1995 insgesamt 437 Tage auf der russischen Raumstation Mir, die bis 2001 in Betrieb war. Zum Vergleich: Eine Reise zum Mars und zurück würde etwa 3 Jahre dauern, sagt die NASA. Doch zu viel Zeit im Weltraum kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen für den menschlichen Körper haben.

„Puffy Face-Bird Leg”-Phänomen

Schwerelosigkeit kann anfangs zu Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit führen. Diese Symptome verschwinden üblicherweise nach ein paar Tagen. Doch durch die fehlende Schwerkraft steigen Blut und andere Körperflüssigkeiten in den Oberkörper und bleiben dort. „Der Kopf fühlt sich so an, wie wenn man hier in der Schwerkraft der Erde etwa 1,5 Stunden kopfüber hängen würde“, beschreibt Ex-Astronaut Randy Bresnik das Gefühl.

Astronautinnen und Astronauten bekommen dadurch ein aufgedunsenes Gesicht und dünne Beine, auch „Puffy Face-Bird Leg“-Phänomen genannt. Geruchssinn und Hörvermögen werden in der Folge beeinträchtigt, verstärkter Druck auf die Augen kann Sehprobleme verursachen.

Fehlende Schwerkraft lässt Muskeln schwinden

Ohne Schwerkraft nimmt die Muskelmasse innerhalb von 2 Wochen bereits um 20 Prozent ab. Vor allem die Muskeln, die für unsere aufrechte Haltung sorgen – Rücken, Nacken, Beine – schwinden. Im Weltraum sinkt das Blutvolumen, das Herz muss dadurch weniger pumpen. Weil der Muskel schrumpft, wird das Herz „runder“ und schwächer.

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Besonders gute körperliche Fitness vor dem Start und tägliches Training auf der ISS kann dem Muskelschwund nur begrenzt entgegenwirken. Zurückkehrenden Astronautinnen und Astronauten wird nach der Landung üblicherweise aus der Kapsel geholfen, weil sie sich allein schwer fortbewegen können. Ein Viertel der Rückkehrerinnen und Rückkehrern kann in den ersten paar Stunden auf der Erde keine 10 Minuten am Stück stehen, wie diese Überblicksstudie betont.

Knochendichte leidet, Risiko für Bandscheibenvorfälle steigt

Genau wie die Muskelmasse nimmt auch die Knochenmasse im Weltraum ab. Nach 6 Monaten auf der ISS ist die Dichte der Knochen, die sonst das meiste Gewicht tragen – u.a. Lendenwirbel, Becken und Oberschenkel – um 8 bis 12 Prozent geringer als noch auf der Erde. Nach der Rückkehr kann es Jahre dauern, bis sich die Knochen wieder erholt haben.

Der Verlust an Knochendichte hat noch einen weiteren negativen Effekt: Das Kalzium aus den Knochen wird im Weltall durch den Urin ausgeschieden. Dabei steigt das Risiko von Nierensteinen

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Außerdem verlängert sich in der Schwerelosigkeit die Wirbelsäule. Ein Beispiel: Scott Parazynski, Arzt und ehemaliger Astronaut, „wuchs“ während eines Einsatzes um 6,35 Zentimeter. Diese Verlängerung der Wirbelsäule kann im Weltall zu Rückenschmerzen und zurück auf der Erde zu Bandscheibenvorfällen führen.

Kosmische Strahlung 

Auf der Erde schützt uns das Magnetfeld und die Atmosphäre vor kosmischer Strahlung. Das Magnetfeld reicht zwar bis in die Umlaufbahn der ISS. Dennoch sind Astronautinnen und Astronauten im All verstärkt Sonnenstrahlung und galaktischer, kosmischer Strahlung ausgesetzt, die man nur schwer abschirmen kann. Sie kann Zellen und Erbinformation schädigen.

Menschen, die auf der Erde erhöhter Strahlungsbelastung ausgesetzt waren, haben ein höheres Risiko für Krebs und Herzerkrankungen. Bei langfristigem Aufenthalt im Weltraum ist dieses Risiko noch höher. Hinzu kommen noch wenig erforschte Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem, mit Folgen für Kognition und Verhalten von Astronautinnen und Astronauten.

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Geschwächtes Immunsystem

Bevor Astronautinnen und Astronauten ihre Mission starten, verbringen sie üblicherweise ein paar Tage in Quarantäne. Das soll verhindern, dass ansteckende Krankheiten auf die ISS eingeschleppt werden. Die Besatzungen der Apollo-Missionen wurden nach ihrer Rückkehr noch 3 Wochen lang isoliert. Damals gab es Bedenken, dass sie gefährliche Mikroorganismen auf die Erde einschleppen und ein „Mond-Fieber“ auslösen könnten. Diese Bedenken sind mittlerweile ausgeräumt, und damaligen Maßnahmen hätten bei tatsächlicher Gefahr wohl auch kaum etwas gebracht, wie die New York Times berichtete.

