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Science

Wie Extended Reality unsichtbare Gefahren sichtbar machen kann

Bevor der Baggerfahrer seine Arbeit mit dem Greifarm beginnt, muss er sicherstellen, dass sich keine Personen oder Gegenstände im Gefahrenbereich befinden. Der tote Winkel ist bei Baggern allerdings sehr groß. Der Bauarbeiter hinter der Maschine ist für den Fahrer nicht sichtbar. Eine falsche Bewegung und die Situation könnte fatal enden.

Generell arbeiten sogenannte „Off-Highway-Maschinen“ wie Bagger, Kräne, Kommunalfahrzeuge oder Pistenraupen, die nicht auf den Straßen zugelassen sind, in rauen Umgebungen. Das Erkennen von Gefahren ist durch das eingeschränkte Sichtfeld nicht immer möglich. Der Bedarf nach mehr Sicherheit steigt. 

In Zukunft könnten sie mithilfe von Extended Reality (XR) – ein Sammelbegriff für die virtuelle, erweiterte und gemischte Realität  – sicherer, verlässlicher und intuitiv steuerbar  werden.  

VR, AR & MR

Virtuelle Realität
VR ist eine computergenerierte Wirklichkeit in 3D und oftmals auch mit Ton. In der Regel werden Inhalte über eine VR-Brille übertragen

Erweiterte Realität
Bei der erweiterten Realität – auch als Augmented Reality (AR) bezeichnet – werden visuelle Informationen wie Bilder oder Videos  über die analoge Welt eingeblendet. Dies geschieht in der Regel über eine AR-Brille, ist aber auch über die Handy-Kamera möglich

Gemischte Realität
Bei der Mixed Reality (MR) werden virtuelle Objekte nicht einfach überlagert – Nutzer*innen können mit diesen auch in Echtzeit interagieren. MR ist die neueste immersive Technologie

Warnsignal bei Gefahr

Das ist zumindest das Ziel des EU-Forschungsprojekts THEIAXR, das vom Wiener Unternehmen TTControl koordiniert wird. An den Maschinen angebrachte Sensoren und Kameras erfassen in einem ersten Schritt ihre genaue Umgebung und machen so Unsichtbares sichtbar. „Wir sehen uns gerade Tiefenbildkameras an, mit denen man etwa erfassen kann, wie weit entfernt ein Gegenstand oder ein Mensch ist. Auch GPS ist interessant, damit kann man die Fahrzeuge auf der Baustelle oder Piste lokalisieren“, sagt der Forscher Martijn Rooker, Innovation Projects & Funding Manager bei TTControl, der futurezone.

Denkbar seien auch Radar oder sogenannte IMUs (Inertiale Messeinheiten). Letztere können Bewegungen messen. Welche Sensoren sich  schlussendlich am besten eignen werden, wird sich jedenfalls erst im Laufe des Projekts herausstellen. Erkennen die technischen Bauteile Gefahren, wird an den oder die Maschinenführer*in umgehend eine Warnung abgegeben. Dies kann durch Vibration, akustische oder visuelle Signale erfolgen. 

Infos auf dem Boden

Ob in der Praxis auch eine Video-Brille zum Einsatz kommen wird, hängt laut dem Wissenschafter vom Anwendungsbereich ab. Wesentlich sei, dass die Brille das Sichtfeld nicht weiter einschränkt. Alternativ könnte auch ein Display zum Einsatz kommen. "Möglich ist auch, Informationen auf der Windschutzscheibe oder auf dem Boden vor der Maschine zu projizieren“, so Rooker. Bei einem normalen Erdboden könnte dies etwa mit Laser erfolgen. 

Martijn Rooker von TTControl

Das Forschungsteam will aber nicht nur das abbilden, was auf der Oberfläche stattfindet, sondern auch, was sich möglicherweise unter der Erde befindet. „Bei Bauarbeiten werden immer wieder Stromkabel zerstört“, sagt der Fachmann. Gemeinsam mit dem Forschungspartner TU Graz wolle man daher eine Lösung finden, Leitungen, Kabel und Röhren mithilfe von virtueller Realität darzustellen. Diese Informationen seien grundsätzlich in Bauplänen verfügbar und könnten mit der Technologie im Sichtfeld des Maschinenführers oder der Maschinenführerin abgebildet werden. „Der weiß dann, dass in einer Tiefe von 2 Metern eine Strom- oder Telefonleitung liegt und dass er an der Stelle nicht tiefer graben darf“, erzählt Rooker. 

