Wie künstliche Intelligenz kranke Kühe im Stall erkennt
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Die Tiere im Stall sehen gesund und zufrieden aus. Doch plötzlich erhält der Landwirt eine Warnung aufs Handy. Eine seiner Kühe weist Krankheitsanzeichen auf, die er noch nicht erkannt hat. Der Bauer kann sofort handeln und die Kuh gesund pflegen. So könnten Landwirt*innen künftig unterstützt werden, bei Krankheitssymptomen ihrer Tiere früh zu reagieren. Ein wichtiger Schritt zur Optimierung des Tierwohls.
Generell werden in Österreich höhere Normen bei der Nutztierhaltung gefordert. Neben dem Auslaufen der Vollspaltenböden oder der permanenten Anbindehaltung rückt auch zunehmend die Digitalisierung der Nutztierhaltung in den Vordergrund – genannt „Precision Livestock Farming“. Dabei werden mithilfe von elektronischen Werkzeugen tierbezogene Daten für die Verbesserung der Tiergesundheit erfasst und analysiert.
Tierwohl-Pakt in Österreich
Österreich zählt laut dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft zu den Ländern mit den höchsten Tierwohl- und Lebensmittelstandards. Im Ranking der Tierschutzorganisation „World Animal Protection“ nimmt Österreich unter 50 Staaten weltweit den ersten Platz ein.
Der Tierwohl-Pakt erleichtert heimischen Bauern Investitionen in tiergerechte Haltungssysteme. Das soll für Betriebe einen Anreiz für Neu- und Umbauten von tierwohlgerechten Ställen setzen. 120 Millionen Euro stellt Österreich dafür pro Jahr zur Verfügung.
„Damit kann man für viele Fragestellungen vernünftige Lösungen entwickeln. Wenn ich etwa das Verhalten eines Pferdes in einer bestimmten Umgebung überwachen will, etwa in der Pferdebox, kann ich beispielsweise aus seinem Bewegungsmuster Rückschlüsse auf ein mögliches Krankheitsgeschehen ziehen“, erklärt Johannes Baumgartner vom Institut für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung an der Veterinärmedizinischen Universität Wien der futurezone. Die Verantwortlichen hoffen in zwei Jahren, einen Prototyp im Stall testen zu können.
Kamerasystem für den Stall
Baumgartner ist Mitbeteiligter an einem neuen Forschungsprojekt, in dessen Rahmen ein Überwachungssystem für den Stall entwickelt wird. Geleitet wird es vom Informatiker Stephan Winkler von der FH OÖ Hagenberg – auch die TU Wien ist mit an Bord.
„Unser Ziel ist es, ein System zu entwickeln, das hauptsächlich mit Kameras und möglichst wenig zusätzlichem Sensorikaufwand umsetzbar ist. Damit wollen wir automatisiert erkennen, ob es den Tieren gut geht“, sagt Winkler. Dabei gilt es, eine Verknüpfung zwischen dem herzustellen, was man sieht und was davon problematisches oder normales Tierverhalten ist. „Das braucht gekennzeichnete Daten.“
Unterstützung dabei gibt es aus der Tierwissenschaft. „Die Tiere werden in einem gewissen Verhalten beobachtet – der Experte sagt dann, ob dieses normal oder krankhaft ist“, sagt Winkler.
Sind die Bilddaten kategorisiert, wird mit diesen ein Algorithmus trainiert. Das System lernt das Verhalten der Tiere selbst richtig einzuschätzen und warnt den Landwirten oder die Landwirtin frühzeitig, wenn ein Tier in der Herde veränderte Gesundheitszustände aufweist.
„Wenn es möglichst bald Alarm gibt, kann der Landwirt eingreifen und handeln, bevor es zu spät ist“, erklärt Winkler. Nicht nur kann mit einer solchen Überwachung die Lebensqualität von Nutztieren verbessert werden, auch können Landwirt*innen entlastet und bei Entscheidungen unterstützt werden.
Herdenbeobachtung als Ziel
Der Fokus des Projekts liegt auf der automatisierten Herdenbeobachtung. „In immer größer werdenden Tierbeständen ist heutzutage weniger die Einzeltierbetreuung, als vielmehr der bestandsbetreuende Zugang relevant. Also wie reagiert der Bestand und was ist zu tun, um den Gesamtbestand gesund zu halten“, ergänzt der Tierforscher Johannes Baumgartner.
