
Die US-Forscherin Danah Boyd forscht seit Jahrzehnten zu Sozialen Medien, Big Date und zur Jugendkultur im Netz.
Danah Boyd: "Soziale Medien sind kein Ort mehr für echte Kontakte"
Danah Boyd gilt als Expertin für Social Media, Big Data und Jugendkultur im Internet. Für eine Vortragsreihe der Universität Wien kam die US-Wissenschaftlerin nach Österreich und sprach mit der futurezone über aktuelle Entwicklungen im Bereich Soziale Medien und Demokratie.
Sie sprachen in Wien u. a. darüber, was Soziale Medien mit der gesellschaftlichen Spaltung zu tun haben. Worum ging es konkret?
Ich bin der Ansicht, dass die sozialen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft aus einer ganzen Reihe von Gründen zerrüttet sind. Wir können es politische Polarisierung nennen oder die vielfältigen Dynamiken während COVID – jedenfalls ist viel passiert. Oft wird gesagt, dass die Technologie schuld daran ist. Das ist aber historisch und wissenschaftlich nicht richtig. Stattdessen muss man in der Geschichte weiter zurückgehen, um es zu verstehen.
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Sie sagen, dass Soziale Medien nicht Schuld sind an der Krise der Demokratie?
Nein. Es ist nicht die Technologie. Ich denke aber, dass diejenigen, die die Demokratie verletzen wollen, Technologie gerne nutzen. Tatsächlich beginnt die Krise der Demokratie historisch ab 1968. Schon damals wurden diese kulturellen Verletzungen sichtbar, die immer intensiver werden. Das größte Problem ist die ökonomische Ungleichheit, die die Demokratie in den USA schädigt. Während der Corona-Krise machten die Plattformen so etwa sehr viel Geld, während große Teile der Wirtschaft ums Überleben kämpften.
Vorurteile wurden aber nicht von den sozialen Medien geschaffen. Sie sind das Ergebnis von massiver ökonomischer Ungleichheit, die seit den Achtzigerjahren den Weg für Trump bereitet hat. Dazu kommen nun politisch mächtige Milliardäre. Die USA sind zur Oligarchie geworden.

Ein Protestschild mit einem KI-generierten Bild, auf dem sich Donald Trump und Elon Musk küssen.
© REUTERS / Seth Herald
2014 haben Sie ein Buch über Jugend und Soziale Medien veröffentlicht. Plattformen wie TikTok gab es damals noch nicht. Was hat sich seither noch verändert?
Es hat sich nicht so dramatisch verändert, wie viele denken. Besonders enttäuschend ist für mich, dass die sogenannten Sozialen Medien inzwischen kein Ort mehr sind, wo junge Menschen tatsächlich echte Kontakte knüpfen. Es sind Unterhaltungsmaschinen, die es möglich machen, Inhalte aus der Ferne zu konsumieren.
Es gibt viele parasoziale Beziehungen, d. h. ich kann einem Influencer folgen und mich wirklich für ihn interessieren. Dieser weiß nicht einmal, dass es mich gibt. Das echte Soziale findet derzeit überwiegend über Chats wie WhatsApp statt. Damals unterstützten Soziale Medien Beziehungen, während die von heute v. a. dazu dienen, dass wir den Inhalten der großen Influencer Aufmerksamkeit schenken.
TikTok wurde in den USA verboten, u. a. wegen des Vorwurfs, es würde chinesische Propaganda verbreiten. Gleichzeitig folgen plötzlich viele unfreiwillig Trump auf Instagram, weil das Weiße Haus den Account auf Trump umgestellt hat. Geht das nicht auch in diese Richtung?
Autoritäre Regime haben schon immer Medien genutzt, um damit Einfluss auszuüben. So weit sind wir noch nicht, aber es gibt Teile. Die überwiegende Mehrheit der US-Nutzer konsumiert Katzen- und Tanzvideos, aber keine Politik. Wenn sie bemerken, dass sie plötzlich Donald Trump folgen, sind sie verärgert. Spannend wäre, wie sie reagieren würden, wenn sie dort nur noch Nachrichten sehen.
