Löffel mit Zucker und Süßstoff.

Löffel mit Zucker und Süßstoff.

© Getty Images/iStockphoto / nikkimeel/iStockphoto

Science

Schlecht für den Körper? Süßstoffmythen im Faktencheck

Sie tragen Namen wie Acesulfam, Aspartam oder Cyclamat und sind Hunderte Male süßer als herkömmlicher Haushaltszucker. Die Rede ist von Süßstoffen, die heutzutage in vielen Lebensmitteln zu finden sind. Doch obwohl sich diese Stoffe in unserem Alltag ausgebreitet haben, sind sie nicht genau erforscht. Vielleicht ranken sich auch daher viele Mythen rund um Süßmittel und den süßen Geschmackssinn. Doch was ist da dran?

Verschiedene Zungenbereiche für verschiedene Geschmäcker

Der wohl bekannteste Geschmacksmythos ist, dass es auf der Zunge Bereiche gibt, die exklusiv für die einzelnen Geschmäcker - süß, sauer, bitter, salzig und das fleischig-würzige Umami - zuständig sind. Bei solchen Zungenkarten wird der bittere Geschmackssinn meist ganz hinten auf der Zunge angesiedelt, süß soll man vorwiegend mit der Zungenspitze schmecken. “Das ist natürlich falsch und beruht auf einem Übersetzungsfehler”, sagt Barbara Lieder zur futurezone. Die Professorin für Humanernährung und Diätetik an der deutschen Universität Hohenheim, leitete bis Anfang des Jahres das Christian Doppler Labor für Geschmacksforschung an der Fakultät für Chemie der Universität Wien und erforscht u.a. alternative Süßungsmittel.

Barbara Lieder ist Professorin für Humanernährung und Diätetik an der deutschen Universität Hohenheim und leitete bis Anfang des Jahres das Christian Doppler Labor für Geschmacksforschung an der Fakultät für Chemie der Universität Wien.

Barbara Lieder ist Professorin für Humanernährung und Diätetik an der deutschen Universität Hohenheim und leitete bis Anfang des Jahres das Christian Doppler Labor für Geschmacksforschung an der Fakultät für Chemie der Universität Wien.

Beim Menschen wird der süße Geschmack durch einen bestimmten Süßrezeptor wahrgenommen. Diese findet man nicht nur auf den Zungenpapillen, also den Geschmacksknospen auf der Zungenoberfläche, sondern auch im Darm und in Fettzellen. Süßungsmittel - egal ob Zucker oder Süßstoff - docken genau an diesem Rezeptor an. 

Süßungsmittel, Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe

Alles, wodurch wir unser Essen süß schmecken lassen, fällt unter die Kategorie Süßungsmittel. Bei Süßungsmitteln unterscheidet man zwischen kalorische und nicht kalorische Süßungsmittel - erstere liefern Energie, zweitere nicht. Haushaltszucker gilt als das bekannteste kalorische Süßungsmittel.

Zuckeraustauschstoffe sind Stoffe, die ähnlich süß sind wie normaler Haushaltszucker und daher in etwa in der gleichen Menge beim Kochen oder Backen verwendet werden können. Zu den Zuckeraustauschstoffen gehören etwa Xylit (Birkenzucker) oder Sorbit

Süßstoffe bzw. sogenannte High-Intensity Sweeteners (Süßstoffe mit hoher Intensität) haben keine oder nur sehr wenige Kalorien. Sie sind Hundert bis mehrere Tausend Mal süßer als herkömmlicher Zucker. 

In der EU sind 11 High Intensity Sweeteners zugelassen, Zuckerersatzstoffe gibt es 7. Chemisch betrachtet sind aber mehrere Hundert Stoffe bekannt, die süß schmecken.  

