Die Chabarowsk ist bei einer Zeremonie vom Stapel gelaufen
Projekt 08951: Was Russlands neues U-Boot mit dem Weltuntergang zu tun hat
Für die Marine ist es immer eine große Sache, wenn ein Atom-U-Boot vom Stapel läuft. Im Fall der russischen Chabarowsk steckt aber noch mehr dahinter.
Sie ist ein wichtiger Teil von Russlands „Wunderwaffen“-Strategie und ein Baustein in Putins neuer Atomwaffen-Doktrin. Ihr Hauptzweck ist den Atomtorpedo Poseidon abzufeuern, der laut Russland einen „nuklearen Tsunami“ auslösen kann.
Verhüllte Front
International ist es unüblich, das bei einer Stapellauf-Zeremonie eines U-Bootes nur das Heck gezeigt wird. Normalerweise will man ja mit dem neuen U-Boot angeben. Bei der Chabarowsk bleibt aber die Front verhüllt – genauso wie beim Stapellauf der Belgorod im Jahr 2019.
Das dürfte kein Zufall sein: Die Belgorod, ein modifiziertes U-Boot der Oscar-II-Klasse, ist das erste russische Atom-U-Boot, das mit Poseidon bestückt werden soll – die Chabarowsk ist Nummer 2. Russland verhüllt mit der Front also den Teil der U-Boote, von dem aus Poseidon starten wird.
Poseidon ist deutlich größer als ein normaler Torpedo. Anhand bisher von Russland gezeigter Bilder hat er einen Durchmesser von bis zu 2 Meter. Die Standardgröße für Torpedos ist heutzutage 53 cm. Das heißt, er braucht eigene Rohre bzw. eine eigene Startvorrichtung. Fotos davon könnten anderen Nationen dabei helfen, ein Sonarprofil zu berechnen, schon ohne das U-Boot tatsächlich im Wasser gehört zu haben.
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Jedes U-Boot hat ein eigenes Sonarprofil, auch innerhalb einer Klasse – also, wenn sie eigentlich baugleich sind. Mit diesem akustischen Fingerabdruck ist es möglich, ein U-Boot anhand seiner Geräusche zu identifizieren. Gerade bei der Chabarowsk und Belgorod wäre das enorm wichtig. Denn wenn Poseidon einmal gestartet ist, ist er nur sehr schwer im Meer aufzuspüren und noch schwerer abzufangen, bevor er sein Ziel erreicht und den Atomsprengkopf zündet.
Poseidon statt ballistischer Raketen
Zur Chabarowsk gibt es nur wenig offizielle Informationen. Sie ist als Projekt 08951 entstanden und das erste U-Boot dieser Klasse. Im Gegensatz zur Belgorod (184 m) ist sie mit 135 m deutlich kürzer, weil sie von vornherein gebaut wurde, um Poseidon zu tragen – während Belgorod eben ein modifiziertes Atom-U-Boot zum Start von Atomraketen ist.
Dass die Chabarowsk kleiner ist, ist ein Vorteil. Sie ist dadurch agiler, kann potenziell auch flachere Gewässer als die Belgorod durchqueren und ist schwieriger mit Sonar aufzuspüren.
Das russische Verteidigungsministerium bezeichnet die Chabarowsk als einen „atombetriebenen Raketenkreuzer“. Diese Kategorie wird üblicherweise für U-Boote mit ballistischen Raketen in vertikalen Startröhren verwendet. Allerdings gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass die Chabarowsk solche Startröhren hat. Auch auf einem Satellitenbild sind diese nicht eindeutig zu erkennen.
Daher ist es plausibel, dass die Chabarowsk auf Vertikalstarter verzichtet und nur Torpedorohre, zusätzlich zu den Poseidonrohren, hat. Damit könnte sie normale Torpedos abfeuern. Außerdem gibt es Antischiffsraketen und Raketen für Landangriffe, die aus Torpedorohren gestartet werden können.
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Eine geschrumpfte Borei-A
Das Heck der Chabarowsk war bei der Stapellauf-Zeremonie ebenfalls teilweise verhüllt. Die Form erinnert aber stark an die Borei-A-Klasse. Dazu passen frühere Gerüchte, wonach Borei-A als Vorlage für Projekt 08951 diente.
Auch die Borei-A-Klasse ist, wegen der vorhandenen vertikalen Startröhren für Raketen, mit 170 m deutlich länger als die Chabarowsk. Die Verdrängung ist dadurch ebenfalls stark anders. Bei der Borei-A sind es etwa 15.000 Tonnen (an der Oberfläche), bei der Chabarowsk, zumindest Berechnungen zufolge, etwa 10.000 Tonnen. Die Chabarowsk ist also ein Drittel kleiner als die Borei-A.
Weltuntergangs-U-Boot
Dass die Chabarowsk in Medien als Weltuntergangs-U-Boot bezeichnet wird, liegt an Poseidon. Der Torpedo mit Nuklearantrieb und Atomsprengkopf gehört zu den „Wunderwaffen“, die Putin 2018 erstmals öffentlich gemacht hat.