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Glauben Sie, dass die Nutzung von Social Media für politische Beeinflussung in den nächsten Jahren zunehmen wird?
Ich denke, dass die autoritäre Propaganda-Rhetorik überall und in allen Medien zunimmt. Social Media ist nur einer dieser Faktoren. In meinem Land mache ich mir in erster Linie Sorgen um Fox News. Das ist ein Propagandakanal, den jeden Abend ein lächerlich großer Teil meines Landes sieht.

Die US-Forscherin Danah Boyd hielt in Wien eine Reihe von Vorträgen.
© danah boyd
Zur Person
Danah Boyd
forschte u. a. in Harvard und der New York University. Ab Sommer 2025 wechselt sie von Microsoft Research, wo sie seit 2009 tätig ist, an die Cornell University. Dort wird sie Studierende unterrichten
Spezialgebiete
Die Forscherin gilt als Expertin für Soziale Medien und Big Data. Sie veröffentlichte Studien zur Fairness von Algorithmen, KI, Manipulation durch Medien, Soziale Medien und zu Online-Verhalten von Jugendlichen
Wie wurde das TikTok-Verbot aufgenommen?
Amerikanische TikToker interpretieren das Verbot als neues Machtspiel der Trump-Oligarchie. Als TikTok in Indien verboten wurde, ist dort die YouTube-Nutzung in die Höhe geschossen. Das hat Google viel Geld eingebracht.
Als die TikTok-Abschaltung am 19. Jänner stattfinden sollte, sagten viele: Ich will Mark Zuckerberg und Google kein Geld geben. Stattdessen luden sie sich die chinesische App RedNote herunter. Plötzlich gab es dort Massen von Amerikanern und einen seltsamen Austausch zwischen chinesischen und amerikanischen Nutzern.
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Sie konnten sich gegenseitig Nachrichten schicken?
Sie kommunizierten, indem sie auf die Videos der anderen reagierten. Für mich war es die erste echte Bewegung seltsamer, echter Internet-Sozialität, die ich seit langem gesehen habe.
Es war egal, welche Sprache man sprach. Alle Videos waren Englisch und Chinesisch untertitelt. Manche Amerikaner haben gesagt: „Ich hatte keine Ahnung, dass die Chinesen nicht für die Gesundheitsversorgung zahlen“. Die chinesischen Nutzer sagten wiederum: “Ihr Amerikaner seid doch gar nicht so gemein, wie wir dachten“.
Bei Sozialen Plattformen spielt auch KI eine immer größere Rolle. Sie beeinflusst Algorithmen. Dazu kommen KI-Bots, die so tun, als wären sie echte Menschen. Meta überlegt, sie auf Instagram und Facebook einzusetzen. Was halten Sie von dieser Idee?
Wenn wir aktiv nach Informationen, Unterstützung oder Hilfe suchen, sind diese Dinge furchtbar. Wie ich jetzt schon in jeder Telefonhotline nach einer menschlichen Ansprechperson schreie, werde ich das auch künftig noch tun müssen. Vielleicht haben wir Glück und die Dinge werden noch besser.
In China und Japan gibt es solche Dinge schon lange. Sie sind sehr beliebt. Manche Leute benutzen sie gegen Einsamkeit als virtuelle Freundinnen oder Freunde. Man löst das Problem nicht, indem man Chatbots wegnimmt. Das ist eine soziale Herausforderung, über die wir Fragen stellen sollten, keine technologische.
Es ist wie mit Haustieren: Leute sprechen auch mit ihren Hunden und Katzen. Manche von ihnen sind verrückt, die meisten tun es aber in vollem Bewusstsein. Die Katze hat keine Ahnung worum es geht, sie interessiert nur, ob man sie füttert oder nicht. Ich glaube, dass es so ähnlich sein wird, nur dass man statt Schnurren die Antwort eines Bots erhält. Für die meisten wird das gut laufen. Wird es auch Probleme geben? Absolut.

