Greenpeace wollte Mitte der 90er-Jahre mit dem Renault Twingo Smile zeigen, dass ein 3-Liter-Auto möglich ist

Greenpeace wollte Mitte der 90er-Jahre mit dem Renault Twingo Smile zeigen, dass ein 3-Liter-Auto möglich ist

© Greenpeace/Daniel Fortmann

Meinung

Der Rebound-Effekt: Wir verbessern uns in den Abgrund

Greenpeace wollte Mitte der 90er-Jahre mit dem Renault Twingo Smile zeigen, dass ein 3-Liter-Auto möglich ist

Alles wird immer besser. Warum ist dann die Welt trotzdem so miserabel? Weil wir Menschen äußerst seltsame Wesen sind. Jeden Tag werden wir Opfer des Rebound-Effekts: Wenn etwas Übles ein bisschen weniger übel wird, dann akzeptieren wir mehr davon, sodass wir am Ende genauso übel dran sind wie vorher. Das macht unser Klima kaputt, unseren Arbeitsalltag und uns selbst. Ein grundlegendes Umdenken könnte unser Leben deutlich verbessern.

Der Mythos vom 3-Liter-Auto

In den 1990er-Jahren gab es in der Autoindustrie ein hoffnungsstrahlendes Zukunftsversprechen: Das 3-Liter-Auto. Die Motorentechnologie entwickelte sich weiter, mit immer besseren Tricks sollte ein Auto möglich werden, das für 100 Kilometer nur noch 3 Liter Benzin benötigt. Was ist daraus geworden?

Die Motorentechnik entwickelte sich tatsächlich. Clevere elektronische Steuerungen wurden entwickelt, die Treibstoff sparen. Die Autos von damals könnten mit der Technik von heute problemlos mit 3 Litern auf 100 Kilometern auskommen – tun sie aber nicht. Denn stattdessen sind die Autos größer, schwerer und stärker geworden. Das Gefährt, mit dem damals die ganze Familie an die Adria tuckerte, würde man heute nicht mal mehr als City-Flitzer akzeptieren. In der Garage steht stattdessen ein wohnzimmergroßer SUV mit Netflix-Zugang und Champagner-Kühlschrank. Der durchschnittliche Treibstoffverbrauch der Autoflotte blieb ungefähr gleich.

Das ist ein Muster, das immer wieder zu beobachten ist: Effizienzsteigerungen führen oft nicht zu geringerem Verbrauch, sondern zu entsprechend mehr Konsum, sodass der Ressourcenverbrauch insgesamt ungefähr gleichbleibt. Diese menschliche Eigenschaft scheint unabhängig vom sozialen und kulturellen Hintergrund zu gelten. Ähnliches hat man in Asien beobachtet, wenn wenig wohlhabende Familien mit einem effizienten Feuerofen versorgt wurden, damit sie zum Kochen nicht mehr so viel Holz benötigen. Die Effizienz stieg tatsächlich – aber dadurch wurde eben im selben Maß mehr gekocht. Der Holzverbrauch blieb ungefähr konstant.

Bei ostasiatischen Familien mag man das trotzdem als Erfolg sehen: Ihre Lebensqualität hat sich zumindest verbessert, bei gleichbleibendem Ressourcenverbrauch. Aber global gesehen kann diese Rechnung nicht aufgehen – denn wir verbrauchen heute schon viel mehr Ressourcen, als wir zum Aufrechterhalten unserer Ökosysteme eigentlich verbrauchen dürfen. Wir müssen Verbrauch reduzieren, nicht bloß Effizienz steigern.

Außerdem ist in vielen Fällen höchst unklar, ob wir tatsächlich unsere Lebensqualität steigern. Geht es uns wirklich besser, wenn zwischen uns und dem leeren Beifahrersitz noch ein bisschen mehr Platz ist als im letzten, kleineren Auto? Oder dient die übertriebene Wucht unseres Straßenschlachtschiffs nur dem zur Schau stellen eines sozialen Status, den man früher eben mit kleineren Autos zur Schau stellte?

Wir bauen neue Straßen, auf denen wir schneller fahren können. Dadurch ist jetzt aber ein Job in der übernächsten Stadt auch noch ganz gut erreichbar – wir pendeln weiter und sind genauso lange unterwegs wie zuvor. Wir steigen auf sparsamere Energiesparlampen um. Dann können wir uns aber jetzt leisten, überall die Lichter brennen zu lassen, die ganze Nacht hindurch. Wir entwickeln energiesparende Supercomputer. Dann können wir gewaltige KI-Serverfarmen bauen, mit demselben Stromverbrauch wie bisher. Wir sind wie Leute, die eine Diät machen – aber weil die fettreduzierten Light-Chips weniger Kalorien haben, essen wir doppelt so viele.

Mehr Risiko, mehr Arbeit, mehr Stress?

Auch in anderen Lebensbereichen machen wir diesen Fehler: Aus dem Bereich der Arbeitssicherheit kennt man den Effekt, dass manchmal neue Sicherheitsmaßnahmen die Zahl der Arbeitsunfälle nicht verringern, weil die Leute nun ein kleiner gewordenes Risiko bereitwilliger in Kauf nehmen. Ähnliches beobachtete man bei Extremsportarten.

Wir kaufen technische Geräte, die uns im Haushalt Zeit sparen sollen – aber seltsamerweise hat niemand von uns dadurch jemals mehr Zeit. Der Staubsaugroboter führt nicht dazu, dass wir mehr Zeit mit selbstgemachter Zitronenlimonade im Garten verbringen, sondern dass wir stundenlang fluchend unsere WLAN-Einstellungen anpassen, weil sich der Staubsaugroboter nicht korrekt verbindet. Wir erhöhen unsere Effizienz im Büro – aber seltsamerweise kommen wir dadurch nie früher nach Hause, weil sich irrigerweise eingebürgert hat, Menschen nach Arbeitszeit zu bezahlen, nicht nach geleisteter Arbeit. In unseren Arbeitszeitregelungen ist der Rebound-Effekt vertraglich festgeschrieben.

Wir brauchen einen Kulturwandel. Dabei geht es gar nicht unbedingt um Konsumverzicht, und schon gar nicht in ein Zurück in eine angebliche gute alte Zeit. Es geht darum, unseren Fortschritt bewusst und gezielt in einen Vorteil für uns Menschen umzuwandeln. Das wäre ein schönes Ziel.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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