So werden Amazon-Zusteller in Österreich per Smartphone-App überwacht
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Amazons Arbeitsbedingungen stehen weltweit in der Kritik. Nicht selten spielt dabei Überwachung eine große Rolle, die den Druck auf die Arbeitnehmer*innen verstärkt. Bisher waren es vor allem Berichte aus den USA, die schockierten. Dort ist bei Amazon Flex-Fahrer*innen seit 2015 ein System im Einsatz, das die Paketbot*innen über eine Smartphone-App trackt - und auch automatisiert kündigt, wenn diese ihr Soll nicht erfüllen.
Die Smartphone-App wertet automatisch aus, wer pünktlich und zuverlässig Pakete zustellt, und wer dafür zu lange braucht. Jene Mitarbeiter*innen werden vom Algorithmus auch automatisch gefeuert. Für unvorhergesehene Ereignisse wie eine Reifenpanne aufgrund eines eingefahrenen Nagels, Stau aufgrund eines Verkehrsunfalls oder verwaiste Wohnhausanlagen und eine damit verbundene Unzustellbarkeit der Pakete, gibt es keine Ausnahmen. Jene Mitarbeiter*innen rutschen gnadenlos im Ranking ab und müssen mit Konsequenzen rechnen. Amazon selbst betonte dazu, dass der Großteil der Amazon-Fahrer*innen mit dem System zufrieden sei und es keine „strukturellen Probleme“ aufgrund der Überwachungs-App gebe.
Zwei Apps im Einsatz
Vor kurzem wurde nun bekannt, dass auch in Österreich die Amazon-Zusteller*innen per App getrackt werden. Die Fahrer*innen müssen zwei zusätzliche Programme auf ihre Mobiltelefone herunterladen. Das geht aus einer neuen Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), die von der Arbeiterkammer (AK) gefördert wurde, hervor, die Ende Oktober präsentiert wurde. Ein Amazon-Sprecher bestätigte gegenüber der futurezone, dass es „grundsätzlich zwei Apps“ gebe, die zur Auslieferung der Pakete in Österreich eingesetzt werden.
Mit einer der beiden Apps werden die Fahrten und Bewegungen des Lieferfahrzeugs aufgezeichnet, mit der anderen die Lieferrouten festgelegt. Die App, die das Fahrverhalten überwacht, dient laut Amazon als „Sicherheitskonzept zur Verbesserung der Verkehrssicherheit“. Die App sammelt laut Angaben des Unternehmens Daten über starkes Beschleunigen, Bremsen und Kurvenschneiden sowie über „Ablenkung durch das Gerät“. Ziel sei es, einen „Safe Driving Score“ zu erstellen, der sowohl den Fahrern, also auch den Lieferservicepartner*innen und Amazon übermittelt werde, heißt es seitens Amazon.
Doch das System scheint fehleranfällig zu sein. So hat ein Amazon-Fahrer laut WU-Studie angegeben, dass er vom System als „schlechter Fahrer“ bewertet worden sei, nachdem er einen Anruf seines Vorgesetzten am Smartphone entgegengenommen hatte. Doch insgesamt sind die Zusteller dem Einsatz der neuen App, mit der das Fahrverhalten aufgezeichnet wird, gar nicht abgeneigt. Manchen gaben aber an, sich „ständig kontrolliert“ und „im Stress“ zu fühlen.
So viel Zeit bleibt den Fahrer*innen
Stress dürfte aber vor allem jene App bei den Fahrer*innen auslösen, mit der die Paketzustellung geplant wird. Amazon-Paketbot*innen müssen an einem durchschnittlichen Tag zwischen 130 und 150 Pakete zustellen. Der Algorithmus der Liefer-App errechnet dabei einen Mittelwert von sieben Minuten pro Paketlieferung. Jedem Fahrer ist eine genaue Route vorgegeben. „Ein Interview mit einem ehemaligen Zusteller brachte ans Licht, dass er nie für die Zeit bezahlt wurde, die er benötigte um die Pakete im Verteilerzentrum abzuholen, noch konnte er wegen des vom Algorithmus vorgegebenen, engen Zeitplans Pausen machen“, heißt es in der Studie.Er ist kein Einzelfall, viele Mitarbeiter verzichten wegen der rigiden Vorgaben laut der Studie auf Essenspausen oder gar auf Toilettenbesuche.
