Astronautin Carmen Possnig und ESA-Chef Josef Aschbacher.

Astronautin Carmen Possnig und ESA-Chef Josef Aschbacher.

© Kurier / Tobias Steinmaurer

Science

"Wir wollen eine Basis auf dem Mond errichten"

Die Raumfahrtagentur ESA bemüht sich darum, im Weltall nicht den Anschluss zu verlieren.

Die Raumfahrt hat wieder Hochkonjunktur. Die USA, China und Russland, aber auch Japan, Saudi-Arabien und Indien, investieren in den Sektor. Die europäische Raumfahrtagentur ESA hinkt hinterher und will als Partner bei der Artemis-Mondmission der NASA diesen Rückstand aufholen. Die futurezone hat mit ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher und der Astronautin Carmen Possnig darüber gesprochen.

futurezone: Die letzten Mondlandungen sind gut 50 Jahre her. Wieso beschließt man ausgerechnet jetzt, wieder auf den Mond fliegen zu wollen?
Aschbacher: Jetzt wieder zurück auf den Mond zu gehen, ist ganz anders. Damals war es ein Wettkampf zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen System. Damals ist es darum gegangen, auf den Mond zu fliegen, eine Fahne zu hissen und wieder zurückzufliegen. Heute geht es um viel mehr. Heute ist die Mondmission eine Exploration, wo wir einen neuen Kontinent, einen neuen Himmelskörper erkunden. Wir wollen dort eine Infrastruktur aufbauen, eine Basis errichten, um zu forschen und zu sehen, was man dort machen kann. 

Ist es heutzutage deshalb so viel schwieriger, eine Mondmission zu planen, weil der Aufwand so viel größer ist als in den 60er-Jahren?
Aschbacher: Damals hat die amerikanische Wirtschaft 4 Prozent des Bruttosozialproduktes für den Mondflug investiert - 4 Prozent ist heute in etwa das Verteidigungsbudget Amerikas. Heute ist der Aufwand in den USA etwa ein Zehntel dessen, was es in den 60er Jahren war.

Was bringt so ein Mondflug eigentlich den Menschen auf der Erde?
Aschbacher: Weltraumforschung hat viele Aspekte, die nützlich sind. Erdbeobachtung, Navigation und Telekommunikation zum Beispiel. Unser tägliches Leben hängt von den Navigations- oder Wettersatelliten ab. Für den Jupiter-Satelliten Juice haben wir Solarmodule entwickelt, die viel effizienter sind als die, die wir auf der Erde verwenden. Diese Forschung kann dann auf der Erde angewandt werden, um die Erzeugung erneuerbarer Energie effizienter zu machen. Die Exploration, also der Schritt zum Mond zum Beispiel, ist die Speerspitze dieser Forschung.

Braucht man dafür unbedingt Astronaut*innen oder könnten das nicht auch Roboter machen?
Possnig: Das ist natürlich noch mal was ganz anderes. Es gibt Dinge, wo es einfach Menschen dahinter braucht, um diese Experimente durchzuführen. Wenn wir uns zum Beispiel die Reichweite des Mars-Rovers Opportunity anschauen, der hat innerhalb von fünf oder acht Jahren, insgesamt 35 Kilometer zurückgelegt. Das ist im Prinzip die Reichweite, die die letzten 2 Apollo-Astronauten innerhalb von 3 Tagen geschafft haben.

Interview mit ESA-Chef Josef Aschbacher und Astronautin Carmen Possnig

Astronautin Carmen Possnig

Menschen haben auch viel mehr wissenschaftlich hochwertigen Output. Wenn man sich ansieht, wie oft die Papers der Apollo-Missionen zitiert werden und wie oft die Papers aus Roboter-Missionen, erkennt man, dass man durch das menschliche Denken viel mehr Resultate herausbekommt. 

Als Astronaut*in hat man auch eine gewisse Vorbildfunktion, um die junge Generation für die Raumfahrt zu interessieren. Wie schafft man das bei der ESA?
Aschbacher: Ich sehe bereits heute, dass einige unserer besten Talente nach Amerika, Saudi-Arabien oder Japan gehen, weil sie in Europa vielleicht nicht genügend Möglichkeiten haben, interessante Projekte durchzuführen. Wenn Europa nicht eigene, sichtbare Programme aufbaut, dann wird dieser Braindrain zunehmen. Insofern ist das Mondprogramm auch mit seiner Symbolkraft wichtig, um diese Leute hier zu behalten und auch Talente aus dem Ausland anzuziehen.