Danah Boyd vergleicht das Chatten mit einem KI-Bot mit Gesprächen, die man mit seinen Hunden oder Katzen führt.
© APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY / TIMOTHY A. CLARY
Neben KI-Bots gibt es auch ChatGPT und DeepSeek. Dort herrscht ganz offen Zensur vor. ChatGPT gibt keine Antwort auf anrüchige Anfragen, DeepSeek verweigert beim Tian’anmen-Massaker. Ist diese zentrale Wissensverwaltung nicht auch eine Gefahr?
Man bekommt auch keine Antwort über Tianmen in der chinesischen Version von Google. Das ist das Gleiche. Viel grundlegender ist aber das Problem, dass sie selbst keine faktischen Informationen liefern können, sondern sie immer mit Suchmaschinen verknüpft sein müssen. Die Leute denken aber, dass sie Antworten geben können.
Das zweite Problem ist, dass sie zuverlässiger erscheinen als sie sind. Die Chatbots sind eigentlich Mansplainer, die selbstbewusster erscheinen als sie sind. Sie erzählen sehr selbstbewusst Blödsinn. Das ist eine gefährliche Kombination. Die Frage ist, ob die Leute das erkennen.
Als Wissenschaftlerin arbeiten Sie derzeit bei Microsoft Research. Wie geht es bei Ihnen persönlich jetzt weiter?
Ich scherze immer, dass ich eine Lehrverpflichtung habe, aber anstatt verkaterte 18-Jährige darf ich Führungskräfte unterrichten. Die Hauptarbeit besteht darin, dass wir forschen. Woran ist unsere Entscheidung. Die Fakultät hat etwa 800 Mitglieder, unter ihnen etwa 790 Informatiker und eine Handvoll Sozialwissenschaftler.
Diesen Sommer werde ich aber meine Stelle wechseln und an die Cornell University gehen, weil ich das Unterrichten vermisse. Es ist toll mit Führungskräften, aber ich vermisse es mit jungen Leuten zu arbeiten, die so aufgeweckt sind wie ich.
Technologie an die Kandare nehmen
Mit Gesetzen und Regulierungen versucht die Politik neue Technologien so zu gestalten, dass sie sicher ist und zu unserem Wohl beitragen. Während man Diskussionen über die Sicherheit von Atomenergie bereits seit geraumer Zeit führt, ist in jüngster Zeit das Thema KI-Sicherheit sehr weit oben auf der Agenda der Politik.
Wie man solche Gesetze macht, darüber ist man sich nicht immer einig. Am 10. und 11. Februar findet in Paris der dritte „Gipfel zur künstlichen Intelligenz“ statt. Dort sollen Politiker und Experten aus aller Welt erneut über Risiken und Chancen der Technologie diskutieren und über Gesetze beraten. Das Ziel ist es, KI so zu gestalten, dass sie dem Gemeinwohl dient.
Auch die US-Expertin Danah Boyd sprach in Wien bei einem Vortrag über KI und die richtigen Rahmenbedingungen dafür. „Derzeit wird viel von KI-Sicherheit gesprochen und ein bestimmtes Bild vermittelt: Oh mein Gott, die Roboter kommen und werden alles übernehmen. Wenn wir das so deterministisch sehen, verpassen wir aber eine Chance“, meint Boyd. Ihrer Ansicht nach würden Politiker zu oft versuchen, Probleme bereits vor ihrer Entstehung lösen zu wollen.
Als Negativbeispiel nennt sie die Datenschutzgrundverordnung der EU. „Sie hatte viele unbeabsichtigte Folgen. Zugleich ist es ist nicht gelungen, die Macht der großen Technologieunternehmen einzudämmen“, meint Boyd. Stattdessen hätte es deren Konkurrenz ausgeschalten.
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