Ich habe mein Smartphone gegen ein billiges Klapp-Handy getauscht
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Immer wieder ist zu lesen, dass GenZ-Leute auf Feature-Phones zurückgreifen. Trifft sie sich mit Freunden, bleibt das Smartphone zu Hause: Mitgenommen wird stattdessen etwa ein Klapp-Handy ohne mobiles Internet, um der digitalen Ablenkung zu entkommen.
Wie verbreitet dieser Trend abseits von TikTok-Videos tatsächlich ist, ist schwer zu sagen. "Digital Detox" ist jedenfalls ein wichtiges Thema, das sich über alle Generation hinwegzieht. Ob das mit einem Android-losen Klapp-Handy von Nokia funktioniert, habe ich mir in einem Selbstversuch angesehen - den ich nicht lange durchgehalten habe.
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Das einzig wahre Klapp-Handy?
Gewählt habe ich dafür das Nokia 2660 Flip, das auf Amazon ab 65 Euro zu haben ist. Es ist ein klassisches Feature-Phone, das bei den Älteren unter uns eine gewisse Nostalgie aufkommen lässt.
Auf dem 2660 Flip läuft eine Software, die Nokia als S30+ bezeichnet. Der Funktionsumfang und die vorinstallierten Anwendungen sind auf das Allernötigste reduziert.
Eine mühsame Zeitreise
Das Nokia 2660 Flip zu verwenden, ist eher eine schwerfällige Zeitreise als eine genüssliche Experience. Beim mühsamen Bedienen wird man dabei immer wieder daran erinnert, wie der Umgang mit Mobiltelefonen in den frühen 2000er-Jahren war. Eines steht gleich zu Beginn fest: Früher war nicht alles besser!
Entweder waren die originalen Nokia-Phones von einer anderen Qualität oder es liegt an meiner glorifizierenden Erinnerung - denn robust und unzerstörbar wirkt das 2660 Flip gar nicht.
Die Kunststoffrückseite, die zum Einlegen des Akkus und der SIM-Karte abgenommen werden muss, scheint ein wenig fragil zu sein. Recht stabil ist hingegen der Klappmechanismus.
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Technische Spezifikationen
Nokia 2660 Flip
- Maße und Gewicht: 108 x 55 x 18,9 Millimeter; 123 Gramm
- Display:
- Innen-Screen: 2,8 Zoll, TFT LCD, 240 x 320 Pixel (388 ppi), 1.300 nits (peak)
- Außen-Screen: 1,77 Zoll
- Kamera:
- 0,3 MP Hauptkamera
- Video: 320 x 240 Pixel, 16 fps
- Prozessor: Unisoc T107 (22 nm)
- Speicher: 128 MB / 48 MB RAM
- Akku: 1.450 mAh wechselbar, 2,75 Watt Charging, kein Wireless-Charging
- Software: S30+
- Sonstiges: Micro USB, Bluetooth 4.2, 3,5mm Kopfhöreranschluss, FM-Radio, Slot für MicroSD-Karten (bis zu 32 GB), kein 5G, kein GPS, keine eSIM, kein NFC, kein Wlan
- Farben: Lush Green, Pop Pink, Rot, Blau, Schwarz
- Preis: gesehen ab 65 Euro (79,99 Euro UVP)
Es ist kompliziert
Die ersten Schritte auf dem Nokia-Handy sind ziemlich behäbig und holprig. An die wenig intuitive Bedienung mittels Steuerkreuz und Funktionstasten, gepaart mit dem mickrigen TFT-Screen, muss man sich erstmal gewöhnen.
Der absolute Horror ist das Schreiben auf dem Tasten-Handy. Bis ich das wenig hilfreiche Wörterbuch beziehungsweise die Belegung der einzelnen Tasten samt Großschreibung halbwegs in den Griff bekommen habe, bin ich ungefähr ein halbes Dutzend Mal an meine Frustrationsgrenze geraten. Nun ja, viel werde ich mit dem 2660 Flip ohnehin nicht schreiben, wie sich später herausgestellt hat.
Zu entdecken gibt es im 2660 Flip nicht viel: Es gibt einen FM-Radio, MP3-Player, Taschenrechner, Wecker, Voice-Recorder, Kalender sowie eine Kamera, deren Blitz als Taschenlampe verwendet werden kann. Die Highlights des 2660 Flip sind der Web-Browser und die Spiele.
