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Science

Datenchaos: Was im Kampf gegen die Corona-Pandemie falsch läuft

Um das aktuelle Infektionsgeschehen einordnen zu können, benötigt es valide und vergleichbare Daten. Denn aus diesen Informationen werden Modelle berechnet, auf deren Basis dann Maßnahmen beschlossen werden, die zum Teil drastische Einschränkungen mit weitereichenden Folgen mit sich bringen.

Die Daten seien aber schwer daneben und daher agiere man im Blindflug, schlagen Statistiker seit Tagen Alarm. Das liege einerseits daran, dass es beim Epidemiologischen Meldesystems (EMS) zu IT-Problemen gekommen ist, andererseits gebe es aber drastische Schwierigkeiten bei den Arbeitsabläufen zur Datenerhebung. Die futurezone hat mit Personen gesprochen, die mit den Abläufen vertraut sind.

IT-Probleme ja, aber ...

Das Gesundheitsministerium bestätigt in einer schriftlichen Stellungnahme, dass es in den vergangen Tagen IT-Probleme beim EMS gegeben habe und es dadurch "in Einzelfällen zu kurzfristigen Verzögerungen bei der Daten-Einmeldung" kommt. Mittlerweile seien die Probleme allerdings weitgehend behoben: "Die hohe Serverauslastung stellt jedenfalls keine Gefahr für das System dar – ganz im Gegenteil, das EMS ist durch laufende Wartung und Erweiterung gut dafür gerüstet."

So funktioniert die Meldung Neuerkrankung/Hospitalisierung/Tod/Erstanzeige über das EMS

Das EMS läuft

Es bestehe daher weder die Gefahr, dass Meldungen verloren gehen, noch dass eine Übertragung von Meldungen über einen längeren Zeitraum nicht möglich wäre, heißt es aus dem Gesundheitsministerium gegenüber der futurezone. Rein technisch gesehen, könne das hohe Datenaufkommen keine großen Probleme verursachen, berichten auch IT-Experten der futurezone. Eine Datenbank, die mit einem derartigen Datenvolumen umgehen kann, sei "null Herausforderung". Das müsste sich innerhalb von Stunden lösen lassen.

Dass die grundsätzlichen Probleme wohl eher nicht beim EMS zu finden sind, bestätigen auch zwei Personen, die mit den Behörden arbeiten und mit der Sache betraut sind, unabhängig voneinander gegenüber der futurezone. Gröbere Server-Probleme oder Überlastungen der EMS-Datenbanken sind ihnen soweit nicht bekannt. Vielmehr liege es an langwierigen und ineffizienten Arbeitsprozessen, an fehlender Koordination und Problemen bei der Datenerhebung.

"Jeder wurschtelt vor sich hin"

"Es ist nämlich so, dass jeder Bezirk seine eigenen Arbeitsprozesse für Kontaktverfolgung und EMS-Meldungen hat. Es gibt weder eine Koordination zwischen den einzelnen Bezirken noch gibt es genaue Vorgaben, wie diese Arbeitsprozesse gestaltet werden müssen", berichtet ein Verwaltungsmitarbeiter der futurezone. "Jedes Bundesland und jeder Bezirk wurschtelt vor sich hin. Kein Wunder, dass es hier zu schwerwiegenden Problemen bei der Datenerhebung kommt."

Die Arbeitsprozesse nehmen sich dann in etwa so aus: Die Daten müssen zum Teil - je nach Bundesland und Bezirk - neben dem EMS in mehrere, verschiedene Datenbanken eingepflegt und archiviert werden. Es werden zum Teil Excel-Sheets und PDFs per Mail verschickt, die dann wiederum abgetippt, ausgedruckt und eingescannt werden müssen. Allein hier komme es schon teilweise zu Staus an Scannern und Druckergeräten, heißt es.

Der Sommer wurde nicht für Optimierungen genutzt

"Es dauert einfach, bis all die Formulare ausgefüllt und alle elektronischen Akten abgearbeitet sind. Die Mitarbeiter sind extrem bemüht, sind aber auch bereits an ihrer Belastungsgrenze angekommen und arbeiten teilweise bis in die Nacht und auch am Wochenende", erzählt ein Verwaltungsmitarbeiter, der anonym bleiben will. Der futurezone liegen beispielsweise die schriftlichen Arbeitsanweisungen für die zuständigen Verwaltungsmitarbeiter einer Bezirksbehörde aus einem Bundesland vor und die bestätigen die komplizierten und aufwendigen Prozesse.

Ob denn in den Sommermonaten nicht an effizienteren Arbeitsprozessen gearbeitet wurde? "Nein. In diese Richtung ist über den Sommer absolut nichts passiert. Es wurde weder optimiert, noch irgendetwas in Richtung Effizienz unternommen", heißt es.

Die Datierung der Unterlagen, die der futurezone vorliegen, zeigen auch, dass in dem konkreten Fall an den Prozessen seit Juni nichts mehr verändert wurde. Und das obwohl ein derartiges Infektionsgeschehen für den Herbst seit dem Frühsommer von zahlreichen Seiten vorhergesagt wurde. Konkret wurden etwa im Juni effizientere Prozesse beim Einmelden neuer Fälle und dem Contact-Tracing gefordert. Man hätte sich also durchaus besser vorbereiten können.

Ohne valide Daten keine Prognosen möglich

Dass es grobe Ungereimtheiten bei der Datenerhebung gibt, machten auch die Wissenschafter vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) öffentlich und finden dafür eindeutige Worte. "Wenn diese Fallzahlen um 30 Prozent falsch sind, wie das in den letzten Wochen zum Teil war, in den Bundesländern teilweise um 100 Prozent falsch, dann ist das ein Zeichen, dass das System nicht mehr funktioniert und man kann dann nicht mehr erwarten, dass die Prognosen zutreffen", kritisiert etwa der Komplexitätsforscher Stefan Thurner vom CSH im Ö1-Morgenjournal.

In dem aktuellen Policy Brief des CSH heißt es dann weiter: "Mit der derzeit unzureichenden Datenlage auf Bundesländerebene riskiert man, das Werkzeug der Modellierung zu verlieren. Das bedeutet, dass wir dem Infektionsgeschehen quasi im Blindflug ausgesetzt sind und selbst die Möglichkeit für Kurzfristprognosen verlieren, die für die Entscheidungsfindungen in verschiedenen Institutionen des Landes verwendet werden."

Was es nun bräuchte

Es wäre dringend, eine "unmittelbare Verbesserung der gegenwärtigen Datensituation" einzuleiten, fordert der Complexity Science Hub Vienna. Außerdem müsste ein "effektives nationales digitales Notkonzept" erstellt werden. Das gelte nicht nur für die aktuelle, dramatische Situation, sondern vor allem im Hinblick auf die restlichen Wintermonate. Notwendige schärfere Maßnahmen sollten so schnell wie möglich gesetzt werden können und "nicht an bürokratischen oder behördlichen Hürden zerschellen", heißt es vom CSH.

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Florian Christof

FlorianChristof

Großteils bin ich mit Produkttests beschäftigt - Smartphones, Elektroautos, Kopfhörer und alles was mit Strom betrieben wird.

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