Wagen auf dem Karneval in Düsseldorf

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© APA/AFP/INA FASSBENDER / INA FASSBENDER

Meinung

Demokratie und Ignoranz

Wir alle haben garantiert von irgendeiner Sache keine Ahnung, die jemand anderer für absolut essenzielles Grundlagenwissen hält.

Wir alle haben Wissenslücken, und das ist auch gut so. Es ist nämlich die logische Konsequenz der überaus erfreulichen Tatsache, dass das Wissen der Menschheit so unüberblickbar groß geworden ist, dass jeder von uns nur einen kleinen Teil davon kennenlernen kann. Wir alle haben garantiert von irgendeiner Sache keine Ahnung, die jemand anderer für absolut essenzielles Grundlagenwissen hält. So ist das nun mal. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen.

Deswegen sollte man im Umgang mit Wissenslücken anderer immer möglichst großzügig sein. Jemand weiß nicht, wie die Jahreszeiten entstehen? Kein Problem, darf ich es dir erklären? Jemand weiß nicht, was der Unterschied zwischen Viren und Bakterien ist? Oh, spannende Frage, lass uns darüber plaudern! Jemand weiß nicht, was ein Elektromagnet ist? Oh, lass uns einen basteln, du wirst staunen!

Wenn jemand etwas nicht weiß, weil er es einfach noch nie gehört hat, weil er es nicht verstanden hat, oder weil einfach ein bisschen länger dafür braucht, dann muss das immer völlig in Ordnung sein. Man kann das „passive Unwissenheit“ nennen. Wenn aber jemand etwas nicht weiß, weil er sich mit aller Kraft dagegen wehrt es zu wissen, wenn er bekannte Fakten leugnet, weil sie ihm nicht in den Kram passen und seine alternative Unsinnsmeinung dann auch noch mit voller Lautstärke in die Welt trompeten möchte, dann ist die Situation völlig anders. Das könnte man als „aggressive Ignoranz“ bezeichnen.

Beispiel Meeresspiegelanstieg

Besonders oft stößt man darauf in politisch aufgeladenen Diskussionen, etwa in der Klimadebatte: Warum steigt der Meeresspiegel eigentlich an, wenn sich der Planet erhitzt? Das hat im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens dehnt sich Wasser aus, wenn es wärmer ist – zwar nur ein ganz kleines Bisschen, aber weil das Meer so tief ist, führt das zu einem deutlichen Effekt. Zweitens schmilzt auf den Kontinenten Eis ab, das dann ins Meer fließt.

Muss man das wissen? Nicht unbedingt. Die Sache mit den schmelzenden Gletschern hat man wohl schon mal gehört, die Sache mit der Wärmeausdehnung des Wassers nicht unbedingt. Nun gibt es aber immer wieder Leute, die behaupten, den gesamten Klimawandel widerlegt zu haben, mit der messerscharfen Erkenntnis: „Wenn die Eiswürfel im Cocktailglas schmelzen, dann läuft das Glas nicht über. Also kann auch der Meeresspiegel nicht steigen, wenn die Eisberge schmelzen!“

Das ist nicht passive Unwissenheit, sondern aggressive Ignoranz. Wer so etwas verbreitet, hatte nicht bloß das Pech, die Wahrheit noch nie erklärt bekommen zu haben. Um das zu glauben muss man aktiv alle naheliegenden Argumente beiseiteschieben. Man muss mit großer Anstrengung der Versuchung widerstehen, die eigene Ansicht auch nur ein bisschen zu hinterfragen. Trotzdem hört man dieses Cocktailglas-Argument bis heute immer wieder – sogar von Politikern, die eigentlich dafür bezahlt werden, wissensbasierte Entscheidungen zu treffen.

Zu viel Wohlwollen nützt niemandem

An dieser Stelle ist Großzügigkeit falsch. Wenn jemand von passiver Unwissenheit in den Bereich aggressiver Ignoranz abgerutscht ist, tut man ihm mit verständnisvoller Freundlichkeit nichts Gutes. Manchen Leuten muss man dann auch auf etwas ruppige Weise klarmachen, dass sie falsch abgebogen sind. 

In einer Demokratie darf sich jeder an der Diskussion beteiligen. Aber wer sich dagegen wehrt, die fundamentalsten sachlichen Grundvoraussetzungen dafür zu erbringen, zerstört bloß die Diskussion. Und dann darf er sich auch nicht beklagen, wenn er nicht ernst genommen wird. Ja mehr noch: Er darf nicht ernst genommen werden.

Wir haben die Pflicht, alle Leute mitreden zu lassen, sonst sind wir keine Demokratie mehr. Wir haben aber auch die Pflicht, für ein gewisses Mindestniveau der Diskussion zu sorgen, sonst wird die ganze Diskussion sinnlos. Und an einem gewissen Punkt ist es in Ordnung zu sagen: Du darfst gern wieder mitdiskutieren, wenn du Argumente hast – aber das hier ist keines.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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