Das XR-Sytem könnte außerdem der Qualitätskontrolle dienen. „Dem Bediener kann angezeigt werden, wo er genau graben muss, ohne auf seinem Plan nach den Abmessungen suchen zu müssen“, ergänzt der Forscher. Dies steigere die Arbeitseffizienz. 

Nächste Generation

Ziel ist es, die Technologie in existierende Maschinen zu integrieren. Mit dem XR-System wolle man zusätzlich auch die Jungen für die Tätigkeit mit solchen Fahrzeugen begeistern. „In diesem Bereich ist es schwierig, neue Mitarbeiter zu finden. Wir wollen die Arbeit auch für die nächste Generation interessant machen“, ergänzt der Experte. 

Aktuell steckt das Projekt aber noch in den Kinderschuhen. Es wurde im Jänner gestartet und wird 3 Jahre laufen. TTTech arbeitet mit 10 Projektpartnern aus der Forschung und der Industrie in 6 EU-Ländern zusammen. Das erste Sensoren-Paket, das getestet werden soll, werde wahrscheinlich Ende 2023 verfügbar sein.  „Am Ende des Projekts werden wir hoffentlich auch schon Prototypen in die Maschinen integrieren können, die wir in realen Umgebungen testen und validieren“. Die Anwendbarkeit der Technologie wird in 3 Pilotprojekten getestet. Bis zur Produktreife könnte es 5 bis 10 Jahre dauern. 

Taktiles Tattoo macht virtuelle Welt „spürbar“

Anwendungen der virtuellen und erweiterten Realität (VR und AR) sprechen primär den Sehsinn an. So lassen sich mit einer Video-Brille eine von Computern simulierte sowie die tatsächliche Wirklichkeit erleben. Der Tastsinn bleibt bei solchen Anwendungen in der Regel aber unberücksichtigt.

Da Menschen ihre Welt aber auch über diesen Sinn wahrnehmen, kommen insbesondere in der Computerspiele-Branche auch Controller zum Einsatz, die etwa durch Vibrationen eine haptische Stimulation erzeugen. Wirklich realistisch ist dieses Feedback aber meist nicht.

Abzieh-Tattoo

Um die Wahrnehmung in Zukunft realer und virtuelle Welten immersiv erlebbar zu machen, arbeiten Forscher*innen aktuell an einer Anwendung der Extended Reality (XR). Konkret wurde an der deutschen Universität des Saarlandes ein „taktiles Tattoo“ entwickelt. 
Dabei handelt es sich um eine hauchdünne elektronische Folie, die auf die Haut geklebt und wieder abgezogen werden kann. Die Folie ist so dünn, dass Anwender*innen zudem reale Objekte durch die Folie hindurch spüren können. 

Anwendung im OP-Saal

Mit diesem sogenannten „Tacttoo“ sollen haptische Eindrücke für rein digitale Objekte erzeugt werden. Der Tastsinn wird dabei durch elektrische Reize stimuliert  Ein Anwendungsbereich wäre unter anderem die Chirurgie. Dort, wo Mediziner*innen in Ausbildung bereits Gebrauch von der virtuellen Realität machen, um etwa Operationen im Vorfeld zu üben, könnte das taktile Tattoo zusätzlich ein realistisches haptisches Feedback aussenden. Die Feinmotorik der Ärzte wird dabei aber nicht eingeschränkt. 

In dem vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekt „Feel XR: Feel-through Haptic Feedback for Augmented and Virtual Reality“ soll nun das kommerzielle Potenzial des Tacttoos erforscht sowie neue Anwendungsfälle identifiziert werden, um das Produkt in die Praxis zu bringen.

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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