Revolution bei Nachtsichtgeräten: Günstiger und dünn wie Papier
Blickt man durch ein modernes Nachtsichtgerät, ist das beeindruckend. Selbst bei nahezu völliger Dunkelheit kann man Details auch in großer Entfernung erkennen.
Blickt man aber auf den Preis, ist Schluss mit lustig. Ein gutes Binokular mit Gen-3-Röhren oder vergleichbarer Technologie gibt es ab 5.000 Euro. Das ist nicht nur schwer, sondern hat auch ein eingeschränktes Sichtfeld. Alternativ kann man in State-of-the-Art Panorama-NODs (Night Optical Device) investieren, die mehr als 15.000 Euro kosten – und noch schwerer und größer sind.
Ein Forschungsteam der Universität von Michigan will mit seiner neuen Erfindung diese Probleme von Nachtsichtgeräten beseitigen. Dazu haben sie nach eigenen Angaben handelsübliche Komponenten genutzt. NODs mit dieser Technologie wären günstig, schnell gebaut und gut skalierbar.
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So funktioniert ein Nachtsichtgerät
Ein reguläres Nachtsichtgerät fängt in einer Röhre (Restlichtverstärker) einfallendes Licht ein, das nahe dem Infrarot-Bereich ist. Das Licht wird in Elektronen umgewandelt. Diese werden durch ein Vakuum durch eine Scheibe mit hunderten winzigen Kanälen geleitet. Dabei kollidieren sie mit den Wänden der Kanäle, was weitere Elektronen kreiert.
Die Elektronen treffen dann auf einen Phosphor-Leuchtschirm, der sie in sichtbares Licht umwandelt. Dabei entsteht das charakteristisch grüne Bild. Moderne Nachtsichtgeräte haben eine eher hellblaue Darstellung (White Phosphor), die die meisten Nutzer als besser empfinden.
Gestapelte OLEDs
Das Nachtsichtgerät der Forscher kommt komplett ohne Röhre aus. Es nutzt eine Photonen-absorbierende Schicht, die Nahe-Infrarot-Licht in Elektronen umwandelt. Die Elektronen werden durch 5 Schichten OLEDs (organische Leuchtdioden) geleitet, die gestapelt wurden. Dabei werden die Elektronen zu sichtbaren Licht-Photonen umgewandelt. Idealerweise werden so aus jedem Elektron 5 Photonen gemacht.
Einige der Photonen treffen gleich auf das Auge des Benutzers und erzeugen so das sichtbare Bild. Andere werden gleich wieder von der Photonen-Schicht absorbiert, wodurch eine Schleife entsteht. Diese Kettenreaktion sorgt dafür, dass viel mehr sichtbares Licht an den Nutzer ausgegeben wird, als tatsächlich vorhanden ist.
Dünn wie Papier
Dieses Nachtsichtgerät, oder besser gesagt NOD-Schicht, ist weniger dick als ein Mikrometer. Damit ist es dünner als ein menschliches Haar und dünner als Papier. Auch das Gewicht ist nahezu nicht vorhanden. Bei regulären Nachtsichtgeräten nutzen Soldaten oft Gegengewichte auf der Hinterseite des Helmes, damit die Nutzung der schweren Nachtsichtgeräte die Nackenmuskulatur weniger stark belastet.
Da die NOD-Schicht flexibel groß gestaltet werden kann, könnte man damit ein Nachtsichtgerät bauen, das wie eine normale Brille aussieht. Außerdem kann ein größerer Sichtbereich abgedeckt werden, wenn der Formfaktor etwa der einer Sportbrille oder Skibrille entsprechen würde – man braucht also keine teuren Panorama-NODs.
Lediglich ein Akku wird immer noch benötigt, den man zB. im Bügel unterbringen könnte. Im Gegensatz zu regulären Nachtsichtgeräten kann die Batterie kleiner sein. Denn laut den Forschern arbeitet die NOD-Schicht mit weniger Spannung als ein klassischer Restlichtverstärker, was den Energiebedarf senkt.
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Technisches Problem: Memory-Effekt
Die NOD-Schicht hat allerdings noch Schwächen. Sie verstärkt das einfallende Licht um mehr als das 100-fache – bei modernen NODs ist es aber mehr als das 10.000-fache. Mit der aktuellen NOD-Schicht müsste man also immer mit einem zusätzlichen Infrarot-Scheinwerfer arbeiten, um die Leistung zu verbessern. Alternativ könnten die Forscher versuchen, weitere OLED-Schichten hinzuzufügen, um den Effekt zu verstärken.
Ein technisches Problem ist, dass die NOD-Schicht derzeit einen Memory-Effekt aufweist. Verschwindet die Lichtquelle, kann sich in einigen Fällen die NOD-Schicht die Lichtquelle „merken“ – zeigt sie also an, obwohl sie schon weg ist. Das könnte für Schlieren bzw. eine verzögerte Darstellung sorgen, wenn man Blickrichtung wechselt. Damit wäre sie aus aktueller Sicht für sehr viele Anwendungen ungeeignet, besonders militärische.
Hier müsste also mehr Entwicklungsarbeit einfließen, um das Problem zu beheben. Oder man macht sich den Effekt zunutze. Die Forscher schlagen vor, diesen Memory-Effekt als eine Art Gedächtnis für KI-Anwendungen zu nutzen. Anstatt das Bild erst abzuspeichern und zu analysieren, könnte es gleich analysiert werden. Dies könnte Zwischenspeicher oder eigene Prozessoren ersparen.
Forschung wurde von US-Militär bezahlt
Wann und in welcher Form die NOD-Schicht in reale Produkte umgesetzt wird, ist noch nicht bekannt. Es wurde jedenfalls ein Patent dafür eingereicht. Außerdem wurde die Forschung von der DARPA, der Forschungsabteilung des US-Militärs, finanziert. Beides dürfte ein Indikator sein, dass in diesem Bereich weitergeforscht wird.
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Sollte der Memory-Effekt beseitigt werden können, würde das spannende Anwendungen ermöglichen. So könnte man zB. die NOD-Schicht in Windschutzscheiben integrieren, um die Sicht bei schlechten Lichtverhältnissen zu verbessern.
Im militärischen Bereich könnte neben Nachtsichtgeräten im Brillenformat auch eine NOD-Schicht in Zielfernrohre integriert werden, die bei Bedarf eingeschaltet wird. Ebenfalls möglich wäre, dass dadurch normale Kameras bessere Nachtsichtfähigkeiten erhalten oder die Nachtsicht-Kameras für Drohnen und Kampfgefährte kleiner und leichter werden. Möglicherweise könnte damit auch die Zielelektronik der Gefechtsköpfe von Raketen optimiert werden.
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