Was wissen wir über Dunkle Materie?
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Eines der großen Mysterien des Universums ist die Dunkle Materie. Auf der ganzen Welt suchen Wissenschaftler*innen nach Antworten, was Dunkle Materie genau ist. Aktuell ist diese Forschung im Trend, nicht zuletzt durch den enormen technischen Fortschritt der vergangenen Jahre. Am kommenden Samstag, 1. Juli, wird mit dem ESA-Weltraumteleskop EUCLID ein weiteres Instrument zum Untersuchen der Dunklen Materie starten (mehr dazu am Montag auf futurezone.at).
Doch was ist Dunkle Materie überhaupt und woher wissen wir, dass es sie gibt? Wir haben uns mit der Astrophysikerin Laila Linke darüber unterhalten. Sie forscht an der Uni Innsbruck am Institut für Teilchenphysik. Ihr Hauptgebiet sind Gravitationslinsen (mehr dazu unten).
1. Woher wissen wir, dass es Dunkle Materie geben muss?
Den Anfang macht wie so oft eine kleine Geschichtsstunde. Ihren Namen erhielt die Dunkle Materie vom Schweizer Astronom Fritz Zwicky. 1933 untersuchte er den Coma-Galaxienhaufen. Dabei stellte er fest, dass die Masse, die diese Galaxien zusammenhält, etwa 400-Mal größer sein müsste als jene, die beobachtet werden konnte. Tatsächlich bewegen sie die Galaxien dort mit Geschwindigkeiten von über 1.000 m/s. Ihre Gesamtmasse beträgt 1014 Sonnenmassen – davon sind nur 15 Prozent Gas und 5 Prozent Sterne und Planeten. Wie wir inzwischen wissen, ist der Rest Dunkle Materie.
Bis Zwickys Theorie Beachtung fand, dauerte es knapp 30 Jahre. Dann zeigte die Amerikanerin Vera Rubin das Phänomen erneut auf, indem sie die Geschwindigkeiten von Sternen in Galaxien verglich. "Die Sterne in einer Galaxie sind in den äußeren Bereichen sehr schnell unterwegs. Das lässt sich nicht mit der ‚normalen‘ Materie erklären. Es muss irgendetwas geben, das die Sterne zusammenhält und das ist die Dunkle Materie", beschreibt Laila Linke Rubins Entdeckung.
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2. Kann man Dunkle Materie indirekt sehen?
Ja. Wie beim Foto eines Schwarzen Lochs wird das Objekt selbst nicht sichtbar, die Auswirkungen, die es auf die Umwelt hat, aber schon (mehr dazu hier). Ein gutes Beispiel für Dunkle Materie ist der Bullet Cluster (siehe Titelbild). Hier erkennt man 2 Sternenhaufen, die gerade kollidieren. "Im Zentrum zwischen den Sternen befindet sich heißes Gas. Das kann aber nicht die Hauptmasse sein, die die Sternehaufen zusammenhält", erklärt Linke.
Die Aufnahme entstand mithilfe von Gravitationslinsen, einem weiteren Effekt, der die Existenz Dunkler Materie demonstriert. Wie eine optische Linse verändern sie Objekte für die Betrachter*innen. Bei einer Gravitationslinse handelt es sich um ein sehr massereiches Objekt, wie einen Galaxienhaufen. Dahinterliegende Sterne werden heller, verdeckte Galaxien kommen erst zum Vorschein. Je nach Stärke der Gravitationslinse können Objekte auch mehrfach und verzerrt erscheinen. Wie das aussehen kann, zeigt dieses NASA-Video:
"Gravitationslinsen entstehen dadurch, dass Materie allein durch ihre Masse Licht ablenkt. Das tut sowohl sichtbare als auch Dunkle Materie", beschreibt Linke das Phänomen. Einsteins Relativitätstheorie beschreibt, dass massereiche Objekte den Raum krümmen – das wird hier sichtbar.
3. Ist Dunkle Materie wirklich "Materie" oder ist der Begriff irreführend?
Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es bisher noch nicht. Laut Laila Linke ist der Begriff aber wahrscheinlich nicht so falsch: "Die beste Theorie, die wir bisher haben, besagt, dass es Teilchen sind, die wir noch nicht kennen."
Doch es gibt auch andere Hypothesen. Der ehemalige Wissenschaftschef der ESA, Günther Hasinger, untersucht etwa, ob es sich bei Dunkler Materie um sogenannte primordiale Schwarze Löcher handeln könnte (Studie). Das könnten kleine Schwarze Löcher sein, die kurz nach dem Urknall entstanden sind. Sind genug von ihnen im Universum verteilt, könnten sie einen ähnlichen Effekt haben wie Materie.
Alles erklären die Theorie aber nicht, sagt Linke: "Sie müssten aber auch Gravitationslinsen erzeugen. Wenn ein Stern hinter so einem Schwarzen Loch vorbeizieht, müsste er dann kurz ganz hell aufleuchten und das hat man noch nicht oft genug detektiert. Das ist also recht unwahrscheinlich."
4. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir bei der Suche nach Dunkler Materie unser Wissen über das Universum grundlegend ändern müssen?
Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass wir bekanntes und bewährtes Wissen wie die Relativitätstheorie für falsch erklären, wenn Dunkle Materie identifiziert wird. "Wir wissen ziemlich genau, wie sich Dunkle Materie verhält, auch wenn wir nicht wissen, was es genau ist. Wenn wir herausfinden, welches Teilchen es letztendlich ist, wird das wahrscheinlich nicht so viel Effekt haben", sagt Linke. Neue Theorien müssten immer auch bekannte, bereits nachgewiesene Modelle erklären können.
Was sich aber ändern könnte ist das Verständnis davon, wie sich Galaxien bilden und wie sich das Universum ausdehnt. Findet man heraus, dass das Dunkle-Materie-Teilchen mit anderen Teilchen interagiert, müssten die jeweiligen Modelle dazu angepasst werden.
5. Was ist Dunkle Energie und was hat sie mit Dunkler Materie zu tun?
"Es ist ein bisschen unglücklich, dass sie ähnliche Namen haben, weil erstmal haben sie nicht wirklich etwas miteinander zu tun", sagt Linke. Die Dunkle Energie ist eine mögliche Erklärung, warum sich die Ausdehnung des Universums beschleunigt.
Die Ausdehnung kann mithilfe der Hubble-Konstante berechnet werden (mehr dazu hier). Sie zeigt, dass das Universum immer schneller wächst. Nach den bekannten physikalischen Gesetzen müsste die Ausbreitungsgeschwindigkeit aber konstant bleiben oder sich verlangsamen. "Das bedeutet, wir brauchen eine Energiekomponente, die das Universum auseinandertreibt, die Dunkle Energie", erklärt Linke. Das neue Weltraumteleskop EUCLID sucht auch nach neuen Hinweisen auf Dunkle Energie.
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