Besonders nach langer Abwesenheit von der Erde steigt für Astronautinnen und Astronauten dennoch die Gefahr, sich nach der Rückkehr eine ansteckende Krankheit einzufangen. Die Zusammensetzung von Bakterien und Pilzen im Darm verändert sich stark, wie bei Scott Kelly nachgewiesen wurde. Er war Teil der NASA Twins Study, die den Gesundheitszustand seines Zwillingsbruders auf der Erde zum Vergleich untersuchte.

Nach einem Weltraumaufenthalt ist das Immunsystem durch Stress, gestörten Schlafrhythmus und kosmische Strahlung geschwächt. Das sorgt auch dafür, dass bestehende virale Infektionen, etwa Herpes, während oder nach dem Raumflug verstärkt ausbrechen, wie diese Studie zeigt.

Gefährliche Mikroben

Das Mikrobiom der ISS besteht vorrangig aus Pilzen und Bakterien der menschlichen Haut. Eine Studie der University of California in San Diego stellte kürzlich fest, dass es dort auf eine gewisse Art zu steril ist: Es gibt kaum „gute“ Mikroorganismen aus Boden oder Gewässern, denen positive Effekte auf das menschliche Immunsystem zugeschrieben werden.

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In der extremen Umgebung der Internationalen Raumstation können sich Keime aber auch auf ganz neue Art weiterentwickeln. Das Bakterium Enterobacter bugandensis zum Beispiel ist schon auf der Erde gegen viele Wirkstoffe resistent. Auf der ISS steigerte sich diese Antibiotikaresistenz laut einer Studie von 2024 noch weiter. Das Forscherteam folgerte daraus, dass Krankheitserreger genau beobachtet werden müssen, um Risiken für Astronautinnen und Astronauten zu senken.

Der Fokus auf Sauberkeit in der ISS hat auch mit Erfahrungen der Raumstation Mir zu tun. Dort gab es viele Stellen, die schlecht gereinigt und kaum belüftet werden konnten. In den 25 Jahren ihres Betriebs bildete sich ein hartnäckiger Biofilm aus Bakterien und Pilzen, wie die European Space Agency (ESA) zeigt. Die Mikroorganismen richteten großen Schaden an Kabeln und Oberflächen an und sorgten für üblen Geruch.

Auf der russischen Raumstation Mir breitete sich in den 1990er-Jahren ein hartnäckiger Biofilm aus Pilzen und Bakterien aus, der die Oberflächen angriff.

Psychische Belastung

Nicht zu unterschätzen ist die psychische Belastung in der Raumfahrt. Bei einer Forschungsmission ist wenig Spielraum für Fehler, und die Umgebung – extreme Temperaturen, kein natürlicher Tag-Nacht-Rhythmus, Hintergrundlärm – ist auf Dauer sehr anstrengend.

Auch der enge Kontakt mit der Crew auf engem Raum der ISS ist eine Herausforderung. Astronautinnen und Astronauten werden daher psychologisch betreut und kommunizieren regelmäßig mit Bezugspersonen auf der Erde.

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5 Jahre sollten möglich sein

Für Menschen im Weltraum gibt es also viele Gefahren: Muskelschwäche, Knochenschwund, kosmische Strahlung, ein geschwächtes Immunsystem und gleichzeitig potenziell gefährliche Mikroben, nicht zu vergessen psychische Belastungen. 

Was heißt das alles für die Ausgangsfrage? Wie lange kann ein Mensch im All bleiben, bevor es gefährlich wird? Kurz gesagt: Es kommt darauf an – kaum ein Experte lässt sich bei dieser Frage auf eine konkrete Antwort festnageln. 

Mark Shelhamer, Medizinprofessor an der Johns Hopkins Universität (USA) und ehemaliger NASA-Forscher, erklärte gegenüber Gizmodo: „Es hängt davon ab, was von den Menschen im All erwartet wird, welche Maßnahmen ihnen zur Verfügung stehen und ob sie zur Erde zurückkehren.“ Wenn es ums bloße Überleben gehe, sollten 5 Jahre möglich sein. Allerdings würde die körperliche Verfassung graduell nachlassen, sinnvolle Arbeit immer schwieriger und eine Rückkehr in die Schwerkraft der Erde zunehmend unmöglich werden.

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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