
Moshe Y. Vardi forscht seit vielen Jahren zu Künstlicher Intelligenz. Er macht sich jedoch auch Gedanken über deren gesellschaftliche Auswirkungen.
Experte: „Kinder wachsen bald mit KI-Freunden auf“
Seit vielen Jahren forscht der israelisch-amerikanische Informatiker Moshe Y. Vardi zu Künstlicher Intelligenz (KI). Als Techniker sieht er es als seine moralische Verantwortung, sich auch Gedanken über die gesellschaftlichen Folgen seiner Arbeit zu machen und uns vor Gefahren zu warnen.
futurezone: Herr Vardi, Sie sind ein international gefragter KI-Experte. Sprechen Sie regelmäßig mit ChatGPT oder ähnlichen Chatbots?
Moshe Vardi: Nein. Ich versuche, sie so weit wie möglich zu vermeiden. Denn man gewöhnt sich daran und es wird zu einer Krücke. Aber gleichzeitig fahre auch ich mit dem Auto zum Supermarkt und gehe nicht zu Fuß. Wir Menschen mögen es nämlich nicht, uns zusätzliche Arbeit zu machen. Ich habe Angst, dass wir wegen dieser Krücke aufhören, genug selbst zu denken. Noch mehr Sorgen mache ich mir aber, dass die Kinder damit aufhören. Denn warum sollte ich hart arbeiten, wenn ich einfach jemanden bitten kann, mir eine Antwort zu geben?
Worüber werden Sie bei der Digital Humanism Conference in Wien sprechen und was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen?
Die Financial Times fragte bereits vor einigen Jahren, ob das gruseligste englische Wort Donald Trump oder Künstliche Intelligenz ist. KI bringt enorme Veränderungen mit sich, die wir uns nur annähernd vorstellen können. Was die Entwicklung antreibt, sind Hunderte von Milliarden Dollar, die in KI gesteckt werden. Was soll das bringen? Viele Dinge, die jetzt verlangsamt sind, sollen dadurch schneller werden. Wenn Menschen zu teuer sind, ersetzen wir sie durch Maschinen. Es geht dabei nur um Effizienz.
Während der Pandemie habe ich mich gefragt, warum wir nicht darauf vorbereitet waren. Denn es gab eigentlich viele Warnungen: Die Welt wird immer globaler, wir reisen und verbreiten Dinge. Deswegen gibt es immer mehr Viren, die von Tieren auf Menschen überspringen können. Wir waren darauf nicht vorbereitet, weil die Vorbereitung Geld kostet und der Ernstfall vielleicht nie eintritt. Der Preis dafür war der Verlust der Widerstandsfähigkeit. Das Risiko ist, dass unsere Effizienz-Besessenheit der Demokratie schadet.
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Wie meinen Sie das? Warum schadet das Streben nach Effizienz der Demokratie?
Ein Beispiel: Ich bin mir sicher, dass sich Menschen in Europa fragen, warum jemand für Trump stimmen würde. Er hat die letzte Wahl sehr deutlich gewonnen. Wenn man genauer hinschaut, erkennt man, dass Technologie in den USA nur einem Teil der Menschen nutzte. Gut Ausgebildete macht sie produktiver: Wir können jetzt etwa aus der Ferne arbeiten. Menschen aus der Arbeiterklasse hat sie aber geschadet. Denn früher war die Industrie in den USA ein guter Arbeitgeber. Mit einem High-School-Abschluss konnte man bei solchen Jobs ein gutes Mittelklasse-Einkommen verdienen. Dann wurde die Produktion stark automatisiert und viele Millionen dieser Jobs gingen verloren. Diese Menschen sagen: Für uns hat die Demokratie nicht funktioniert. Sie wurden ignoriert und sind auf der Strecke geblieben. Die große Kluft in den Vereinigten Staaten, die in den letzten 40 Jahren entstanden ist, klafft also zwischen Gutgebildeten und der Arbeiterklasse. Deswegen sind wir jetzt dabei, die Demokratie zu verlieren.