Eine Marsmission hätte wohl eine noch bedeutendere Symbolkraft. 
Possnig: Natürlich ist der Mars interessant. Ich nehme an, dass die Generation, die tatsächlich am Mars landen wird, schon geboren wurde. Das bereiten wir im Moment vor. Wir fliegen ja auch zum Mond, um auszutesten, wie es ist, wenn man auf einem anderen Himmelskörper eine permanente Station aufbaut und dort dann selbstständig überlebt und arbeitet. Und alles, was wir daraus lernen, wird uns dann helfen, zum Mars zu fliegen. 

Es gibt gerade Hochkonjunktur in der Raumfahrt, besonders in den USA und China. Wurden wir hier nicht schon abgehängt?
Aschbacher: Ja, wir hinken etwas hinterher. Natürlich hat Amerika über die Jahrzehnte eine enorm starke Infrastruktur aufgebaut. Heute gibt Amerika im Weltraumsektor etwa sechsmal so viel aus wie Europa. China holt enorm auf, Russland hat klassischerweise seit Jahrzehnten eine sehr starke Weltraumindustrie. Aber auch andere Länder, die Vereinigen Arabischen Emirate zum Beispiel, Saudi-Arabien, Japan, Indien und viele andere Länder investieren zunehmend im Weltraum.

Gibt es auch unter den Regierungen Europas den Willen, mehr in die Raumfahrt zu investieren?
Aschbacher: Bei der ESA-Ministerratskonferenz im vergangenen November haben wir 17 Prozent mehr Budget bekommen – in einer Zeit, in der die Rahmenbedingungen durch den Krieg in der Ukraine und die Inflation noch nie so schlecht waren. Die Inflation kommt noch obendrauf: Bei sagen wir 15 Prozent in den nächsten 3 Jahren macht das insgesamt 30 Prozent Zuwachs. Die Entscheidungsträger der 22 Mitgliedsländer der ESA haben erkannt, wie wichtig der Weltraum für Europa ist.

Interview mit ESA-Chef Josef Aschbacher und Astronautin Carmen Possnig

ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher.

Aber diese 22 Mitgliedsländer wollen alle ein Wörtchen mitreden, wofür ihr Geld ausgegeben werden soll. 
Aschbacher: 22 Mitgliedsländer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ist nicht immer einfach, aber es ist meine Aufgabe als Generaldirektor. Und es ist auch eine Stärke, wenn man ein Programm aufstellen kann, an dem sich sowohl große als auch kleine Länder beteiligen können. Diese Weltraumprogramme haben auch sehr starke, einigende Wirkungen. Das darf man nicht unterschätzen.

Wie stark spielt da die militärische Nutzung des Weltraums eine Rolle? Diese wird durch den Krieg in der Ukraine immer wichtiger?
Aschbacher: Wir haben keine direkten militärischen Programme, allerdings entwickeln wir Weltraumtechnologien, die natürlich auch für die Sicherheit verwendet werden. Ein Beispiel ist (das Navigationssystem) Galileo. Da gibt es das sogenannte PRS-Signal, das auch für verschiedene militärische Aufgaben verwendet wird.

Die ESA hat in den vergangenen Jahrzehnten immer auf internationale Zusammenarbeit gesetzt. Durch den Krieg in der Ukraine fiel Russland allerdings als Partner weg, die USA schotten sich zunehmend ab. Ist man da vielleicht eine falsche Schiene gefahren?
Aschbacher: Überhaupt nicht. Die ESA ist die Weltraumorganisation mit den meisten internationalen Kooperationsabkommen. Wir haben etwa 500 Abkommen, die derzeit laufen, und wir intensivieren diese Kooperationen sogar. Es ist nämlich eine Stärke Europas, durch Kooperationen mit anderen Ländern gut zusammenzuarbeiten. Auch mit der NASA arbeiten wir intensiv zusammen, in Bereichen wie Astronautik, Weltraumwissenschaft oder Klimaforschung.

Die USA setzen immer stärker auf die Privatisierung der Raumfahrt, Stichwort SpaceX. Welche Gründe hat das?
Aschbacher: Das hat 2 Gründe: Der Markt in Europa ist erstens viel kleiner als in Amerika. In Amerika finden pro Jahr etwa 100 Raketenstarts statt, die meisten davon für die US-Regierung. In Europa ist das Äquivalent etwa 5 bis 10 Starts, je nach Jahr. 

