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Netzpolitik

Facebook und Instagram machen Kinder süchtig: Was steckt dahinter?

Zwei Jahre und fünf Monate war die Produktmanagerin Frances Haugen bei Facebook. Sie hat in der Abteilung für gesellschaftliche Integrität unter anderem daran gearbeitet, Manipulationsversuche bei Wahlen zu verhindern und aus dem Inneren heraus versucht, Facebook zu verändern. Doch dann traf sie eine Entscheidung: Sie wollte ihre Erkenntnisse der Welt nicht länger vorenthalten. In einer Artikelserie mit der „Washington Post“ enthüllte sie die „Facebook Files“.

In Europa gab es hier vor allem zwei Punkte, die in der Öffentlichkeit für Schlagzeilen sorgten. Einer davon betrifft Instagram. Facebook hat herausgefunden, wie gefährlich Instagram für junge Mädchen ist und das Ergebnis bewusst verschwiegen. Von Facebook engagierte Wissenschaftler*innen haben untersucht, wie Instagram junge Nutzer*innen beeinflusst.

Körpergefühl von Teenager*innen beeinflusst

In einer Studie hatten diese herausgefunden, dass eine nicht unbeachtliche Prozentzahl junger Nutzer*innen negativ beeinflusst wird. Konkret ging es um das Körpergefühl der Teenager*innen, die sich in ihrem eigenen Körper nicht mehr wohl fühlen, wenn sie die oft stark bearbeiteten Bilder auf Instagram zu Gesicht bekommen.

32 Prozent der Teenager*innen sagten laut der Studie, dass, wenn sie Probleme mit ihrem Körper haben, Instagram das verschlimmert, weil sie sich mit anderen Nutzer*innen vergleichen. Außerdem soll Instagram regelrecht süchtig machen und die Teenager*innen verbringen immer mehr Zeit auf Instagram, obwohl sie wissen, dass das schlecht für ihre Psyche ist, so die Studienautor*innen.

Denn die App liefert den Nutzer*innen immer neue Inhalte, um die Nutzungsdauer zu steigern. Die Studienautor*innen warnten deswegen explizit davor, dass man Jugendliche damit in eine Abwärtsspirale von Inhalten zieht, die gegebenenfalls schädlich sein könnten. Ähnliches kam zwar auch bei unabhängigen Untersuchungen rund um den Algorithmus von TikTok heraus, doch Facebook hat diese Ergebnisse bewusst verschwiegen.

Das hat Facebook in einer internen Studie bereits im Jahr 2019 herausgefunden, aber nichts davon kommuniziert. Instagram gibt an, sich genau angeschaut zu haben, welche Inhalte zu dem negativen Körpergefühl führen und den Algorithmus danach anders programmiert zu haben. US-Senator*innen ist dies jedoch zu wenig. Sie fordern vom US-Konzern, dass er alle Studienergebnisse offenlegen soll und keine Beweise vertuscht werden dürfen, die belegen, dass durch die Plattform jemand zu Schaden kommt.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg sprach sich für eindeutige Regeln bei der Behandlung von Jugendlichen im Netz und der Verifizierung ihres Alters aus. Accounts von Jugendlichen unter 16 sind bei Instagram nun standardmäßig nicht mehr öffentlich einsehbar.

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Mark Zuckerberg hat die Mehrheitsanteile von Facebook.

Algorithmus bevorzugt wütende Postings

Ein weiterer Punkt aus den Facebook Files, der in Europa große Wellen schlug, war jener der das Herzstück des Facebook-Imperiums betrifft: der Algorithmus, der dafür verantwortlich ist, welche Inhalte Nutzer*innen zu Gesicht bekommen. Im Jahr 2018 hatte Facebook Änderungen am Algorithmus vorgenommen, weil die Nutzer*innen davonliefen.

Danach wurden weniger externe Links angezeigt und Inhalte gefördert, die Emotionen hervorriefen – und zwar vor allem wütende und negative. Das Klima auf Facebook veränderte sich. Laut Haugen soll Zuckerberg davon gewusst haben und sich bewusst dagegen entschieden haben, diese Praxis wieder zu ändern.

Zuckerberg nahm nach einigen Tagen Funkstille – er postete vergangene Woche am Tag, an dem der Skandal hochkochte, lediglich, dass er einen „aufregenden Tag“ habe – dazu Stellung und schmetterte die Vorwürfe zurück. "Wir verdienen Geld mit Anzeigen, und die Werbekunden sagen uns immer wieder, dass sie ihre Anzeigen nicht neben schädlichen oder wuterregenden Inhalten sehen wollen", sagte der Facebook-Gründer.