Moshe Y. Vardi meint, dass Donald Trump auch wegen der Automatisierung der amerikanischen Industrie so viele Wähler gewinnen konnte, die sich von der Politik ignoriert fühlten.
© REUTERS / Jeenah Moon
Was haben die Sozialen Medien mit der derzeitigen Krise zu tun?
Ich denke, dass wir von den Sozialen Medien viel lernen können. Am Anfang hörte sich das alles wirklich gut an: Lasst uns Menschen miteinander verbinden und das völlig kostenlos. Aber nichts ist gratis. Google ist zwar für uns kostenlos, aber gleichzeitig sehr reich wegen der Werbung. Wir zahlen dafür zwar nicht direkt, aber die Unternehmen, die wiederum Produkte an uns verkaufen. Gleichzeitig passieren so Dinge, die für uns unsichtbar sind, etwa die Auswahl von Inhalten. Facebook will, dass Sie so lange wie möglich auf der Seite bleiben. Deshalb zeigt es Ihnen Dinge, die Sie mögen. Je länger Sie bleiben, desto mehr Geld verdient Facebook. Eine Folge ist, dass viele ihre Nachrichten über Soziale Medien beziehen. Wegen des Algorithmus sehen 2 Menschen aber völlig verschiedene Nachrichten – das nennt man auch Filterblasen. Neben der wirtschaftlichen gibt es deshalb auch eine kognitive Spaltung. Politisch war es für 2 Menschen immer schon schwierig, sich auf etwas zu einigen. Aber wenn wir uns nicht einmal mehr auf die Fakten einigen können, wird es noch viel schwieriger.
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Welche Folgen hat das - abgesehen von der politischen Spaltung?
Mit den Kindern ist etwas passiert: An meiner Universität ist die Zahl der Studierenden, die zur psychologischen Beratung gehen, enorm gestiegen. Über die Ursachen wird viel diskutiert. Viele sagen, es liege an COVID. Oder, dass es heute weniger Stigmatisierung gibt, zu einem Psychologen zu gehen – und das ist gut so. Es gibt aber harte statistische Zahlen, die man nicht bestreiten kann zu Suizidversuchen und tatsächlichen Suiziden. Die Suizidversuche bei der Bevölkerung im Alter von 10 bis 14 Jahren haben sich zwischen 2007 und 2017 verdreifacht. Die einzigen Erklärungen dafür sind: das Smartphone, das 2007 eingeführt wurde und Facebook, im Jahr 2008. Die Sozialen Medien müssen also etwas damit zu tun haben. Und mit KI entfesseln wir eine viel mächtigere Kraft.
Haben Sie Suizidgedanken?
Wenn Sie sich in einer Ausnahmesituation befinden oder Suizidgedanken haben, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge unter der Telefonnummer 142 oder an den Sozialpsychiatrischen Notdienst 01 31330 - gratis und rund um die Uhr.

Kinder wachsen heute mit Handys auf - aber auch Künstliche Intelligenz wird ihr Leben stark prägen.
© Getty Images/golero/IStockphoto.com
Was glauben sie, was KI mit Kindern machen wird?
Google will etwa Kindern bald die Nutzung einer eigenen Version von Gemini erlauben. Man spricht oft über Bildschirmzeit für Kinder, aber wir müssen uns fragen, wie KI die Kinder beeinflusst. Statt zu Pyjamapartys treffen sich Kinder jetzt - ohne, dass sie miteinander reden. Sie schreiben sie sich Textnachrichten, weil Gespräche von Angesicht zu Angesicht etwas herausfordernder sind. Sie wählen also einen effizienteren Weg. Nun kommt eine Generation, die anstatt echter Freunde auch KI-Freunde haben kann. Diese sind wahrscheinlich effizienter [mit weniger Reibungspunkten, Anm. d. Red.] als ein echter Freund aus Fleisch und Blut, aber nicht dasselbe. Wir werden etwas verlieren und deshalb mache ich mir große Sorgen.
