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Netzpolitik

Datenmaut für Netflix & Co: Sind die europäischen Netze am Limit?

Internetriesen und Telekomanbieter werden von der EU-Kommission an einen Tisch geholt. Das europäische Organ prüft in einem ersten Verfahren die Möglichkeit, große Anbieter von Online-Inhalten – darunter etwa Google, Netflix oder Amazon – zur Kasse zu bitten. Sie sollen ihren „gerechten Anteil“ für den Ausbau des Internets zahlen, so das Argument der Telekomanbieter. Gefordert wird eine „Datenmaut“, sprich eine Art Abgabe von den Techkonzernen.

Die Kommission unterstützt den Vorschlag. Die EU müsse „die gerechte Vergütung der Netze neu organisieren“. Gegenwind kommt naturgemäß von den Internetkonzernen, aber auch von Regulierungsbehörden und Netzaktivist*innen. Was spricht für, was gegen eine Datenmaut? Die Argumente der Telekom-Anbieter im Check.

„Techriesen sind schuld am Datenverkehr“

Das Hauptargument der Telekomanbieter lautet: Netflix, Google und Co sind die Hauptverursacher des Datenverkehrs. Die Internetkonzerne würden einen Großteil der Netze mit ihren Inhalten und Services "belegen". Von Magenta Österreich heißt es etwa auf Anfrage der futurezone, 70 Prozent der Netzkapazität würden auf internationale Videodienste entfallen. Hinzu komme, dass nicht nur die Netzbetreiber, sondern auch die Techunternehmen von einer Datenmaut profitieren würden. Schließlich würde ein gut ausgebautes Netz ja neue Kund*innen bringen.

Wie viele Kritiker*innen zurecht anmerken, beißt sich hier die Katze in den Schwanz. Denn dieses Verursacherprinzip ist durchaus fehleranfällig. Wer braucht schon einen Router im Haus, wenn es nicht um die von der Technik bereitgestellten Inhalte ginge? Zumindest ist eine Symbiose, bei der beide Seiten gegenseitig Angebot und Nachfrage schaffen. Nicht ohne Grund verkaufen Telekomanbieter ihre Tarife oftmals in Kombination mit Abos diverser Streamingdienste, wie etwa YouTube Premium. Das Verursacherargument der Telekomanbieter hinkt zudem auch bei der Umsetzung. Oft ist unklar, wem eine Datenabfrage genau zuzurechnen ist.

„Datenverkehr steigt zu stark an“

Die Telekom-Unternehmen verweisen zudem auf wachsende Datenströme. Die Internetnutzung der EU-Bürger*innen habe in den vergangenen Jahren, vor allem im Zuge der Pandemie, drastisch angezogen. Seit 2001 habe sie sich versiebzigfacht. Es bestünde die Gefahr, dass mit den bisherigen Mitteln das Netz nicht schnell genug an den Bedarf angepasst werden kann. Die Netze würden bald ihr Limit erreichen, so das Argument. 

Das „exponentielle Verkehrswachstum“, von dem die Telekomanbieter sprechen, gibt es jedoch gar nicht, folgern unterschiedliche Expert*innen. Das Datenverkehrswachstum sei bestenfalls stabil, so das Ergebnis einer Studie der deutschen Bundesnetzagentur aus dem Jahr 2022. Grund dafür sei "eine relative Marktsättigung bei Streaming-Diensten". Die EU-Netzregulierungsbehörden (BEREC) kommt zum selben Schluss. Der Internetverkehr habe "über die Jahre hinweg stetig zugenommen", heißt es in einem Bericht. Es habe "keine grundlegende Änderung der allgemeinen Wachstumstendenz" gegeben. Ob sich dieser Trend künftig mit datenintensiveren Entwicklungen wie etwa Metaversen und Cloud-Dienstleistungen fortsetzt, bleibt abzuwarten. 

„Wachstum ist zu teuer“

Auch das Argument, die Telekomanbieter könnten das Datenwachstum finanziell nicht schultern, hinkt. Eine Studie des Consulting-Unternehmens Analysys Mason legt nahe, dass die Kosten der Netzbetreiber im Laufe der Jahre gleich geblieben sind - trotz steigendem Datenverkehr. Im Zeitraum von 2018 bis 2021 hätten die netzbezogenen Kosten für Telekomunternehmen um insgesamt 3 Prozent zugenommen, der globale Netzverkehr hingegen um 160 Prozent.

Schließlich widersprechen sich auch die Telekomanbieter selbst. So erklärte Vodafone seinen Investor*innen im Juni 2021, der Datenverkehr nehme zwar zu, aber nicht proportional zu den Unternehmenskosten. Künftig könne Vodafone die Kosten sogar reduzieren. Ähnliche Angaben machten die Deutsche Telekom sowie Telefónica in der Vergangenheit. 

Ein Großteil des Internetverkehrs entfällt weltweit auf Streamingdienste wie Netflix.