Alle Süßstoffe sind gleich

Welcher Süßstoff eingesetzt wird, ist häufig vom Produkt abhängig. “Wenn ich in einem zuckergesüßtem Getränk wie einer Limonade den Zucker ersetzen möchte, dann muss es zum Beispiel ein Süßstoff sein, der in einer sauren Umgebung stabil ist. Wenn ich damit aber etwas backen möchte, muss es bei hohen Temperaturen stabil sein und auch ein gewisses Volumen mitbringen. Man kann schließlich nicht mehrere 100 Gramm Zucker in einem Kuchen mit wenigen Milligramm Süßstoff ersetzen”, sagt Lieder. Und dann kommt noch eine weitere Komponente hinzu: der Geschmack.

Süßstoffe schmecken nur süß

Obwohl alle Süßungsmittel an den gleichen Rezeptoren andocken, können sie sehr unterschiedlich schmecken. Wieso das so ist, ist immer noch nicht vollständig geklärt. “Wir haben im Christian Doppler Labor gesehen, dass die Süßstoffe teilweise auch unterschiedlich mit Speichelproteinen interagieren können”, sagt Lieder. “Das könnte etwas damit zu tun haben.” Bei manchen Süßstoffen tritt auch ein Nebengeschmack auf, weil neben Süßrezeptoren gleichzeitig Bitterrezeptoren angesprochen werden. In der Industrie werden daher manche Süßstoffe in Kombination eingesetzt, um den bitteren Nachgeschmack des einen Stoffes zu unterdrücken.

Süßstoffe verwirren den Körper

Haushaltszucker löst eine ganze Reihe an Antworten im Körper aus. Insulin wird ausgeschüttet, der Blutzucker steigt an. Das Belohnungszentrum unseres Gehirns produziert Dopamin, das in uns Hochgefühle auslöst. Neuesten Studien zufolge können auch Süßstoffe das Belohnungszentrum des Hirns aktivieren. Die anderen körperlichen Reaktionen bleiben aber aus. “Es gibt eine Theorie, dass Süßstoffe einen Effekt auf den Blutzucker haben. Dass es den Körper verwirrt, wenn man zwar Süße schmeckt, aber keine Kalorien ankommen. Aber es gibt keine Studie beim Menschen, die wirklich gezeigt hat, dass Süßstoffe die Insulinantworten in relevantem Maße verändern”, sagt Lieder.

Auch Lieder und ihr Team im Christian Doppler Labor konnten zeigen, dass der süße Geschmack eines Lebensmittels kaum Auswirkungen auf den Hormonhaushalt im Körper oder das spätere Hungergefühl hatte. In ihrem Experiment verabreichten sie eine Zuckerlösung, die mal mehr und mal weniger süß gemacht wurde. Ausschlaggebend waren hier die Kalorien, die die Testpersonen schlussendlich aufgenommen hatten. ”Und da reagieren Personen sehr individuell auf den aufgenommenen Zucker”, sagt Lieder.

Süßstoffe können nicht beim Abnehmen helfen

Dass in Österreich und den westlichen Ländern generell zu viel Zucker konsumiert wird, ist ein gesundheitliches Problem. Es gibt Zusammenhänge zwischen übermäßigem Zuckerkonsum und Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislaufkrankheiten und Krebs, aber auch Konzentrationsschwächen und Depressionen. Die gesundheitliche Wirkung von Zucker kommt aber auf die Menge an, die man zu sich nimmt. “Kleine Mengen sind in Ordnung, aber man kommt schnell in den übermäßigen Konsum”, sagt Lieder. Die Empfehlung der WHO liegt bei maximal 50 Gramm “freien Zuckern” (z. B. aus Süßwaren, Fruchtsäften, Limonaden) pro Tag, also etwa 18 Kilo Zucker pro Jahr. Der durchschnittliche Konsum in Österreich liegt bei gut 28 Kilogramm pro Jahr.

