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Meinung

Wie man Wissenschaft widerlegt

Selbsternannte Querdenker finden irgendwo einen scheinbaren Widerspruch und behaupten dann: „Damit bricht die ganze Theorie doch zusammen wie ein Kartenhaus!“

Es ist schön, jemanden zu widerlegen. Egal ob es um Corona geht, um Politik oder um UFOs: Wenn wir einen Fehler in der Argumentation anderer Leute entdecken, dann fühlen wir uns klug und betrachten ihre Theorie als falsifiziert. Treffer, versenkt! Keine weitere Diskussion mehr nötig.

Für den Wissenschaftsphilosophen Karl Popper ist das der Kern des wissenschaftlichen Arbeitens: Nachdem man ohnehin nie etwas mit absoluter Sicherheit beweisen kann, sollte man lieber versuchen, Thesen zu widerlegen. Wenn sie dem Versuch der Widerlegung standhalten, dann dürfen wir weiterhin an sie glauben. Wenn nicht, dann müssen wir sie fallen lassen.

Die Goldbachsche Vermutung

Und da hatte Popper natürlich recht. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Man muss nämlich genau überlegen, was „widerlegen“ eigentlich bedeutet. In der Mathematik ist das klar. Nehmen wir einen ganz einfachen mathematischen Satz, etwa: „Jede gerade Zahl größer als 2 ist die Summe zweier Primzahlen“, das ist die berühmte „Goldbachsche Vermutung“.

Wie überprüfen wir das? Wir können uns ein paar Beispiele ansehen: 10 ist die Summe der Primzahlen 7 und 3. 12 ist 7 plus 5. Man hat inzwischen alle Zahlen von 4 bis 4 Milliarden Milliarden durchprobiert, und die Vermutung stimmt jedes Mal. Ein Beweis, dass das bis ins Unendliche gilt, ist das freilich noch nicht – der fehlt bis heute. Aber klar ist: Wenn man auch nur ein einziges Gegenbeispiel findet, dann ist die Goldbachsche Vermutung widerlegt, genau wie die Regel „alle Raben sind schwarz“ sofort widerlegt ist, wenn man auch nur einen einzigen giftgrünen Raben entdeckt.

Ein Gegenargument ist keine Widerlegung

Aber meist ist die Sache nicht so eindeutig. Wenn man bei einem Quanten-Experiment ein Ergebnis erhält, das nicht zu den Formeln der Quantenphysik passt, dann hat man damit noch lange nicht die Quantenphysik widerlegt. Vermutlich hat man einfach nur einen Messfehler gemacht. Man muss sich das noch einmal genauer ansehen. Die meisten Thesen lassen sich nicht durch ein einzelnes Argument widerlegen. Sie sind eingewoben in ein ganzes Netz von Argumenten, Beobachtungen und Querverbindungen zu anderen Thesen, die man alle sorgfältig prüfen muss.

„Wir sollten von fossilen Brennstoffen auf elektrische Systeme umsteigen“ ist ein Beispiel für eine solche komplexe These. Oder „Impfungen sind eine gute Sache“. Kann man solche Thesen widerlegen? Natürlich – wenn sorgfältig durchgeführte Studien zum gegenteiligen Ergebnis kommen, wäre die These falsifiziert. Durch das bloße Nennen eines Gegenarguments hingegen nicht.

„Beim Lithiumabbau für Batterien entstehen Umweltschäden“ oder „Impfung X hat Nebenwirkung Y“ sind wichtige, gültige Argumente. Aber wer so tut, als wären solche Gegenargumente eine Widerlegung, so wie ein hypothetisches Gegenbeispiel bei der Goldbachschen Vermutung, hat ein zu einfaches Bild von Wissenschaft.

Leider ist dieser Irrtum weit verbreitet: Selbsternannte Querdenker finden irgendwo einen scheinbaren Widerspruch, eine Schwachstelle, einen vermeintlichen Nachteil und behaupten dann: „Damit bricht die ganze Theorie doch zusammen wie ein Kartenhaus!“

Nein, normalerweise nicht. Denn eine ernstzunehmende wissenschaftliche Theorie ist kein Kartenhaus. Gegenargumenten muss man nachgehen, Nachteile muss man ernst nehmen. Aber am Ende geht es immer um das Gesamtbild: Auf welcher Seite wiegen die Argumente schwerer? Welche Daten sind zuverlässig, welche weniger? Ist es sinnvoll, einen Nachteil in Kauf zu nehmen, weil der Vorteil überwiegt? Dafür gibt es keine einfache Formel.

Wissenschaftliches Abwägen ist nun mal mit Arbeit verbunden. Es ist verständlich, wenn man diese Arbeit nicht ständig auf sich nehmen will. Aber dann sollte man auch nicht großspurig behaupten, eine wissenschaftliche Theorie widerlegt zu haben.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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