Sea Baby mit Grad-System beim Test an Land

Sea Baby mit Grad-System beim Test an Land

© suspilne.media

Militärtechnik

Neues Drohnenboot der Ukraine schießt 6 Raketen gleichzeitig

Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Ukraine Drohnenboote mit Raketen ausstattet. Auf Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet war eine schwimmende Drohne zu sehen, die mit 2 Raketen zur Luftabwehr bestückt wurde.

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Jetzt hat der SBU, der Inlandsgeheimdienst der Ukraine, eine neue Drohnenboot-Variante offiziell vorgestellt. Diese hat 6 Raketen an Bord, die alle gleichzeitig abgefeuert werden.

Sea Baby: Erst Kamikaze, dann Raketenwerfer

Die Basis für die raketenschießende Drohne ist Sea Baby. Dabei handelt es sich um das Drohnenboot, das seit Juli 2022 eingesetzt und konstant weiterentwickelt wird. Bisher wurde es primär zur Aufklärung und als Kamikazedrohne genutzt. Dazu ist Sea Baby mit bis zu 850 Kilogramm schweren Gefechtsköpfen ausgestattet.

Im Jänner 2024 tauchte erstmals ein Sea Baby auf, das mit Raketenwerfern ausgestattet war. Bis zu 6 RPV-16 sind am Heck montiert. Dabei handelt es sich um in der Ukraine hergestellte Infanterieraketenwerfer mit Aerosolladungen.

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Sea Baby mit RPV-16

Bei Aerosolladungen wird zusätzlich zur Sprengladung ein Brennstoff ist der Luft verteilt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Bomben hält die Druckwirkung länger, die Hitzeentwicklung ist höher und durch das Eindringen des Brennstoffs in Bunker und Häuser, können sie effektiv gegen befestige Ziele genutzt werden. Zudem entsteht nach der Druckwelle eine Vakuumwirkung. Dieser Unterdruck erzeugt bei Menschen im Umkreis häufig Lungenschäden, woraufhin diese ersticken.

Psychologische Kriegsführung

Das macht Aerosolbomben zu gefürchteten Waffen – was womöglich der Grund dafür ist, dass die RPV-16 auf Sea Baby montiert wurden: psychologische Kriegsführung. Die Explosion soll laut der ukrainischen Armee bis zu 2.500 Grad Celsius heiß werden, die Verletzungsgefahr für Menschen liege in einem Radius bis zu 70 Meter. Die effektive Reichweite der Rakete betrage 600 Meter, die maximale bei 1.000 Meter.

So furchteinflößend diese Daten sind: Man muss damit erst mal treffen. Da die Raketen des RPV-16 ungelenkt und die Raketenwerfer fix auf der Drohne montiert sind, kann damit nicht wirklich gezielt werden. Und auf kurze Distanz damit auf ein russisches Kriegsschiff zu schießen, scheint Materialverschwendung. Dass die Ladung die Panzerung des Kriegsschiffes durchschlägt, um darin Schaden anzurichten, ist eher unwahrscheinlich.

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Gefahr zivile Ziele zu treffen

Als eine Art improvisierte Artillerie ließen sich die RPV-16 schon einsetzen. Ohne guter Zielmöglichkeit ist die Gefahr allerdings groß, dass etwa bei einer Welle der Schuss zu hoch abgegeben wird, über das Militärziel im Hafen hinwegfliegt und ein ziviles Wohnhaus dahinter trifft.

Abgesehen von den menschlichen Verlusten würde der Einsatz einer so grausamen Waffe gegen Zivilisten dafür sorgen, dass der Ruf der Ukraine in der westlichen Welt leidet. Schließlich wirft die Ukraine seit Kriegsbeginn Russland vor, terroristische Akte gegen Zivilisten auszuführen. Bei so einem RPV-16-Zwischenfall würde die terroristische Aktion aber von der Ukraine ausgehen.

Außerdem werden die RPV-16 dringender an der Front benötigt. Dort werden damit befestige russische Stellungen und Grabensysteme angegriffen oder Häuser im Städtekampf geräumt.

Neue Raketenwerfer-Drohne ist eine Resteverwertung

Die jetzt vom SBU gezeigte Sea-Baby-Variante scheint eine vernünftigere Weiterentwicklung zu sein. Anstatt RPV-16s werden hier 6 Rohre samt Raketen des Grad-Systems verbaut.

Der Mehrfachraketenwerfer wurde in der Sowjetunion entwickelt und wird seit 1963 eingesetzt. Er gilt als Nachfolger der Katjuscha, die im Zweiten Weltkrieg den Spitznamen „Stalinorgel“ erhalten hat.

Das Prinzip ist seitdem gleich geblieben. Die Grad-Raketen im Kaliber 122mm sind ungelenkt und werden als Salve abgefeuert. Dadurch kann ein großes Gebiet mit vielen nahezu simultanen Einschlägen übersät werden.

Durch die weite Verbreitung des Grad-Systems hat auch die Ukraine etliche Werferrohre und die passenden Raketen im Arsenal. Die normalen Raketen haben eine Reichweite von 20 Kilometern, was für die Zwecke der Ukraine zu gering ist – hier würde man in die Reichweite russischer Gleitbomben und moderner Artillerie kommen, noch bevor der Grad-Lkw überhaupt eine günstige Abschussposition erreicht hat. Daher macht es Sinn, die sonst nicht mehr benötigten Arsenalware für andere Zwecke zu verwenden.

Sea Baby mit Grad-System

Sea Baby mit Grad-System

Überraschungs- und Ablenkungsangriffe vom Meer aus

Wie Suspilne berichtet, wurden die Grad-Drohnenboote bereits im Winter 2023 an Land getestet. Einen bestätigten Einsatz von ihnen gibt es noch nicht. Unklar ist, welche Ziele damit angegriffen werden sollen.

Möglich ist, dass damit feindliche Stellungen in Küstennähe oder militärische Hafenanlagen angegriffen werden soll. Weil Russland nicht mit einem Artillerieschlag vom Meer aus rechnet, könnten so Überraschungs- oder Ablenkungsangriffe ausgeführt werden. Das Ziel könnte sein, dadurch russische Truppen in Abwehr- oder Verteidigungsstellungen zu locken, wodurch Lücken an der Front entstehen, die ukrainische Landtruppen für Angriffe nutzen können.

Sea Baby mit Grad-System

Sea Baby mit Grad-System

Schrotflinten-Effekt gegen russische Kriegsschiffe

Denkbar wäre auch, dass die 6 Raketenwerferrohre in einem flacheren Winkel montiert werden, sodass diese tiefer fliegen. Werden alle 6 Stück, so wie im Video gezeigt, gleichzeitig abgefeuert, entsteht eine Art Schrotflinten-Effekt. Das erhöht die Chance, ein russisches Kriegsschiff aus der Entfernung damit zu treffen.

Das Drohnenboot könnte sich so etwa „heranschleichen“ und das Schiff aus einer Entfernung bekämpfen, bevor es entdeckt wird und die russischen Truppen Abwehrmaßnahmen einleiten. Es ist gut möglich, dass das Grad-bestückte Sea Baby zusätzlich einen Sprengkopf an Bord hat. Nach dem Abfeuern der Raketen könnte es bei Bedarf als Kamikaze-Drohne agieren und so das zuvor beschossene Kriegsschiff angreifen, um es zu stärker zu beschädigen bzw. zu zerstören.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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