Ariane 6: Warum die Trägerrakete für Europa so wichtig ist
Heute Abend soll die europäische Launcher-Krise Geschichte werden. Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 soll erstmals abheben und damit Europa wieder einen eigenen Zugang zum Weltraum verschaffen.
Seit die letzte Ariane 5 im Juli 2023 startete, hat Europa keine flugbereite Rakete mehr. Die kleinere Vega-C musste nach einem gescheiterten kommerziellen Flug 2022 umgebaut werden und ist noch nicht wieder gestartet. Ariane 6 hätte eigentlich 2020 starten sollen, ließ aber auf sich warten. ESA-Direktor Josef Aschbacher sprach damals von "schweren technischen Mängeln" und einem "nicht haltbaren Zeitplan".
Risikoreicher Jungfernflug
Immer wieder wurde der Erstflug nach hinten verschoben. Die ESA zeigt sich nun aber zuversichtlich, dass die Rakete für einen erfolgreichen Jungfernflug bereit ist. Doch das birgt immer auch ein Risiko. Ariane 5 explodierte bei ihrem ersten Start, was den kommerziellen Betrieb zurückwarf.
„Das Risiko eines vollständigen oder teilweisen Fehlschlags ist bei jedem Raketenstart gegeben, mehr noch bei einem Erstflug, wenn viele Komponenten einer neuen Rakete zum ersten Mal den realen Flugbedingungen ausgesetzt werden“, bestätigt Werner Balogh, Leiter der Politik und Kommunikation für Raumtransport der ESA, gegenüber der futurezone.
Man habe genaue Fehlerstrukturanalysen durchgeführt, um mögliche Fehlerquellen im Vorhinein zu identifizieren und das Fehlerrisiko zu minimieren. Trotz vieler Tests am Boden können aber nicht alle Fehlermöglichkeiten vollständig simuliert werden, weshalb ein Restrisiko bleibt. „Sollte es beim Erstflug zu einer Fehlfunktion kommen, würde eine unabhängige Untersuchungskommission etabliert, um den genauen Fehlerhergang zu eruieren, zu verstehen und Maßnahmen zur zukünftigen Vermeidung zu ergreifen“, sagt Balogh. Wie lange ein Fehler den regulären Betrieb zurückwerfen würde, hänge dabei von der Schwere und Komplexität der Fehlfunktion ab.
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Nicht wettbewerbsfähig
Gelingt die Premiere, soll der erste kommerzielle Flug der Ariane 6 noch in diesem Jahr stattfinden. 2025 sollen dann 2 weitere Starts durchgeführt werden, 2026 sind 8 Starts geplant. Ab 2027 sollen 10 Flüge pro Jahr stattfinden können.
Hier offenbart sich die große Schwäche der neuen Rakete. Sie steht in direkter Konkurrenz mit der Falcon 9 von SpaceX. Da die Rakete des privaten Unternehmens aber wiederverwendbare Booster hat, kann diese Rakete deutlich häufiger abheben. 2023 wurden 96 erfolgreiche Starts durchgeführt, was 43 Prozent aller Raketenstarts weltweit entspricht.
Mit 10 Flügen pro Jahr ist Ariane 6 hier nicht wettbewerbsfähig. Zwar werden bereits Konzepte erarbeitet, wie Teile der Ariane 6 oder ihrer Nachfolgerin wiederverwendbar werden können – in dieser Dekade ist damit aber nicht zu rechnen.
Dass die Rakete im internationalen Vergleich hinterherhinkt, ist auch der langen Entwicklungszeit geschuldet. 2014 startete die Entwicklung, damals war Wiederverwendbarkeit noch kein Thema. Später war die Entwicklung bereits zu weit fortgeschritten, um das System zu ändern. Das hätte die Entwicklung zu weit zurückgeworfen. Daher wählte man den sicheren Weg: Besser eine nicht wettbewerbsfähige Rakete zu haben als gar keine.