Kamera mit 1990er-Jahre Ästhetik
Wenig überraschend ist die Kamera des 2660 Flip mehr oder weniger unbrauchbar. Ansehnliche Bilder oder Videos kann man mit der 0,3 MP Kamera schlichtweg keine aufnehmen. Sie eignet sich nicht einmal für etwaige Schnappschüsse, am ehesten noch zum Abfotografieren von gut ausgeleuchteten Notizzetteln.
Die Kamera kann am ehesten einigen Möchtegern-Kunststudent*innen als Werkzeug dienen, mit denen sie das reale Leben in der wiederentdeckten 1990er-Jahre Ästhetik festhalten und damit der virtuellen und imaginären Pseudo-Perfektion auf Instagram lautstark entsagen.
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Zeitvertreib mit Snake und Tetris
Bei den Games ist natürlich Snake die erste Anlaufstelle. Kurz kam so etwas wie Nostalgie auf. Doch nachdem ich die Schlange ein paar Minuten lang im Kreis geschickt habe, musste ich auch hier feststellen: Früher war nicht alles besser. Reiz und Suchtfaktor, die das Spiel vor etwas mehr als 20 Jahren hatte, sind verloren gegangen - zumindest bei mir.
Am längsten habe ich mich mit Tetris aufgehalten. Der Klassiker geht immer und lässt sich auch auf dem Mini-Display einwandfrei spielen. Auch das Autorennspiel Racing Attack ist für das 2,8 Zoll TFT-Panel geeignet, wirklich Spaß hat es mir aber nicht gemacht.
Das Internet ist weit entfernt
Der Web-Browser funktioniert. Das ist dann aber auch schon alles, was man Positives über diese Anwendung sagen kann. Schon allein das Eingeben einer URL ist derart mühsam, dass ich beinahe mehrmals genervt aufgegeben hätte.
Als ich es dann doch geschafft habe www.futurezone.at in die Adresszeile einzugeben, musste ich feststellen, dass die Darstellung unserer Website nicht für den Browser und das Mini-Display optimiert ist. Bilder werden erst gar nicht dargestellt. Dafür kann man den Text lesen - sofern man sich von der fehlenden Formatierung nicht abschrecken lässt.
Facebook hat auf dem Startscreen ein eigenes App-Icon erhalten. Klickt man drauf, öffnet sich nur der Browser mit der mobilen Web-Version des sozialen Netzwerkes. Zum Scrollen und Verweilen lädt Facebook auf dem Nokia 2660 Flip nicht ein. Wobei ich mir noch immer unsicher bin, ob das an der miesen Darstellung oder an den schlechten Inhalten liegt.
Vielmehr als hier beschrieben, gibt es auf dem Flip-Phone eigentlich nicht zu tun. Es gibt keinen App-Store, kein WhatsApp oder andere Messenger. Es gibt keine Musik-Streaming-Apps oder Kartendienste - das 2660 Flip hat ja nicht einmal einen GPS-Antenne eingebaut. Es gibt auch keine anderen smarten Anwendungen, die auf Smartphones seit Jahren zum Alltag gehören.
Smartphone vs. Feature-Phone
Nachdem ich mich mit dem Flip-Phone vertraut gemacht habe, kam es zum Showdown: Wie ist es, wenn man sein Smartphone gegen das Nokia 2660 Flip eintauscht? Für mich war das wie ein Schlag ins Gesicht - ohne Übertreibung: Für einen Heavy-User wie ich es bin - nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.
Mein Smartphone verwende ich zum Bezahlen, dort ist meine Öffi-Jahreskarte hinterlegt, ich nutze die Kartendienste quasi jedes Mal, wenn ich unterwegs bin. Nachschlagen im Web-Browser - etwa auf Wikipedia - mache ich öfter als es mir lieb ist. Fotos und Videos nehme ich bei jeder noch so schlechten Gelegenheit auf und die Kamera verwende ich nahezu täglich als eine Art Notizblock.
Wetter-Vorhersage, Musik-Streaming, Erinnerungs-App, Kalender, Fußball-Livescore und das Steuern von Smart-Home-Komponenten gehören ebenso zu meinem Smartphone-Alltag. WhatsApp und andere Messenger-Anwendungen sind ohnehin meine Kommunikationskanäle, die ich von früh bis spät nutze.