Braucht es ihrer Meinung strengere Regeln für KI?
Die Idee von Regulierung ist, dass wir gewisse Entscheidungen nicht dem Markt überlassen sollten, weil dieser von Effizienz besessen ist. Die Regulierung von KI wird eine kontinuierliche Anstrengung sein und wir müssen ein Gleichgewicht zu finden. Denn jeder, der Kinder hat, weiß: Wenn man zu viel reguliert, werden die Kinder erwachsen und können mit keiner Schwierigkeit umgehen, weil die Eltern sich immer darum gekümmert haben. Wenn man nichts tut, machen die Kinder aber verrückte Sachen. So ist es also auch mit der Regulierung von KI: nicht zu viel, nicht zu wenig. Die Kritik lautet immer, dass Regulierung Innovationen erstickt. Wir wollen einige Innovationen sehr wohl, aber nicht alle. Manchmal müssen wir aber auch sagen: Nein, das ist keine gute Nutzung von Technologie. Hier bewegen uns auf einem schmalen Grat, auf dem es keine perfekten Lösungen, sondern nur Kompromisse gibt.
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Das klingt nach einer sehr düsteren Zukunft. Wie kann da eine Umkehr gelingen?
Technologie hat immer enorme Vorteile und Risiken zugleich, sie begleitet uns seit etwa 3 Mio. Jahren, als wir die ersten Steine behauten und formten. Wenn wir klug sind, sagen wir: Lass uns darüber nachdenken, wie wir Technologie nutzen. Wie können wir den Nutzen maximieren und das Risiko minimieren? Das Wichtigste ist nicht die Regulierung, denn die kommt von Regierungen, die Menschen wählen. Stattdessen sollten wir alle zusammen darüber offen diskutieren. Die Menschheit verändert sich und wir wollen, dass sie sich zum Besseren wandelt.
Digitale Humanisten treffen sich in Wien
Mit dem technologischen Fortschritt wandelt sich die Welt rapide. Das hat aber auch negative Folgen. „Das Silicon Valley scheint sich nicht um die Menschheit zu kümmern“, meint etwa der Informatiker und KI-Experte Moshe Y. Vardi im Gespräch mit der futurezone. Einige Forscher und Intellektuelle glauben, dass es größere Anstrengungen braucht, damit die Maschinen künftig auch dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Deshalb treffen sie sich von 26. bis 28. Mai im Wiener Museumsquartier zur weltweit ersten Digital Humanism Conference, um gemeinsam über die Zukunft von Gesellschaften und Technologien zu sprechen.
„Die Konferenz versucht zu sagen: Lasst uns die Menschheit in den Mittelpunkt stellen und darüber nachdenken. Nicht darüber, wie wir mehr Geld machen können, sondern wie wir mehr menschliche Arbeitsplätze schaffen können. Was können wir tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen? Wenn man mit Hilfe KI Krebs heilen kann, dann sollten wir das auf jeden Fall tun“, meint Vardi. Es geht also darum, zu überlegen, wie man Technologien in Einklang mit menschlichen Werten, demokratischen Prinzipien und sozialer Gerechtigkeit bringen kann. Denn diese Perspektiven würden sonst zu kurz kommen.
Gemeinsam will man darüber diskutieren, wie KI und andere Technologien Menschenrechte und Freiheiten stärken könnten, anstatt sie zu untergraben. Grundlegend ist dafür das „Wiener Manifest für einen digitalen Humanismus“ in dem insgesamt 11 Punkte beschrieben sind, wie Informationstechnologien menschlichen Werten und Bedürfnissen gerecht werden können.
Neben Vardi werden bei der Konferenz einige weitere, nationale und internationale Experten über unsere Zukunft sprechen. Darunter etwa Lawrence Lessing von der Universität Harvard oder Michael Bronstein, Leiter des neuen AITHYRA Instituts der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
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