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Unabhängiger Zugang zum Weltraum
„Ein autonomer Zugang zum Weltraum ist aufgrund der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedeutung des Weltraums unumgänglich für Europa und für die nachhaltige Zukunft und den Wohlstand seiner Bürger“, erläutert Balogh. Wie alle anderen bedeutenden Weltraumnationen sichere sich so auch Europa einen unabhängigen Zugang zum Weltraum. Nur so könne sichergestellt sein, dass Europa über seine eigenen Aktivitäten im Weltraum entscheiden und sie kontrollieren kann.
Anders als die private Firma SpaceX ist Europa auch dem wissenschaftlichen Betrieb verpflichtet. 25 Prozent der Flüge sind institutionell und damit für die Forschung reserviert. Der Rest ist kommerziell und soll unter anderem Satelliten für Amazons Starlink-Konkurrenten Kuiper ins All bringen. 18 Flüge wurden von Amazon-Chef Jeff Bezos bereits dafür gebucht.
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Österreichische Beteiligung
Die Rakete selbst ist auch für Österreich ein Wirtschaftsfaktor. 13 Mitgliedsstaaten sind am Bau beteiligt. Das Wiener Hightech-Unternehmen TTTech steuerte Chips und Sensoren bei, die für das Nervensystem der Rakete und den sicheren Datenaustausch notwendig sind.
TTTech hatte für die Entwicklung der strahlungssicheren und für den Weltraum qualifizierten Chips Zuschüsse der ESA bekommen und so Technik entwickeln können, aus denen schließlich neue Geschäftsmodelle entstanden. Mit diesen ESA-Förderprogrammen wird es großen und kleinen Unternehmen erst möglich, neue innovative Technologien zu entwickeln.
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Neben TTTech sind auch die Österreicher von Beyond Gravity beteiligt. Sie arbeiteten am Vinci-Triebwerk mit, das eine der Besonderheiten der Raketenoberstufe ist. Es kann im All erneut gezündet werden und so Nutzlasten flexibel in verschiedene Orbits bringen.
Normalerweise bringt eine Rakete die gesamte Nutzlast entweder in einen niedrigen Erdorbit (LEO) oder den weiter entfernten geostationären Orbit (Geostationary Transfer Orbit, GTO). Ariane 6 kann das in einem Flug erledigen. Zudem hat das System damit auch genügend Schub für Flüge zum Mond. Es wird die Rakete in 2 Varianten geben: Ariane 62 mit 2 Boostern und Ariane 64 mit 4 Boostern.
Ariane 62 und Ariane 64
Die 2 Varianten der Ariane 6:
Ariane 62:
- Sie startet mit 2 P120 Feststoffboostern
- LEO-Nutzlast: 10,3 Tonnen
- GTO-Nutzlast: 4,5 Tonnen
- Höhe: 60 Meter
Ariane 64:
- Sie startet mit 4 P120 Feststoffboostern
- LEO-Nutzlast: 20,6 Tonnen
- GTO-Nutzlast: 11,5 Tonnen
- Höhe: 60 - 66 Meter
Kleine Satelliten und Experimente
Bei ihrem Erstflug soll Ariane 6 kleine Satelliten (CubeSats) und Experimente ins All bringen. Insgesamt sind 17 Objekte an Bord. Da ein Risiko besteht, dass sie zerstört werden, werden keine wichtigen Frachten transportiert.
Trotzdem haben sie einen Zweck. So soll etwa das lampenschirmgroße Experiment Nyx Bikini Daten sammeln, die bessere Modelle für das Verglühen von Objekten in der Erdatmosphäre ermöglichen. Die Kamera YPSat soll den gesamten Flug bis zum Wiedereintritt filmen und der kleine NASA-Cubesat CURIE soll Radiowellen der Sonne messen, die von der Ionosphäre der Erde erfasst werden.
Das Launch-Fenster des Erstflugs der Ariane 6 beginnt am 9. Juli um 20 Uhr MESZ und endet um 0 Uhr. Die Übertragung auf dem YouTube-Kanal der ESA beginnt 19.30 Uhr.
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