Den Fluss verstehen, um Hochwasser zu vermeiden
Auf einmal geht es ganz schnell: Der Fluss tritt über die Ufer, bringt Schlamm und Geröll, überflutet Keller und Erdgeschosse, reißt Mauern nieder und Autos mit sich. Solche Bilder musste man Mitte September leider aus großen Teilen Österreichs sehen.
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Betroffen war auch das Kamptal, doch es hätte schlimmer kommen können, sagt Christoph Hauer, Leiter des Christian Doppler Labors für Sedimentforschung und -management an der Boku Wien und Träger des CDG-Preises für Forschung und Innovation 2024. Ein Grund für den glimpflichen Ausgang ist ausgerechnet das Hochwasser im Jahre 2002, bei dem Menschen mit Hubschraubern von den Dächern ihrer Häuser am Kamp gerettet werden mussten.
Nebenarme als natürlicher Hochwasserschutz
Damals verwarf sich der Kamp, es bildeten sich Nebenarme, die heute einen natürlichen Hochwasserschutz bieten. “Damals hat man 265 Hektar angekauft, um dem Kamp wieder mehr Platz zu bieten”, sagt Hauer. Das hat sich beim Unwetter im September bemerkbar gemacht.
Ein Hochwasser ist laut Hauer die Feuertaufe für einen Flussplaner. “Ich sage meinen Studenten immer: Ihr könnt planen was ihr wollt, aber beim nächsten Hochwasser werdet ihr sehen, ob ihr die Prozesse im Hintergrund verstanden habt”, sagt Hauer: “Einzelne Schwachstellen reichen, dann bricht der Fluss aus und erodiert alles weg, was ihm im Wege steht.”
2002 gab es beim Kamp zum Beispiel 9 von 17 Flussverwerfungen hinter Brücken. "Bei einer Brücke wird der Fluss quasi eingeschnürt, er wird beschleunigt und nimmt Energie auf. Unterhalb der Brücke, wo das Flussbett wieder breiter wird, hat er daher eine sehr hohe Energie und kann mitunter zu graben beginnen. Da kann es zu lokalen Verwerfungen kommen, wo der Fluss seine Energie wieder abbaut", sagt der Experte. Idealerweise steht in diesem Gebiet also keine Infrastruktur, die beschädigt werden kann.
Flussprozesse genau verstehen
Hauers Ziel ist es daher, die Prozesse hinter dem Gewässer genau zu verstehen. Wo baut der Fluss Energie auf und wo kann er sie wieder ablassen? Wie wirkt sich das Sediment aus, also Steine und feines Material, das an einer Stelle abgetragen und an einer anderen aufgeschüttet wird? Die Erkenntnisse daraus spielen nicht nur für den Hochwasserschutz eine Rolle, sondern auch für die Energiegewinnung durch Wasserkraft.
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Denn auch für Wasserkraftwerke ist ein Jahrhunderthochwasser eine Belastung. “Laufkraftwerke produzieren bei Hochwasser meistens keinen Strom, da ist man eher bemüht, sie schadlos zu halten, indem man das Wasser drüberführt und Steuerungselemente wie Klappen aufmacht”, sagt der Experte. Speicherkraftwerke können bei Extremregenfällen sogar nützlich sein, indem sie vorher abgelassen werden und den Wassermassen als Puffer dienen.
Sedimente verursachen Turbinenschäden
Speicheranlagen sind allerdings gefährdet, da Sedimente Turbinenschäden verursachen können. Feinste Partikel werden in die Hochdruckanlagen eingesogen und dann auf eine Geschwindigkeit von bis zu 190 Meter pro Sekunde (rund 680 km/h) beschleunigt.
“Treffen diese Teilchen auf die Turbinenschaufel, zerlegt die sich relativ schnell. Man kann dann mit speziellen Beschichtungen arbeiten, damit die Turbine noch härter wird, aber am effektivsten ist es, das Sediment einfach gar nicht einzuziehen”, sagt Hauer. Ein Filter, der die Teilchen auffängt, bevor sie in die Turbine gelangen, kommt allerdings nicht infrage. “Dieser wäre zu schnell voll und müsste ständig gewechselt werden”, so Hauer.
Der Kamp am Computer
Über Computersimulationen versucht man daher zu berechnen, wo sich Sedimente ablagern und Aufschüttungen bilden, um die Wassereinlässe der Kraftwerke darauf auszurichten. Diese Simulationen können wiederum erkennen, wie sich ein Fluss bei Hochwasser verhalten kann, wo Überschwemmungen und Nebenarme entstehen können und welche Verwerfungen selbst nach dem Hochwasser bestehen bleiben. “Vor 20 Jahren haben wir begonnen, mit diesen Simulationsmodellen zu arbeiten, gerade im Kamptal - ich habe quasi den ganzen Kamp auf meinem Computer”, sagt Hauer.
Dass ein Fluss kein statischer Wasserstrom ist, sondern sich dynamisch verändern kann und sich bei Extremereignissen auch selbst seinen Weg sucht, kommt mittlerweile in der Flussplanung an - zumindest “in Ansätzen”, wie Hauer sagt. Dabei würde man mit der Erkenntnis 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen: Gibt man dem Fluss mehr Platz, kann das nicht nur ein wirksamer Hochwasserschutz (durch den reduzierten Wasserspiegel) sein, sondern hat auch Lebensräume für Tiere geschaffen und Orte, wo sich etwa Fische bei Hochwasser zurückziehen können. “Wenn sich ein Fluss in der freien Fließstrecke selbst rehabilitiert, schafft er Habitate, die man selbst so gar nicht bauen könnte”, erklärt Hauer.
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In den vergangenen Jahren gab es im Zuge der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie mehr Bemühungen, natürlichen Hochwasserschutz zu ermöglichen. “Die Richtlinie war am Anfang sehr auf Fischdurchgängigkeit fokussiert, jetzt stellt man auch Gelder für die Strukturverbesserung des Flusslaufs zur Verfügung”, sagt Hauer.
Die Grundlagenforschung im Christian-Doppler-Labor bringt also Hochwasserschutz, Lebensraumschaffung und Energieerzeugung an einen Tisch. Eine ausgewogene Balance aus Bewirtschaftung, Renaturierung und Schutzbauten wird in Zeiten, wo Extremwetterereignisse immer häufiger werden, auch immer wichtiger.
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG).
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