Zwischen Heiligem Gral und Unmoral: KI für unsere Gesundheit
Samsung hat in Paris bei seinem Unpacked-Event 7 neue Geräte vorgestellt. Und bei jedem davon war KI ein Thema. Sei es als Übersetzer, zum Verbessern des Sounds, oder um korrekter den Schlaf zu messen.
Besonders kritisch wird es, wenn KI mit nicht nur mit unseren digitalen Daten, sondern auch unseren Gesundheitsdaten hantiert. Ich habe dazu bei einem Round Table mit Hon Pak gesprochen, Chief Medical Officer und Leiter für Digital Health bei Samsung.
Vor seinem aktuellen Job war er 26 Jahre lang bei der US-Armee, u. a. als Chief Medical Information Officer. Er kennt also das US-Gesundheitssystem und seine Probleme aus mehreren Schwächen und Perspektiven – und damit auch potenziell die europäischen Gesundheitssysteme, die sich leider immer mehr dem amerikanischen annähern.
Wearables sind keine Ärzte
Pak betont ausdrücklich, dass eine Galaxy Watch 7 oder ein Galaxy Ring keinen Arzt ersetzen kann. Auch wenn diese nach Anzeichen von Herzrhythmusstörungen, Schlafapnoe und AGEs suchen, ist das nie eine Diagnose, sondern ein Hinweis, dass man bei Verdachtsfällen einen Arzt aufsuchen sollte.
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Er sieht Wearables und KI vielmehr als einen Schritt, um den eigenen Lebensstil positiv zu beeinflussen. Man soll möglichst gesund bleiben, um nicht krank zu werden. Er kritisiert, dass das Gesundheitssystem der USA und vieler anderer Länder lediglich kranke Menschen behandelt (im Falle der USA für viel Geld), anstatt auch dafür zu sorgen, dass Menschen gesund bleiben.
KI als Personal Trainer, Life Coach und Assistent
Ein Schritt in Richtung KI-gestützte Vorsorge soll Samsungs Energy Score sein. Der sei jetzt laut Pak, symbolisch gesprochen, bei Version 1. Man wolle den Dienst laufend erweitern, um Usern mehr Informationen und Hilfestellungen zu bieten, wie der Energy Score und damit das eigene Wohlbefinden, verbessert werden kann.
Im Idealfall wird es irgendwann so sein, dass die KI eine Mischung aus Personal Assistant und Personal Coach ist. Dem User könnten durch automatisierte Prozesse Arbeiten abgenommen und so Stress reduziert werden. Workouts und Essensvorschläge würden automatisch an die kontinuierlich gemessenen Gesundheitsdaten angepasst, unter gleichzeitiger Rücksichtmaße auf die Präferenzen des Users.
Bis dahin ist aber noch einiges zu tun. So muss etwa die richtige Balance gefunden werden, wie sehr die KI „Freund“ oder „Trainer“ sein soll oder wie man anhand des Userverhaltens herausfinden kann, auf was dieser mehr anspricht. Manche Menschen reagieren besser auf freundliche Hinweise und gelegentliche Tipps, während andere klare Anweisungen und strenge Führung bevorzugen.
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Die Heiligen Grale der Health-Tech
Außerdem müssen die Sensoren und Algorithmen der Wearables weiter verbessert werden: Je mehr Daten man von den Usern hat, desto genauer könne man Tipps zur Gesundheit geben und mögliche Gesundheitsprobleme vorzeitig erkennen.
Hier gibt es 2 Heilige Grale in der Health-Tech. Der eine ist die präzise Blutdruckmessung, ohne, dass dafür das Wearable kalibriert werden muss. Die Samsung Galaxy Watches können das derzeit nur mit regelmäßiger Kalibrierung durch ein reguläres Blutdruckmessgerät, mindestens alle 4 Wochen.
Der Zweite ist das Messen des Glucosewerts im Blut (Blutzucker) per Wearable, ohne dass dazu Blut oder Zwischenzellwasser nötig ist. Das würde nicht nur Diabetes-Patienten helfen.
