Krypto-Lovescam begann auf Tinder: Betroffener erzählt
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Täglich fallen Hunderte Menschen auf Kryptobetrüger*innen herein, die fette Gewinne und rasches Reichtum versprechen. „Es geht dabei um Summen zwischen 200 und 100.000 Euro“, sagt Paul Ducklin, Sicherheitsexperte bei Sophos, im Gespräch mit der futurezone. Auch bei der „Watchlist Internet“ landen solche Fälle immer häufiger. „Wir bekommen wöchentlich zirka 10 bis 20 neue Meldungen von Betroffenen“, erzählt Declan Hiscox, Redaktionsleiter bei der Anlaufstelle, bei der man Online-Betrug melden und beraten werden kann. „Die Zahl ist im Jahresvergleich stark gestiegen.“
Perfekt abgestimmtes Liebesgeplänkel
Einer jener Menschen, der fast auf Kryptobetrüger*innen reingefallen ist, ist der Tiroler Manfred Launer (Name geändert, der Redaktion bekannt). Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. Launer hatte eine junge, asiatisch aussehende Frau über die Dating-App Tinder kennengelernt. „Sie hat alle meine Interessen mit mir geteilt, genau auf meine Vorlieben abgezielt und sensationell gut geschrieben“, erzählt Launer.
Chat-Nachrichten, die der futurezone vorliegen, zeigen, wie er sich mit ihr über Tennis, Yoga, Designer-Möbel und stressige Arbeitstage unterhält. Auch Liebesgeplänkel ist dabei. Längst waren die beiden weg von Tinder hin zu einer asiatischen Messenger-App namens Line gewechselt. Nach mehr als einer Woche erwähnte die Dame erstmals, dass es mit ihrer Möbelmanufaktur in Singapur nicht mehr so gut laufe, ein möglicher Ausweg aber Krypto-Trading sei.
"Sie hat alle meine Interessen mit mir geteilt, genau auf meine Vorlieben abgezielt und sensationell gut geschrieben“
Trading-Gruppe als nächster Schritt
„Plötzlich bin ich in einer Trading-Gruppe gelandet, in der 28 Personen mit zwei vermeintlichen Insidern namens Mr. Kim und Mr. Wang darüber gesprochen haben, wie viel Geld sie investieren sollen und wie sie ihre Gewinne weiter steigern können“, erzählt Launer. Die Trading-Plattform, auf die er geleitet wurde, schien auf den ersten Blick seriös und gut gemacht zu sein, es gab zudem zusätzlich eine Verifizierung per E-Mail. „Die Kurse haben gestimmt und die Transaktionen wirkten alle echt“, so Launer.
Die asiatische Dame kommunizierte weiter mit dem Tiroler, um ihn zum Investieren zu überreden. Doch irgendwie wurde er stutzig und zog schließlich die Reißleine. „Das wirkte alles zu perfekt auf mich abgestimmt“, sagte Launig. Am selben Tag las er tatsächlich zufällig einen Artikel in der futurezone, in dem wir über Krypto-Lovescams berichtetet hatten. „Ab da wurde mir langsam klar, dass ich fast auf Betrüger*innen reingefallen wäre. Das hat mich selbst sehr überrascht, weil ich seit 20 Jahren im Thema Digitalisierung drinnen bin. Es hat mich sehr gewundert, dass es sogar mich treffen kann“, so Launer, der jetzt andere Menschen davor warnen möchte.
Jeder kann darauf reinfallen
Sicherheitsforscher Paul Ducklin hingegen wundert es nicht, dass selbst technikaffine Menschen zu den Opfern zählen. „Auf derartige Lovescams kann jeder reinfallen: Vom Banker bis hin zum Studenten, der Hausfrau oder CEOs“, so Ducklin. „IT-Expertise schützt einem in so einem Fall nicht, weil das Ganze nicht mit einem technischen Trick startet.“ Gerade wenn man jemanden über eine Dating-Website wie Tinder kennenlerne, bestehe bereits die Absicht, mit jemand Neuem zu kommunizieren. „Jeder kennt die Erfolgsstorys von Paaren, die danach geheiratet und Kinder bekommen haben“, so Ducklin.
