Landschaft mit Sonne

Europa stöhnt aktuell unter einer Hitzewelle

© APA/dpa/Julian Stratenschulte

Science

Weltraummediziner erklärt, ab wann Hitze gefährlich wird

Im Weltraum gibt es eine extreme Umwelt mit außergewöhnlichen Temperaturen, erklärt Weltraummediziner Hanns-Christian Gunga

Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind im Jahr 2003 über 70.000 Menschen in Europa an den Folgen einer Hitzewelle gestorben. Hanns-Christian Gunga ist Weltraummediziner an der Berliner Charité und hat sich in seinem Buch „Tödliche Hitze“ (Quadriga) damit beschäftigt, was extreme Temperaturen im Körper bewirken und wie wir uns schützen können.

futurezone: Sie beschäftigen sich mit extremen Umgebungen. Wie extrem schätzen Sie die aktuelle Hitzewelle in Europa ein?
Hanns-Christian Gunga:
Im Weltraum gibt’s eine extreme Umwelt mit einem Vakuum; mit Temperaturen, die sind viel, viel höher und viel, viel niedriger als hier auf der Erde. Die augenblickliche Hitzewelle mit teilweise sogar 36 Grad ist eine extreme Hitzebelastung für den Körper.

Ab wann wird es denn für den Menschen brenzlig?
Eigentlich muss man dafür die „Wet Bulb Globe Temperatur“ (WBGT) heranziehen. Das ist eine zusammengesetzte Temperatur aus der Luft-, und Strahlungstemperatur, aus der Windgeschwindigkeit und eben auch der Feuchte. Wir bezeichnen das als gefühlte Temperatur. Ein Beispiel: Bei 22 Grad WBGT fühlen wir uns wohl. Aber je mehr diese WBGT steigt, besonders mit Zunahme der Feuchtigkeit, nimmt die Belastung auf den Körper zu. Ab 28 Grad WBGT ist der Mensch zunehmend nicht mehr in der Lage, optimal zu arbeiten.

Kann der menschliche Körper üben, besser mit Hitze umzugehen?
Ja, das bezeichnet man als Akklimatisierung. Wenn eine Hitzewelle kommt, die 10 bis 15 Grad wärmer ist, ist gerade in den ersten ein bis drei Tagen der Organismus besonders gefordert. Da ist es von Nutzen, wenn ich meinen Körper, insbesondere meine Schweißdrüsen, trainiere. Ich muss regelmäßig in die Sauna gehen oder muss so viel Sport treiben, dass ich schwitze. Dann habe ich je nach Organismus nach sieben bis 14 Tagen eine Adaptation an eine akute Hitzebelastung. Diese Akklimatisierung hält aber nicht ewig an. Wir Mitteleuropäer müssen uns jedes Jahr im Sommer von Neuem akklimatisieren. Wer das nicht tut, läuft Gefahr, einen Hitzekollaps zu erleiden, oder im schlimmsten Fall sogar einen Hitzschlag.

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Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich Hitzewellen auch auf die Wirkung von Medikamenten auswirken. Was gilt es da zu beachten?
Das ist ein weit unterschätztes Phänomen. Wir können jetzt nicht alle Medikamente besprechen, deren Wirkung von Hitze beeinflusst wird. Nehmen wir zum Beispiel Präparate, die in Pflasterform verabreicht werden. In einer Hitzeperiode wird die Haut stärker durchblutet und eine Dosis, die für einen ganzen Tag gedacht war, wird jetzt innerhalb eines halben Tages erreicht – da kommt es zu Konzentrationsveränderungen der Aufnahme dieses Medikaments und das kann empfindliche Nebenwirkungen haben.

Herz-Kreislauf-Präparate haben unter Umständen einen nicht erwünschten Erfolg, wenn man Blutdrucksenker nimmt: Bei 30 oder sogar 35 Grad Außentemperatur hat man in der Regel sowieso einen niedrigen Blutdruck. Der wird durch ein entsprechendes Medikament verstärkt. Daher ist die Rücksprache mit dem Arzt wichtig, was bei hohen Temperaturen zu beachten ist.

Was kann man denn von der Weltraummedizin für den Umgang mit Hitze lernen?
Das klingt ja auf den ersten Blick ein bisschen weit weg. Aber in der Tat haben wir eine interessante neue Messmethode für die Raumfahrt entwickelt: Für Astronauten, wo man am Kopfteil kontinuierlich die Kerntemperatur des Körpers erfassen kann – normalerweise muss man da invasiv mit Sensoren rein. Das lässt sich hier unten auf der Erde auch anwenden. Ich komme gerade von einer Woche in der Subsahara, wo der Einfluss des Klimawandels auf die körperliche Leistungsfähigkeit untersucht wird – hier spielt die Körpertemperatur eine entscheidende Rolle. Wir hatten in den Jahren 2018, ’19 und ’20 in Deutschland immerhin vermutlich mehr als 20.000 Tote aufgrund der Hitzebelastung. Das macht die Dringlichkeit deutlich, dass man in diesem Bereich stärker forscht.

In der Weltraumforschung beschäftigt man sich viel mit der Suche nach einer zweiten Erde. Wie realistisch ist ein solches Szenario?
Das ist ein tolles Gedankenexperiment. Ich stehe da auf der anderen Seite und dafür, dass wir mit Vehemenz unseren Planeten instand halten. Die Erde braucht uns nicht, die wird auch ohne die Spezies Mensch zurechtkommen. Wenn wir nicht die Maßnahmen aus dem Pariser Abkommen umsetzen, laufen wir Gefahr, dass schon Ende dieses Jahrhunderts ein Drittel der gesamten Menschheit durch die hohen Temperaturen beeinflusst wird und ganze Landstriche auf unserem Planeten nicht bewohnbar sein werden. Wer kann das wollen?

Der Mars ist ein gutes Beispiel, was passieren kann, wenn ein Planet aus welchen Gründen auch immer seine Atmosphäre verliert. Dann verliert er auch das Wasser, was es dort sicher auch einmal gab. Noch sind wir meiner Ansicht nach in der Lage, das zu verhindern. Aber da müssen wir alle auf diesem Planeten an einem Strang ziehen. Und das ist in der Tat eine Herkulesaufgabe.

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Laila Docekal

Ressortleiterin für die Bereiche Gesundheit, Wissenschaft und Familie. Im Team für den Podcast "Ich weiß, wie es ist". Seit 2007 beim KURIER, Faible für Geschichten, die das Leben schreibt und besonderes Augenmerk auf Themen, die sich um Frauen, Familien und Nachhaltigkeit drehen. Sieben Jahre lang jede Woche für den "Bodyblog" im Samstag-KURIER ein neues Fitnessangebot getestet und vorgestellt. Funfact: In diesen rund 350 Kolumnen kam nur ein einziges Mal eine Wintersportart vor - Curling. 2013 MiA-Award für integrativen Journalismus, 2023 Stephan-Rudas-Preis für den Podcast "Ich weiß, wie es ist"

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