Die Enthüllungen von Haugen und die Aussage von Zuckerberg müssen sich nicht zwangsläufig widersprechen: Natürlich hat Facebook nicht bewusst Algorithmen gefördert, die wütend machen, sondern nur jene, die Emotionen auslösen. Das könnten theoretisch auch positive Emotionen sein. Viele Nutzer*innen teilen nämlich nur Inhalte über ihre Highlights aus dem Leben und beteiligen sich aus Prinzip nicht an derartigen Diskussionen.

Former Facebook employee and whistleblower Frances Haugen testifies during a hearing entitled 'Protecting Kids Online: Testimony from a Facebook Whistleblower' in Washington

Frances Haugen zeigt sich für die jüngsten Enthüllungen verantwortlich

Was die Whistleblowerin als Regulierung vorschlägt

Haugen kritisiert, dass nur Facebook alleine weiß, wie der Newsfeed der Nutzer*innen – sowohl bei Facebook, als auch bei Instagram - zustande kommt, weil dieser personalisiert wird. Haugen forderte in Folge, dass unabhängigen Forscher*innen und Regulierungsbehörden Zugang gewährt wird und der Algorithmus dadurch transparenter wird. Nur so könne beurteilt werden, was das Suchtverhalten bei Teenager*innen auslöst.

Doch genau bei dieser Frage spießt es sich: Mark Zuckerberg hat nicht vor, am grundsätzlichen Verhalten von Facebook etwas zu ändern. Da er die Mehrheitsanteile besitzt, kann ihm bei seinen Entscheidungen auch niemand dreinreden. Eine weitere Enthüllung aus den Facebook Files betrifft das Thema Kinder generell. Diese werden als „wertvolles“ und „ungenutztes“ Gut gesehen.

Besonders die Zehn- bis Zwölfjährigen sind für den US-Konzern attraktiv, weil noch komplett unerreicht. Sowohl Facebook als auch Instagram sind erst ab 13 Jahren. Doch alle Produkte, die Kinder betreffen, liegen aufgrund der Enthüllungen nun vorerst auf Eis.

Doch was ist die Lösung? Demokratische US-Abgeordnete fordern eine Zerschlagung des Monopols von Facebook. Das würde bedeuten, dass Facebook, WhatsApp und Instagram drei unabhängige, getrennte Unternehmen werden müssen.

Haugen schlägt zudem eine externe Regulierungsbehörde vor, die Daten von Facebook beantragen kann. Dieser Behörde sollten auch die Algorithmen von Facebook offengelegt werden, etwa welche Inhalte präferiert werden. Laut Haugen wäre es wichtig, dass der Algorithmus der Dienste keine reine Black Box mehr ist.

Zudem soll in den USA ein bestehendes Gesetz zur Internetregulierung reformiert werden, das vorsieht, dass Plattformbetreiber*innen für ihre Inhalte haften sollen. Dieser Eingriff gestaltet sich aber als besonders heikel, da in Grundrechte wie Meinungsfreiheit eingegriffen wird.  Statt der Regulierung von Inhalten wäre es daher laut der Whistleblowerin wichtiger, dass die Empfehlungsmechanismen – also die Algorithmen - sich ändern lassen.

Europa nicht untätig, auch UK-Parlament aktiv

Auch in Europa gab es nach den Enthüllungen laute Stimmen seitens der Politik. EU-Kommissarin Margrethe Vestager betonte die Dominanz des Tech-Konzerns und die Wichtigkeit, dass dieser auch in Europa reguliert werden müsse. Auch in Europa ist eine Verpflichtung zur Transparenz im Hinblick auf Algorithmen vorgesehen, ähnlich wie dies Haugen empfiehlt. Mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act sind dazu gerade zwei neue Gesetze zur Kontrolle großer Technologiekonzerne im Entstehen. Doch der Gesetzgebungsprozess ist hier noch relativ am Anfang.

Die Facebook Files werden uns auf jeden Fall noch längere Zeit beschäftigen. Die US-Whistleblowerin Haugen soll noch im Oktober vor dem UK-Parlament aussagen. Auch ein Gespräch mit Facebooks „Oversight Board“ steht an. Das Board besteht aus 20 unabhängigen Expert*innen, die Entscheidungen von Facebook überwachen. Laut Haugen hat Facebook auch dieses Board mehrfach angelogen. Es bleibt also spannend.

Kommentar dazu: Facebook muss zerschlagen werden.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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