© Illustration: Pascale Osterwalder und Wolfie Christl, Cracked Labs

Netzpolitik

Wie Mitarbeiter am Arbeitsplatz überwacht und kontrolliert werden

Die fortschreitende Digitalisierung verändert Arbeitsprozesse - und zwar aus Sicht der Arbeitnehmer*innen nicht immer zum Guten. Oft führt der Einsatz digitaler Werkzeuge zur Überwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz. Der österreichische Forscher Wolfie Christl hat zusammen mit Hans Christian Voigt in einer umfangreichen Studie, die vom Digifonds der AK unterstützt wurde, untersucht, wie sich die Firmenwelt verändert: „IT-Systeme durchdringen heutzutage alles. Es gibt Protokolle, Ereignis-Logs und zahlreiche weitere Daten, die lokal und in der Cloud gespeichert werden. Diese gehen weit über klassische Zeiterfassung oder Zutrittskontrollsysteme hinaus und führen zu einem großen Ungleichgewicht zwischen Beschäftigten und Betrieben“, sagt Christl im Gespräch mit der futurezone.

Wolfie Christl hat eine umfangreiche Studie vorgestellt

Freiwillige Erfassung des Orts

Ein Beispiel: Bei einem österreichischen Betrieb, der sich auf die Montage und Wartung im Anlagenbau spezialisiert hat, hat sich der Arbeitsprozess im Laufe der Zeit massiv verändert. Alle Bewegungen, Zeiträume und Arbeitsschritte werden via Smartphone-App genauestens dokumentiert. Die Mitarbeiter*innen werden dabei allerdings nicht mittels GPS verfolgt, sondern geben die Daten, bei welchem Kunden sie sich gerade befinden, freiwillig ins System ein. In der Zentrale scheint dann in Folge auf, wer wo gerade an was arbeitet. Die jeweiligen Arbeitsschritte sind dabei genauestens vorgegeben.

„Dabei geht es nicht nur um eine umfassende Leistungs- und Verhaltenskontrolle, sondern dadurch wird auch Arbeit beschleunigt und verdichtet. Auch die Selbstbestimmung der Mitarbeiter*innen wird reduziert“, erklärt Christl. Das System, das zum Einsatz kommt, ist nicht unbedingt das invasivste, welches der Forscher in seiner Studie dokumentiert hat. „Trotzdem führt es dazu, dass damit ein engmaschige Auswertung und Kontrolle der Mitarbeiter*innen möglich ist“, so Christl. Außerdem ist das mit der „Freiwilligkeit“ so eine Sache. „Es gibt ein Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen“, sagt Thomas Riesenecker-Caba, Geschäftsführer der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA).

Bei Fahrradbot*innen wird die durchschnittliche Geschwindigkeit aufgezeichnet und für Aufträge herangezogen

Fahrradbot*innen verlieren Aufträge

Andere Beispiele greifen wesentlich tiefer in die Arbeitswelt ein, überwachen Mitarbeiter*innen auf Schritt und Tritt und sanktionieren diese, wenn ihre Leistung nicht mit der der Kolleg*innen mithalten kann. Bei einem österreichischen Essenszustelldienst werden die Fahrradbot*innen etwa auf Schritt und Tritt überwacht. Sie arbeiten in Schichten und bekommen per App Aufträge zugewiesen, die sie nicht ablehnen können.

Anders als bei den Montagemitarbeiter*innen werden die Bot*innen per GPS überwacht und es wird ganz genau aufgezeichnet, wann sie sich wo befinden. Wer einen Auftrag nicht schnell genug bestätigt, muss als Sanktion damit rechnen, dass die Schicht automatisch als „beendet“ erklärt wird. Wer eine zu langsame Durchschnittsgeschwindigkeit mit dem Fahrrad aufweist, bekommt ebenfalls keine neuen Aufträge mehr zugewiesen. Zudem wird über die Bot*innen ein wöchentliches Ranking erstellt, je nach Anzahl der ausgelieferten Bestellungen pro Stunde.

„Im Bereich der Logistik und bei Zustelldiensten sind die eingesetzten Systeme oft sehr brutal. Bei Amazon wurden Zustellfahrer*innen in den USA etwa sogar dazu aufgefordert, das Sicherheitssystem auszuschalten, um die Zeitpläne einzuhalten“, erzählt Christl.