Poseidon hat zusätzlich den Titel „Weltuntergangswaffe“ bekommen, weil er laut Russland einen „nuklearen Tsunami“ auslösen kann. Anstatt direkt militärische Hafenanlagen oder Küstenstätte zu beschießen, könnte Poseidon im Meer explodieren und eine Flutwelle mit radioaktiv verstrahltem Wasser auslösen.
Der Atomsprengkopf mit einer Stärke von bis zu 2 Megatonnen soll laut Russland einen nuklearen Tsunami auslösen, der ganz Großbritannien versinken lässt.
Forscher haben mehrfach erklärt, dass dies physikalisch nicht möglich ist. Der Tsunami von Japan im Jahr 2011 hatte eine Kraft, die 163.000-mal größer war als die von AN602 Zar. Der Test dieser Atombombe war die stärkste jemals von Menschen verursachte Explosion.
Unendlich Reichweite
Auch wenn Experten die Zerstörungskraft von Poseidon für weit übertrieben halten, ist diese Waffe dennoch eine ernsthafte Bedrohung. Durch den Nuklearantrieb soll der Torpedo „unendlich Reichweite“ haben. In diesem Fall heißt das: Wird er von einem x-beliebigen Ort im Weltmeer gestartet, kann er jedes gewünschte Ziel im Weltmeer erreichen.
Befindet sich die Chabarowsk etwa vor Island, könnte sie mit einem Poseidon San Francisco angreifen. Durch die hohe Reichweite und Ausdauer könnte ein einzelnes U-Boot zudem mehrere Poseidons hintereinander abfeuern, die dann aber alle zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten der Welt explodieren.
Für die Belgorod wird eine Kapazität von 6 Poseidons angenommen. Das dürfte auch auf die Chabarowsk zutreffen.
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Schwierig aufzuspüren und abzufangen
Was Poseidon so gefährlich macht, ist, dass er eben ein Torpedo ist. Die Unterwasser-Überwachung ist weit weniger ausgebaut, als die Frühwarnsysteme für Atomraketen.
Selbst, wenn man die Position von Poseidon kennt, könnte das Abfangen schwierig sein. Der Nuklearantrieb könnte ihm deutlich mehr Geschwindigkeit geben, als einen üblichen Torpedo: Er könnte ihnen also einfach davonschwimmen. Berichten zufolge soll Poseidon bis zu 185 km/h schnell schwimmen können. Der gängige Mark-48-Torpedo der USA kommt auf 102 km/h, hat dann aber nur eine reduzierte Reichweite von bis etwa 38 km.
Um Poseidon abzufangen, müsste man vermutlich entlang eines gedachten Walls im Meer Torpedos über eine Länge mehrerer Kilometer hinweg mit Flugzeugen oder Hubschraubern abwerfen und hoffen, dass zumindest einer davon Poseidon frontal erwischen kann.
Auch dazu muss man relativ genau die Position und den Kurs von Poseidon kennen und ein Abfangen ist nicht garantiert. Denn der Atomtorpedo könnte Abwehrsysteme eingebaut haben und etwa bei einer Sonarpeilung weite Ausweichmanöver schwimmen. Auch zufällige Ausweichmanöver, die auf dem Weg zum Ziel automatisch ausgeführt werden, könnten das Berechnen seines Ziels und damit das Abfangen deutlich erschweren.
Verzögerungen bei Poseidon
Russland hat vor wenigen Tagen bekannt gegeben, dass Poseidon erstmals bei einem Test eine lange Strecke unter Wasser mit dem Nuklearantrieb zurückgelegt hat. Nähere Details dazu wurden nicht genannt.
Durch den Test dürfte jetzt zumindest klar sein, dass Poseidon noch nicht in Dienst gestellt wurde. Anfang 2023 gab es nämlich Berichte, wonach die ersten Stück von Poseidon fertiggestellt wurden. Dabei dürfte es sich dann vermutlich nur um Prototypen gehandelt haben oder Gehäuse für Tests des Wasserwiderstands und der Sonarsignatur.
Wann Poseidon in Dienst gestellt wird, ist unbekannt. Bei dem Atomtorpedo dürfte es ebenso Verzögerungen geben, wie beim Projekt 08951. Die Bauarbeiten an der Chabarowsk haben schon 2014 begonnen. Eigentlich sollte es 2018 vom Stapel laufen – zeitlich passend zu Putins Wunderwaffen-Ankündigung.
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Bis 2025 hätten schon die Bauarbeiten an 3 Nachfolge-U-Booten der Klasse Projekt 08953 erfolgen sollen. Zusammen mit der Chabarowsk hätten sie zwischen 2028 und 2035 eine Gruppe von U-Booten bilden sollen, die mit Poseidon bewaffnet sind.
Die Chabarowsk wird jetzt erprobt und auf Testfahrten gehen. Eine Indienststellung wird vermutlich frühestens Ende 2026 erfolgen – möglicherweise erst ohne Poseidon, falls der Atomtorpedo bis dahin noch nicht vollständig erprobt wurde.
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