Interview mit ESA-Chef Josef Aschbacher und Astronautin Carmen Possnig

ESA-Generalsekretär Josef Aschbacher

Der zweite Punkt ist, privaten Anbietern gesicherte Aufträge anzubieten. Ich bin aber gerade dabei, diesen Punkt bei der ESA stark zu ändern. Es gibt in Europa zum Beispiel 10 bis 15 kleinere private Launcher-Projekte, die Satelliten in der Größenordnung einiger Hundert Kilo mit Mikro- und Miniraketen in den Orbit bringen wollen. Keine von denen hat bisher aber einen Erststart gemacht. Jetzt bin ich dabei, über den Wettbewerb Angebote für den Start der kleineren ESA-Satelliten einzuholen. Im Laufe der nächsten Monate werden wir dann mit jenen Firmen Verträge abschließen, von denen wir glauben, dass sie technisch qualifiziert sind. Das heißt, diese Firmen können mit dem Auftrag der ESA zu einer Bank gehen und dort neue Kredite bekommen, um die Entwicklung voranzutreiben. Das ist ein System, das ich entwickeln will, um auch neues Geld aus der Finanzwelt in den Weltraum zu bringen. Weltweit beträgt die Finanzierung aus dem privaten Sektor im Weltraum etwa 10 Milliarden Dollar für das Jahr 2022.

Liegt es auch ein bisschen an der Learning-by-Doing-Mentalität der amerikanischen Weltraum-Start-ups? Elon Musk scheint es nicht zu stören, wenn seine Raketen bei Tests beim oder kurz nach dem Start explodieren. 
Aschbacher: Sicher, die Mentalität ist eine andere, das ist richtig. Diese Mentalität ist aber auch in Europa vorhanden und wird auch von uns gefördert. Amerika hat durch sein System für Privatinitiativen relativ viel Geld auf den Tisch gelegt. Mittel- bis langfristig hat es so ein Ökosystem erzeugt, das ganz einfach sehr wettbewerbsfähig ist.

Frau Possnig, wenn Sie so einen Flug wie des Starship von SpaceX sehen, das nach wenigen Minuten explodiert, hat man da als Ersatzastronautin nicht ein mulmiges Gefühl im Magen?
Possnig: Es war ja ein erster Flug und kam nicht völlig unerwartet. Bis man dann tatsächlich dahin kommt, dass das Starship wirklich auch für Menschen freigegeben wird, wird sicher noch Zeit vergehen. Und dann werden Astronaut*innen auch bereit sein, einzusteigen und damit zu fliegen.

Interview mit ESA-Chef Josef Aschbacher und Astronautin Carmen Possnig

Dazu braucht es auch Orte, wo man hinfliegen kann. Die ISS wird bekanntlich 2030 stillgelegt, Privatfirmen planen bereits, eigene Raumstationen aufzubauen. Ist die ESA da auch dabei?
Aschbacher: Wir als ESA sind hier sehr interessiert, auch europäische Partner einzubinden. Von unserer Seite werden wir das unterstützten, indem wir Technologieentwicklungen unterstützen, um europäische Firmen zu attraktiven Partnern zu machen. Wie viele von diesen Stationen es geben wird, ist nicht entschieden. Das wird auch der Markt entscheiden.

Kommen wir zum Schluss noch zur Europa-Rakete: Die Ariane 5 hat im Juni ihren letzten Flug, der Start der Ariane 6 könnte sich noch ein, vielleicht 2 Jahre verzögern. Wie überbrückt man diese Zeit?
Aschbacher: Der Erststart der Ariane 6 ist noch nicht festgelegt, das Datum ist abhängig von den Ergebnissen der nächsten Tests, die durchgeführt werden. Ende August, Anfang September werden wir in einer besseren Situation sein, um ein Startdatum oder eine -periode festlegen zu können. Aber es ist nicht mehr weit entfernt - ich hoffe weniger, als Sie angedeutet haben. Wir werden aber Zwischenlösungen finden müssen, weil wir Satelliten haben, die gestartet werden müssen. Einer dieser Satelliten ist Euclid, der Anfang Juli mit SpaceX gestartet wird. 

Lohnt sich das finanziell?
Aschbacher: Finanziell ist es sicher günstiger, wenn man Satelliten startet, als sie am Boden zu behalten, weil man sie dabei einmotten müsste. Dann müsste man sie wieder reaktivieren, testen und sicherstellen, dass alle Elemente funktionieren. 

Geplant ist auch, dass man ab 2025 ein eigenes europäisches Satelliteninternet aufbauen will. Welchen Launcher wird man da verwenden?
Aschbacher: Ariane 6 ist vorgesehen, aber auch Vega C. Ich bin mir sicher, dass wir bis dahin eine funktionierende Startsequenz aus diesen beiden Raketen haben - und eventuell werden kleinere Satelliten sogar durch Mikro-Launcher ins All gebracht.

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Marcel Strobl

marcel_stro

Ich interessiere mich vor allem für Klima- und Wissenschaftsthemen. Aber auch das ein oder andere Gadget kann mich entzücken.

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