Smartphone is seen in front of Microsoft logo displayed in this illustration taken

Microsoft vermarktet Workplace Analytics mit Productivity Scores

Workplace Analytics beliebt im Büro

„Doch auch im Bereich der Wissensarbeit schreitet die Überwachung voran“, so der Forscher. Als Beispiel hierfür nennt er „Workplace Analytics“ von Microsoft. „Dabei werden etwa Daten über verschickte E-Mails, Chats, Videokonferenzen und Kalendereinträge ausgewertet. Dann wird mit Zahlen bewertet, wie gut Beschäftigte zusammenarbeiten. Ich wage die Aussagekraft dieser Zahlen zu bezweifeln“, sagt Christl. Bei derartigen Werkzeugen, die im Büro eingesetzt werden, seien es vor allem die Hersteller- und Beratungsfirmen, die der Management-Ebene Digital-Tools als „alternativlos“ einreden würden, so der Forscher.

„Sie erzeugen Panik, dass sie sonst als Betrieb zurückbleiben. Doch oft können die beworbenen Produkte die Verkaufsversprechen gar nicht erfüllen, haben aber gravierende Nebenwirkungen für Arbeitnehmer*innen. Diese werden jedoch nicht berücksichtigt, da die Systeme nur auf betriebliche Interessen ausgelegt sind“, sagt Christl.

FILE PHOTO: FILE PHOTO: The logo of fashion retailer Zalando is pictured at the new headquarters in Berlin

Zalando teilt Mitarbeiter*innen in Low, Good und Top Performer ein

Zalandos grandiose "Karriereplattform" als Stasi-System

Doch Kontrolle kann auch anders funktionieren: In Deutschland setzt Zalando ein System namens „Zonar“ bei rund 5.000 Beschäftigten ein, die sich alle gegenseitig bewerten sollen. Auf dieser Basis werden diese in Low, Good und Top Performer eingeteilt und haben dadurch Chancen auf Lohnerhöhungen oder Prämien. Mitarbeiter*innen empfinden das System als „360-Grad-Überwachung“ oder „Stasi-System“, wie sie sagen. Bewertungen von Kollegen erfolgen häufig nach Sympathie oder Antipathie und sind damit völlig willkürlich. „Wir reden immer darüber dass Social-Credit-Systeme wie in China bei uns nicht möglich sind. Dieses Beispiel zeigt, dass wir ein solches im betrieblichen Umfeld bereits im Einsatz haben“, sagt Christl.

Das Zalando-Beispiel bringt aber noch einen weiteren Aspekt ans Tageslicht: Derartige Software wird nicht wie von Unternehmerseite kommuniziert dazu eingesetzt, um Mitarbeiter*innen Lohnerhöhungen zukommen zu lassen, sondern wird stattdessen zur Lohnrepression eingesetzt. Die Mitarbeiter*innen wurden nämlich aufgefordert, möglichst viele negative Bewertungen zu vergeben, was zur Folge hatte, dass es kaum herausragende Leistungsbewertungen gegeben hat und damit auch kaum Lohnerhöhungen oder Prämien. „Derartige Systeme führen daher zu einem großen Ungleichgewicht zwischen Betrieben und deren Mitarbeiter*innen“, sagt Christl. „Obwohl Zalando das System als Karriereplattform vermarktet hat, führte es dazu, dass die Daten nicht zum Wohl der Beschäftigten eingesetzt worden sind.“

Reaktion Zalando

Update: Zalando hat der futurezone eine Stellungnahme zukommen lassen, aus der hervor geht, dass es dieses Tool "zum Teil nie bei Zalando gegeben hat". Es kamen und kommen weder Rankings, Scores, noch künstliche Intelligenz zum Einsatz. Beschäftigte werden also auch nicht in Gruppen eingeteilt", heißt es seitens Zalando. Lediglich für Mitarbeiter*innen-Feedback würden zur Unterstützung Tools eingesetzt, so der Konzern.

Erschreckend sind alle Beispiele. „Auf der einen Seite gibt es sehr invasive Systeme, die Mitarbeiter*innen auf Schritt und Tritt überwachen, auf der anderen Seite können aber auch Systeme ohne breite Datenverarbeitung sehr starke Kontrolle auf Mitarbeiter*innen ausüben“, fasst Christl zusammen. Hier geht es auch noch zu einem Interview mit Fridolin Herkommer, Leiter des Büros für Digitale Agenden bei der AK Wien.

Die Studie „Digitale Überwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz“ wurde vom Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 der Arbeiterkammer (AK) Wien unterstützt und steht auf crackedlabs.org kostenlos zum Download zur Verfügung.

Disclaimer: Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen der AK Wien und der futurezone.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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