Die Kriminellen scheuen laut dem IT-Experten nicht davor zurück, über eine Person so viele Informationen wie möglich zu sammeln, um in den Chat-Nachrichten das Gefühl zu vermitteln, gut mit dem Gegenüber zusammenzupassen. Diesen Prozess nennt man „Social Engineering“ und darin wird meist sehr viel Zeit von den Krypto-Betrüger*innen investiert. Über Social-Media-Dienste lassen sich bestimmte Vorlieben erkennen, oder Daten sammeln, wann jemand Geburtstag hat, oder was er am liebsten isst. „Das ist alles unschuldiger Kram, den man über seinen eigenen Lebenswandel preisgibt. All das wird in Folge aber ausgenutzt, um perfekt abgestimmte Profile zu generieren, damit Vertrauen geschaffen wird“, so der Experte von Sophos.
„Auf derartige Lovescams kann jeder reinfallen: Vom Banker bis hin zum Studenten, der Hausfrau oder CEOs."
Gut gefälschte Websites mit echten Zahlen
Denn wenn es ums Geld geht, braucht es Vertrauen. Die Trading-Websites, auf die Opfer gelotst werden, sehen zudem meistens „extrem echt“ aus, erklärt Ducklin. „Es werden dort echte Trading-Abläufe von anderen Websites in Echtzeit kopiert, so dass es so wirkt, als würden die Investments auf genau dieser Plattform getätigt“, erklärt Ducklin, der mehrere Personen kennengelernt hat, die ihr gesamtes Vermögen an derartige Krypto-Betrüger*innen-Netzwerke verloren haben. „Jeder will Teil dieser Kryptowährungsrevolution sein und es gibt unzählige Geschichten über Menschen, die praktisch über Nacht zu Millionär*innen geworden sind. Das zieht viele Menschen an“, sagt Ducklin.
Nicht wenige enden damit, dass sie ihr gesamtes Erspartes los sind, denn Kryptoinvestitionen lassen sich in den wenigsten Fällen wieder zurückholen. „Der Betrug fällt meistens erst dann auf, wenn versucht wird, eine größere Auszahlung vermeintlicher Gewinne umzusetzen“, erklärt Declan Hiscox von der Watchlist Internet. „Da gibt es dann noch verschiedene Tricks der Betrüger*innen, um Menschen zu weiteren Investitionen zu bewegen."
Wo die Betrüger*innen sitzen, lässt sich übrigens schwer sagen. „Im asiatischen Raum gibt es auf jeden Fall mehrere Callcenter, in denen Menschen den ganzen Tag nichts anderes machen, als Chat-Nachrichten zu beantworten, um das Vertrauen von Menschen zu erschleichen“, sagt Hiscox.
„Besonders wichtig ist, dass man sofort jeglichen Kontakt zu den Kriminellen abbricht."
Was tun, wenn man Geld eingezahlt hat?
Derartige Krypto-Betrugsfälle können sich über Monate oder gar Jahre ziehen. „Manchmal fällt es erst auf, nachdem Personen über ein Jahr weg laufend Geld eingezahlt haben, und sie erst dann draufkommen, dass keine Auszahlungen möglich sind“, so der Berater bei der Watchlist Internet. Wer anders als Launer bereits Geld überwiesen hat, dem bleibt der Gang zur Polizei nicht erspart. Eine polizeiliche Anzeige sei auf jeden Fall notwendig, auch wenn die Ermittlungen in den meisten Fällen nicht zielführend sein werden, so der Experte.
„Besonders wichtig ist, dass man sofort jeglichen Kontakt zu den Kriminellen abbricht“, sagt Hiscox. Bei den Beratungen habe man immer wieder gesehen, dass sich Opfer weiterhin zu Einzahlungen verleiten lassen, wenn sie weiter mit den Betrüger*innen kommunizieren. „Man muss akzeptieren, dass man Opfer eines Betrugs geworden ist."
Laut Ducklin ist das oft gar nicht so einfach. „Es gibt viele Menschen, die deswegen sogar mit ihrer Familie und ihren Freunden brechen, weil sie schlichtweg nicht glauben können, dass sie auf Betrüger*innen reingefallen sind. So wurden schon ganze Leben zerstört“, sagt der Experte. Launer hingegen ist froh, dass er den Betrug rechtzeitig erkannt hat. Er hat die Chats und den Kontakt mittlerweile gelöscht.
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