Warum der Staat im Internet versagt
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Einige Personen, die sich in den vergangenen Tagen für Corona-Massentests angemeldet haben, bekamen Bestätigungs-Mails zugeschickt, die für fremde Personen bestimmt waren. Die Webseite österreich-testet.at war zeitweise nicht zugänglich, zu Beginn fehlte ihr sogar das verpflichtende Impressum. Das Chaos bei der Online-Anmeldung hat nun die Stadt Linz dazu gebracht, ganz aus dem System auszusteigen.
Die mangelhafte Umsetzung dieses IT-Projekts verstärkt den Eindruck, dass der Staat momentan kein glückliches Händchen dabei hat, seine Pläne im Internet auf zeitgemäße Art umzusetzen. Für Kopfschütteln sorgte zuletzt auch der Start des "Kaufhaus Österreich", einer Plattform, die es Nutzern eigentlich schmackhaft machen sollte, heimische Online-Shops statt Amazon zu besuchen. Stattdessen funktioniert die Suche nach bestimmten Produktkategorien nicht und hie und da wird sogar auf den großen US-Konkurrenten verlinkt.
Unterdurchschnittlich
Bei den aktuellen staatlichen IT-Misserfolgen scheint es zwei große Probleme zu geben, meint IT-Experte Johannes Adler: Qualitätssicherung und die Fähigkeit, komplexe Projekte anzugehen. "Software-Entwicklung ist ein ingenieurmäßiger Prozess wie bei einem Auto. Auf der Autobahn darf das nicht auseinanderfallen. Bei Software ist das genauso", sagt Adler, der jahrelang Geschäftsführer eines österreichischen Entwicklungs- und Beratungsunternehmens war. Beim Bewusstsein für Qualität gebe es je nach Branche Unterschiede. "Im öffentlichen Bereich liegt die Qualität eher unterhalb des Durchschnitts, ist also verbesserungswürdig."
In der Vergangenheit seien Digitalisierungsprojekte auch mit mehr Nachdruck verfolgt worden, meint Adler. "In den Jahren ab 2000 ist das Thema 'eGovernment' weltweit aufgekommen. Österreich hat massiv investiert und war in internationalen Vergleichen führend. Derzeit gibt es weniger konkrete Maßnahmen, sondern eher Lippenbekenntnisse."
Auf Partner verzichtet
Beim "Kaufhaus Österreich" sei es ein fundamentaler Fehler gewesen, das Bundesrechenzentrum mit der Umsetzung zu betrauen. "Das BRZ hat seine Kompetenzen, zählt aber nicht zu den Unternehmen mit umfangreicher Erfahrung in der Plattformentwicklung zu machen. In Österreich gibt es genügend Expertise dafür, aber man hat es verabsäumt, hierfür geeignete Partner mit an Bord zu nehmen und schwimmt zu sehr im eigenen Saft."
Zeitdruck
Mit der Online-Anmeldung zu den Corona-Massentests wurde das Unternehmen World Direct beauftragt. Mit der Firma bestand bereits ein Rahmenvertrag. Die Fehler bei der Projektumsetzung seien wohl dem Zeitdruck zu verdanken. "Da gab es wohl einen Fehler im Projektmanagement. Dessen Aufgabe ist es ganz klar, Druck abzufedern und zu sagen: Der Termin ist nicht möglich." Adler könne die Situation aber gut verstehen, er selbst habe in der Vergangenheit ähnliche Erfahrungen gemacht.
"Es gehört zu gutem Projektmanagement zu unterscheiden, welche Risiken auch in Hinblick auf Terminzusagen man bereit ist in Kauf zu nehmen und welche nicht. Jedenfalls darf ein beschleunigtes Vorgehen nicht bedeuten, auf den Test zu verzichten bevor man online geht."
Beirat schaffen
Um Probleme wie die aktuellen in Zukunft zu vermeiden, rät Adler der für Digitalisierung zuständigen Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck einen aktiven Beirat einzusetzen, in dem "nicht nur die üblichen Verdächtigen" sitzen, sondern Köpfe mit breiterer Erfahrung und größerer Innovationsfreudigkeit - aus dem wissenschaftlichen Umfeld, aus großen Unternehmen und aus Start-ups. "Sie muss sich mehr Meinungsvielfalt holen."
Nutzerfokus bei eGovernment
"Bei eGovernment haben wir uns zu lange auf unseren Lorbeeren ausgeruht", meint Digitalisierungsexperte Thomas Klein. "Da haben uns inzwischen etliche Länder den Rang abgelaufen." Laut dem Geschäftsführer der Beratungsagentur Wonderwerk, hätten die internationalen Vorreiter bei der Verlagerung von Amtswegen in das Internet, etwas geschafft, wo Österreich noch hinterherhinke: "Das nutzerzentrierte Arbeiten."
Für das Gelingen von Digitalisierungsprojekten sei es maßgeblich, Bürger von Anfang an miteinzubinden. "Wenn es um ein kommerzielles Projekt ginge, würde man das immer berücksichtigen, aber der öffentliche Sektor hat hier noch zu wenig Ausrichtung."
Musterbeispiel Großbritannien
Als Musterbeispiel bei eGovernment sieht Klein Großbritannien. Dort gebe es das Government Digital Service, eine Digitalisierungsagentur, die wie ein Start-up agiere, mit flachen Hierarchien, offener Fehlerkultur und Unabhängigkeit vom üblichen Beamten-Gehaltsschema. "Das schafft ein ganz anderes Mindset, das in Östereich noch nicht existiert."
Dem heimischen "Digitalen Amt" sehe man das an. "Wenn etwas zu einem politischen Leuchtturmprojekt erklärt wird, ist Marketing wichtiger als Benutzbarkeit." Über die schlechten Bewertungen der "Digitales Amt"-App brauche man sich daher nicht zu wundern.
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