Die WHO empfiehlt aber auch, dass Süßstoffe nicht als Mittel eingesetzt werden sollen, um Gewicht zu reduzieren. “Das wurde vielmals in den Medien als Warnung interpretiert. Es ging allerdings darum, dass die Datenlage für Süßstoffe als Mittel zur Gewichtsreduktion nicht ausreichend ist, um sie dafür zu empfehlen”, sagt Lieder. “Die Kritik an dieser Empfehlung ist auch, dass alle Süßstoffe über einen Kamm geschert werden. Es gibt aber auch Studien, die darauf hinweisen, dass Süßstoffe sehr wohl positive Auswirkungen auf das Körpergewicht haben.”

Lieder empfiehlt, Süßstoffe so zu verwenden, um sich die Schwäche für Süßigkeiten oder süße Getränke abzugewöhnen. Ein Umstieg auf Süßstoffe fällt manchen Personen leichter als der radikale Verzicht auf Süßes. Dann kann man auch Süßstoffe schrittweise reduzieren.

Geschmack verändert sich nicht

Dass sich Geschmäcker mit der Zeit und je nach Lebensstil verändern können, hat Lieder ebenso im Christian Doppler Labor erforscht. Sie hat Hinweise gefunden, dass mit Zucker gesüßte Getränke die Anzahl der Geschmacksknospen reduzieren - wer viel Zucker zu sich nimmt, für den schmecken Süßigkeiten also weniger süß. Dasselbe gilt für Menschen, die körperlich für mehr als 10 Stunden die Woche extrem aktiv sind. Wer auf Diät ist, also weniger Kalorien zu sich nimmt als gewohnt, kann Süße stärker wahrnehmen - zumindest legen das Experimente bei Mäusen nahe. 

Süßstoffe stören das Mikrobiom

Oft bekommt man auch zu hören, dass Süßstoffe auf Dauer zu negativen Veränderungen der Darmflora führen können. Laut Lieder gibt es in der Tat Hinweise, dass einzelne Süßstoffe das Mikrobiom verändern können. Die ursprüngliche Studie dazu aus dem Jahr 2014 hatte allerdings nur 7 Testpersonen untersucht. “Die Evidenz dafür war nicht so stark, wie das teilweise in den Medien dargestellt wurde”, sagt Lieder. Auch hier warnt die Expertin wieder davor, alle Süßstoffe über einen Kamm zu scheren. “Wir brauchen mehr Daten für die einzelnen Verbindungen.”

Süßstoffe sind bereits gut erforscht

An den Daten hapert es häufig. Die meisten stammen aus Studien, die Personen nach ihrem Süßstoffkonsum befragen. “Bei Ja-Nein-Fragen werde ich noch eine Antwort bekommen. Wenn ich aber frage: ‘Wie viel Milligramm Cyclamat oder Sucralose oder Aspartam essen Sie pro Tag?’ - das wird kein Mensch beantworten können”, sagt Lieder. 

Langzeitstudien, bei denen Menschen bestimmte Mengen an Süßstoffen über einen längeren Zeitraum einnehmen, sind selten. “Die Studien sind sehr aufwändig und teuer”, sagt Lieder. “Und deshalb gibt es leider noch Lücken in unserer Datenlage.” 

Es sei immer möglich, dass man in ein paar Jahren auf Effekte stoßen würde, die bisher nicht gesehen wurden. Um das zu vermeiden, gibt es Grenzwerte, in welcher Konzentration sie in einzelnen Lebensmitteln eingesetzt werden dürfen. “Und es gibt Empfehlungen, wie viel man pro Tag auf Dauer zu sich nehmen soll, ohne dass negative Effekte zu erwarten sind”, sagt Lieder. “Zumindest nach dem derzeitigen Stand der Forschung.” Denn auch bei Süßstoffen gilt: Die Dosis macht das Gift.

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG).

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Marcel Strobl

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Ich interessiere mich vor allem für Klima- und Wissenschaftsthemen. Aber auch das ein oder andere Gadget kann mich entzücken.

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