Verloren im Analogen
All diese Annehmlichkeiten fallen mit Nokia 2660 Flip komplett weg. Als ich nur mit dem Feature-Phone unterwegs war, war es für mich ungefähr so, als hätte ich gar kein Telefon dabei. Die einzigen sinnvollen Dinge, die man damit machen kann, sind Telefonieren und SMS-Schreiben. Und ich meine: Wer telefoniert oder SMSt denn heutzutage noch?
Mit einem Handy ohne WhatsApp ist man quasi nicht erreichbar. Mit einem Handy ohne Kartendienst ist man (in einer fremden Stadt) quasi verloren. Mit einem Handy ohne Bezahlfunktion muss man plötzlich seine Geldbörse wieder mitnehmen. Auch das Öffi-Ticket musste ich wieder einpacken.
Dringende Fragen bleiben unbeantwortet
Mit einem Handy ohne brauchbaren Browser wird man zufällig auftretende und wirklich dringende Fragen nicht so leicht beantwortet können, beispielsweise: Welcher weltberühmte Sänger teilt sich seinen Geburtstag mit Axl Rose, Bob Marley und Ronald Reagan oder wer hat den EurovisionSong Contest 1976 gewonnen? (Es war übrigens Brotherhood Of Man mit Save Your Kisses For Me für Großbritannien)
Mit einem Handy ohne Musik-Streaming muss man wieder seine MP3-Sammlung ausgraben. Wobei das Schmökern in den alten MP3s eine schöne Folgeerscheinung des Handy-Tauschs war - aber das ist eine andere Geschichte.
Die Zeit steht still
Die genannten Einschränkungen empfand ich als ziemlich unnötig. All diese Funktionen sind Features, die mir den Alltag erleichtern. Davon benötige ich kein "Digital Detox". Von mir aus könnten ruhig noch mehr Alltagsangelegenheiten für das Smartphone digitalisiert werden.
Dann gab es aber noch eine andere Seite in meinem kurzzeitigen Smartphone-losen Dasein: Mit einem Handy ohne Instagram oder TikTok gibt es keine Gefahr, dass man sich im endlosen Scrollen durch x-beliebige Inhalte verliert.
Es gibt auch keine ablenkenden Benachrichtigungen, SMS oder Breaking-News-Notifications. Mit einem Handy ohne brauchbarer Internetanbindung gibt es eigentlich überhaupt keine News. Hätte das Feature-Phone keine Uhr, könnte man meinen, die Zeit scheint still zu stehen.
Sinnlose Zeitfresser und ablenkende Funktionen
Den Selbstversuch habe ich relativ schnell wieder beendet. Der Schritt, das Smartphone gegen ein Feature-Phone einzutauschen, war mir etwas zu radikal. Ich hatte überhaupt nicht das Gefühl, dass ich ohne Smartphone konzentrierter, fokussierter oder ruhiger bin.
Im Gegenteil: Mit meinem Smartphone habe ich alles an einem Platz, immer mit dabei. Was die sinnlosen Zeitfresser und ablenkenden Features sind, ist mir ohnehin klar. Dazu benötige ich keine so drastische Einschränkung.
Mein eigenes Smartphone-Verhalten richtig zu reflektieren und zu überdenken, war am Ende das positivste Ergebnis dieses Selbstversuchs. Ein bisschen mehr Selbstdisziplin und ein bewussterer Umgang mit dem Smartphone bringen deutlich mehr. Man muss nicht gleich alle praktischen Funktionen über Bord werfen.
Einfach nicht mehr zeitgemäß
Das größte Problem am Feature-Phone ist, dass eben nicht nur die Zeitfresser-Anwendungen wegfallen, sondern auch alle sinnvollen Features. Mit dem 2660 Flip ist man auf jene Dinge beschränkt, die man eigentlich am allerwenigsten nutzt: Telefonieren und SMS-Schreiben.
Es gibt aber auch Feature-Phones von Nokia, die zumindest WhatsApp unterstützen. Nämlich jene, die unter KaiOS laufen. Das wären zum Beispiel das Nokia 800 für rund 109 Euro oder das Nokia 6300 4G für 89 Euro.
Eines noch: Beim Nokia 2660 Flip wird der Restakku nicht in Prozent angezeigt. Das ist auch gar nicht notwendig, weil die Batterie ewig hält. 9 Tage nachdem ich es voll aufgeladen habe, hatte das Handy immer noch ungefähr 50 Prozent Restakku.
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