In Österreich gibt es laut aktuellen Angaben von Amazon zur Zeit rund 500 Menschen, die für den Konzern im Bereich Logistik tätig sind und die davon betroffen sind. Mitarbeiter*innen, die besonders schnell und effizient sind, werden von dem System allerdings befragt: Statt Lob, Lohnerhöhungen oder Pausen bekommen sie laut eigenen Angaben zusätzliche Arbeit. Ergo: Sie müssen in Folge noch mehr Pakete ausliefern. „Das wirkt sich negativ auf die Motivation aus“, heißt es in der Studie. „So bringt man die Leute nur dazu, langsamer zu arbeiten.“
Was für Kund*innen, die auf Pakete warten, bequem ist - nämlich live auf Amazon zu sehen, wie viele Stopps das Lieferauto noch von der eigenen Wohnung entfernt ist - bedeutet für die Zusteller*innen hohen Druck und psychischen Stress. Laut der Studie kommt es durch Fehler im Algorithmus der App auch hin und wieder zu einem erheblichen Zeitverlust und nicht nachvollziehbaren Rankings der Fahrer*innen.
Psychischer Stress
Ein Fahrer berichtete etwa davon, dass er einmal vom System quer durch ganz Wien geschickt wurde, um am Ende ein weiteres Paket in der Straße zuzustellen, in der er sich befunden hatte. Dafür war ein Fehler in der anderen App verantwortlich. Solche „Unsicherheiten durch fehleranfälle Technologien“ würden zum seelischen und physischen Stress der Zusteller*innen beitragen, heißt es seitens der Studienautorin Judith Kohlenberger.
„Wenn ein bestimmtes System recht rigide in seinen Entscheidungen ist, wird das schnell zum Problem und lässt wenig Selbstbestimmung zu“, sagt Wolfie Christl, ein Wiener Forscher der zu Überwachung am Arbeitsplatz forscht und dieses Jahr dazu eine Studie veröffentlicht hat. Ein solches System lasse dann auch keine Klopausen zu.
Dazu sagt Amazon: "Unsere ausgefeilte Technologie plant Lieferrouten, empfiehlt, wann eine Pause angebracht wäre und stellt sicher, dass Fahrer*innen auf ihrer Route nicht zu viele Pakete zugeteilt werden." Plus: "Keine der beiden Apps dient der Überwachung der Arbeitszeiten", betont Amazon. Zudem sei der Einsatz der Apps rechtmäßig. "Die Daten werden nach geltendem Recht verarbeitet und dienen ausschließlich dem Zweck, Fahrer*innen beim sicheren Fahren zu unterstützen."
„Maßnahmen, die die Menschenwürde verletzen, sind laut Arbeitsrecht nicht zulässig."
Keine automatisierten Kündigungen
Doch könnte die Smartphone-App die Zuliefer*innen ähnlich wie in den USA auch automatisiert kündigen, wenn zu viele „Fehler“ vorliegen? „Die automatisierte Verarbeitung von Daten ist im europäischen Datenschutzrecht verboten“, erklärt Thomas Riesenecker-Caba von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA).
Das bedeutet aber nicht, dass nichts von dem, was die App aufzeichnet, als Kriterium für derartige Entscheidungen herangezogen wird. „Wenn eine Entscheidung aber am Ende von einem Menschen auf Basis von gesammelten Daten getroffen wird, ist das erlaubt. Grundsätzlich brauche ich in Österreich keinen Grund für eine Kündigung eines Mitarbeiters angeben“, so der Arbeitsrechtsexperte.
Riesenecker-Caba erklärt aber auch, dass die Amazon-Zusteller*innen über die Datenauswertungen im Vorfeld informiert werden müssten, wenn sie personenbezogen stattfinden. „Maßnahmen, die die Menschenwürde verletzen, sind laut Arbeitsrecht nicht zulässig“, ergänzt Daniela Zimmer von der Arbeiterkammer (AK) im Gespräch mit der futurezone. Auch Eva Angerler von der GPA schlägt in diese Kerbe: „Automatisierte Systeme sollten Beschäftigten zur Unterstützung dienen und nicht zur Bevormundung. Stattdessen sollte die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer*innen damit gefördert werden“, so die Expertin.
Anonymisierte Daten, aber andere Missstände
Doch bei den Zusteller*innen von Amazon in Österreich scheint die Überwachungs-App nur eines der kleineren Probleme zu sein: Die häufigsten Bescherden der Mitarbeiter*innen betreffen Lohnrückstände oder unbezahlte Überstunden. Darauf angesprochen, sagte Amazon: "Die Fahrer*innen unserer Partner erhalten faire wettbewerbsfähige Löhne. Unsere Partner bezahlen nach dem Kollektivvertrag für Kleintransportunternehmen. Inklusive aller Zusatzleistungen kommt ein*e Fahrer*in in der Regel auf einen deutlich höheren Betrag." Amazon betonte zudem, dass die Angaben über den Fahrstil der Fahrer*innen nur anonymisiert übermittelt werden. Damit können den Mitarbeiter*innen keine Sanktionen drohen.
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