Hilfsbedürftige Tiere könnten dabei aber aus dem Fokus geraten.
„Hier könnte wiederum die automatisierte Erkennung von Tieren, die aus der Norm fallen, dabei helfen, das hilfsbedürftige Einzeltier frühzeitig zu erkennen und ihm die gebührende Hilfe zuteilwerden zu lassen, damit diese rechtzeitig wieder in den gesunden Normalzustand gebracht werden“, erläutert er. Umgesetzt werden kann das, indem der Algorithmus einen Normbereich für den jeweiligen Raum – etwa den Stall – ohne kranke Tiere bestimmt. Sobald dieser Normbereich verlassen wird, schlägt das System an.
Aggressivität erkennen
Auch Interaktionen zwischen den Tieren könnten analysiert werden. So ließe sich etwa erkennen, ob es im Zusammenspiel der Tiere Aggressivität gibt. Noch befindet sich das Projekt in der Anfangsphase. Davon profitieren könnten etwa europäische Schweineproduzenten. Laut Baumgartner müssen diese bald das routinemäßige Schwanzkupieren (das operative Entfernen von Schwanzwirbeln) einstellen.
„Die Gefahr mit intakten Schwänzen ist aber das Schwanzbeißen, wenn die Randbedingungen nicht passen.“ Kameras könnten permanent Bilder liefern, die über einen Algorithmus auf ein spezielles Verhalten hin ausgewertet werden. „Zum Beispiel, wenn ein Schwein von der Schwanzseite ein anderes Schwein kontaktiert. Man kann diese sogenannten Beißer so erkennen und frühzeitig isolieren.“ Passiert das nicht, können die gebissenen Schweine ebenfalls aggressiv werden, bis sich das negative Verhalten auf den ganzen Bestand ausgebreitet hat.
Was Kameras im Schlachthof bringen
Weltweit kommen in landwirtschaftlichen Betrieben diverse technologische Werkzeuge wie Halsbänder oder Bewegungsmesser zum Einsatz. Sie verfolgen das Ziel der automatisierten Überwachung von Nutztieren in ihrer komplexen Umgebung. Aus den gewonnenen Daten lassen sich unterschiedliche Informationen unter anderem zu Krankheit, Gesundheit oder Futtereffizienz ableiten.
Auch in Österreich wurden bereits mehrere Innovationen im Sinne einer tiergerechten Haltung entwickelt und zur Anwendung gebracht. Ein Beispiel sind etwa Sensoren im Pansen, einem Vormagen von Kühen. „Ein Sensor misst dabei die Temperatur und kann Ableitungen in Bezug auf das Reproduktionsgeschehen oder bestimmte Krankheitsgeschehen treffen“, erläutert Johannes Baumgartner vom Institut für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Technik im Schlachthof
In Schlachthöfen kommen bildbasierte Überwachungsverfahren zum Einsatz – laut Baumgartner allerdings noch nicht im Tierschutzkontext. „Zukünftig werden wohl vermehrt Bilder von Schlachtkörpern automatisiert ausgewertet, etwa auf angebissene Schwänze und Ohren von Schweinen, Raufspuren oder Verletzungen“, sagt der Forscher.
Am Ende könne es etwa zu der Auswertung kommen, dass der Betrieb XY eine Charge von Tieren abgeliefert hat, die zwar keine kupierten Schwänze haben, 20 Prozent der Schwänze weisen aber Verletzungen auf. „Ein Rückmeldesystem weist den Betrieb darauf hin, dass eine entsprechende Lösung des Problems gesucht werden muss“, so Baumgartner.
Betreuung verbessern
Generell sei es bei der Entwicklung derartiger Hilfsmittel wesentlich, geeignete Anwendungsfelder zu definieren und die dafür passenden technischen Lösungen zu finden. „Dann kann die Digitalisierung auch zum Fortschritt im Tierschutz beitragen und die Lücke durch eine geringere menschliche Betreuungsintensität kompensiert und teilweise verbessert werden“, sagt Baumgartner.
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