„Google, Amazon, Netflix und Co zahlen zu wenig“

Laut den Telekomanbietern würden die Techriesen zu wenig zum Netzausbau beitragen. Vor allem in ländlichen Gebieten, in denen die Nachfrage nach Online-Diensten nicht groß ist, fehle es an finanziellen Mitteln. Die Big Player entgegnen, sie seien keineswegs Trittbrettfahrer. Zwar würden sie nicht direkt in den Glasfaserausbau oder in Mobilfunkstandards investieren, dafür aber in Rechenzentren oder Unterseekabel.

Tatsächlich haben Techunternehmen von 2011 und 2021 rund 183 Milliarden Euro für den Ausbau der Internetinfrastruktur in Europa ausgeben - zusätzlich zu der Produktion ihrer Inhalte. Davon profitieren auch Telekom-Anbieter. Berechnungen von Analysys Mason zufolge sparen sie sich durch die Investitionen von Big Tech jährlich rund eine Milliarde Euro an Netz- und Transitgebühren.

Christian Timmerer, Professor für Informationstechnik an der Universität Klagenfurt, unterstreicht diesen Aspekt im Gespräch mit der futurezone: „Große Streaminganbieter wie Netflix haben in allen größeren Ballungszentren eigene CDN-Knoten, also Servernetzwerke in unmittelbarer Nähe der Nutzer*innen“. Vor allem die würden dafür sorgen, dass der Datentransit und somit der Arbeitsaufwand für den Netzanbieter möglichst gering ist, so der Streaming-Experte.

Schließlich sind da noch die Gelder, die Internetanbieter für den Netzausbau erhalten. In den meisten EU-Ländern handelt es sich dabei um Milliardenbeträge aus öffentlicher oder privater Hand. Laut BEREC gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten für den Netzwerkausbau nicht bereits abgedeckt seien. Das entkräftet auch das Argument, die Telekomanbieter hätten zu wenig Mittel für den Netzausbau in ruralen Gebieten. 

Und selbst wenn die Telekomfirmen mehr Geld benötigen, würde es wohl noch dauern, bis sie die Abgaben tatsächlich erhalten. Viele EU-Länder haben ein klares Breitbandziel. Ein Großteil der Investitionen müsste daher schon getätigt werden, bevor die Gelder von Big Tech überhaupt wirken. 

„Netzneutralität ist nicht in Gefahr“

Die Verfechter*innen der Datenmaut beteuern immer wieder, die Netzneutralität sei von eine Abgabe nicht bedroht. Denn man habe nicht vor "die EU-Bestimmungen über die Netzneutralität abzuändern", beteuerte etwa die Kommission gegenüber der futurezone im Oktober.

Tatsächlich könnte eine Datenmaut aber die Neutralität untergraben. Zahlen die Internetriesen für ihren Zugang zur Infrastruktur, könnten sie bei den Netzanbietern bessere Konditionen erhalten und ihre Marktacht zementieren. Die Kleinen werden in ihrer Konkurrenzfähigkeit dagegen beschränkt. 

Ob dies tatsächlich geschieht, dürfte allerdings von der konkreten Ausgestaltung der Datenmaut abhängen. Flöße das Geld von den großen Techunternehmen direkt an die Netzanbieter, ist die Gefahr eines Missbrauchs der Marktmacht groß. Würde sie etwa in EU-Fördertöpfe gelangen, wäre eine Einflussnahme wohl weniger zu befürchten. Auf letztere Ausgestaltung könnte also auch die Kommission künftig pochen. 

Derzeit haben nur 57 Prozent der österreichischen Bevölkerung einen potenziellen Breitbandanschluss. Der Ausbau wird kosten.

Entscheidung noch 2023 möglich

Die Kommission dürfte all diese Argumente im Zuge des Konsultationsverfahren diskutieren. Die öffentliche Befragung geht bis zum 19. Mai. Der zuständige Binnenmarktkommissar Thierry Breton wollte sich in einer Mitteilung noch nicht darauf festlegen, ob die Techriesen tatsächlich für den Netzausbau zahlen sollten. Der Franzose erklärte jedoch zumindest, dass man sich mit dem Aspekt beschäftige. Breton gilt als telekomaffin. Der EU-Kommissar ist ehemaliger Geschäftsführer der französischen Telekom Orange und hat sich bereits in der Vergangenheit für eine Datenmaut stark gemacht.

Gegenüber Reuters sagte Breton kürzlich, er sei zuversichtlich, dass die Kommission ein Gesetz bis Ende des Jahres auf den Weg bringen könnte. Will die Kommission das Vorhaben noch in dieser Amtszeit umsetzen, drängt die Zeit. Im Frühjahr 2024 wird ein neues Europaparlament gewählt. Schon in den Monaten davor ist es traditionell schwierig, Gesetze zu finalisieren.

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Lisa Pinggera

lisa_bingernda

Von 2021 bis 2023 bei futurezone. Erzählt am liebsten Geschichten über Kryptowährungen, FinTechs und die Klimakrise. Schreibt aber über alles, was erzählenswert ist.

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