Der Glucosewert liefert wichtige Informationen zum Stoffwechsel. Eine kontinuierliche Messung kann dabei helfen herauszufinden, welche Lebensmittel uns wann guttun, wie wir unsere Leistung steigern können und wann es Zeit ist, die Ernährung umzustellen, bevor eine Vorstufe von Diabetes erreicht wird.
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Mehr LEDs in Sensoren für mehr Messungen
Mit dem Messen von AGEs (glykierte Reaktionsprodukte) in der Watch 7 und Watch Ultra, sei Samsung in diese Richtung unterwegs. Möglich wurde das, indem der Sensor, mit dem auch die Herzfrequenz gemessen wird, angepasst wurde. Statt 8 Leuchtdioden, die das ausgesendete Licht wieder empfangen, gibt es jetzt nur noch 4, die aber leistungsstärker sind. Dadurch ist Platz für mehr LEDs, die in anderen Spektren leuchten.
Wann mit dieser Methode auch verlässlich der Glucosewert in Echtzeit gemessen werden kann, steht noch in den Sternen. „Wenn wir das schaffen und auch die Blutdruckmessung ohne Kalibrierung, ist die Welt ein besserer Ort“, sagt Pak.
Dystopie: KI empfiehlt Medikante und Arzneimittel
Trotz all der Hoffnung in KI und dauerhafte Überwachung durch Sensoren, gibt es eine potenziell dunkle Seite: Denn Unternehmen wollen Geld machen. Es würde sich doch für Samsung anbieten, eine Kooperation mit Medikamentenherstellern oder Anbietern von Nahrungsmittelzusätzen einzugehen. Die KI könnte das „passende“ Produkt vorschlagen, etwa um den Blutdruck zu senken. Oder sie könnte eine Verlaufskurve anzeigen, wie stark man zunimmt und ob wann man unheilbar Diabetes hat, wenn man nicht schnellstmöglich einen bestimmten Appetitzügler kauft.
Nicht ganz unschuldig an diesem Gedanken ist Paks Notizbuch, das beim Gespräch vor ihm auf dem Tisch liegt. Es war ein Werbegeschenk von Bayer. Das Logo des Arzneimittelkonzerns prangt auffällig am Deckel des Notizbuchs. Ich habe Pak mit der oben genannten Dystopie konfrontiert und gefragt, wie er hier Samsungs moralischen Kompass sieht.
Damit KI-unterstützte Vorsorge funktionieren könne, müssen die User der KI – und in Folge dem Unternehmen, das die KI-Produkte anbietet – vertrauen, so Pak. Eine Einbindung von Arzneimittelwerbung würde das Vertrauen missbrauchen und damit würde man die User verlieren. Sie könnten glauben, dass ihre Daten an Pharmariesen und andere Unternehmen weitergegeben werden. Zwischen den Zeilen gelesen heißt das: Wenn man User mit so etwas aus dem Ökosystem rausekelt, hat man mehr verloren, als das man durch eine Partnerschaft mit Arzneimittelherstellern gewinnen könnte.
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KI und Wearables in der Pflege
Die Weitergabe von Gesundheitsdaten, die per Sensoren und KI gesammelt werden, könnte aber laut Pak in Zukunft ein Thema werden, etwa in der Pflege. Hier ist wieder die USA das Negativbeispiel. Pflegepersonal ist schlecht bezahlt. Das sorgt für Personalmangel.
Gleichzeitig ist für viele Menschen die Pflege zu teuer, weil Vermittlungsfirmen und andere Unternehmen hier kräftig mitschneiden. Das führe immer häufiger dazu, dass Pflege und Betreuung von alten oder chronisch kranken Menschen von Verwandten übernommen wird.
Wearables könnten die Gesundheitsdaten der zu pflegenden Person sammeln. Eine KI hilft bei der Auswertung und leitet die Daten an die Verwandten weiter, die die Person pflegen, idealerweise mit Handlungsempfehlungen. Das entlastet die Verwandten etwas und kann Stress und Druck reduzieren.
Auch Ärzte könnten bei Bedarf eingebunden werden. Die Gesundheitsdaten könnten übertragen werden, um erweiterte Telemedizin zu ermöglichen. Hier gilt es, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Datentransfer sicher stattfinden kann.