Sentinel-2C startet: Wie Europa die ganze Welt im Blick hat
Überschwemmungen, Waldbrände, Gletscherschmelze oder Algen an der Adria: Satellitenbilder zeigen alles, was auf der Erde vor sich geht. Täglich erfassen sie große Mengen an Daten über die gesamte Erde.
Mit Copernicus betreibt die Europäische Kommission eines der weltweit umfangreichsten Erdbeobachtungsprogramme. Seine Sentinel-Satelliten sammeln dafür seit 10 Jahren Daten. Jetzt bekommt das Programm mit dem neuen Sentinel-2C Zuwachs.
Hochauflösende Bilder: Sentinel-2
Er wird Beobachtungsdaten im optischen und nahen Infrarotbereich liefern. Seine Satellitenbilder haben eine Auflösung von 10 Metern pro Pixel. "Sentinel-2 sieht mehr als unsere Augen und ist für Vegetationsanwendungen optimiert, zum Beispiel für Ernteprognosen, aber auch um Eisveränderungen zu kartieren", beschreibt ihn Robert Meisner, Kommunikationskoordinator der Erd- und Umweltbeobachtungsorganisation der ESA.
Immer 2 Sentinel-2 Satelliten umfliegen die Erde um 180 Grad versetzt. Sie verfolgen einen sogenannten sonnensynchronen Orbit. Das bedeutet, sie umkreisen die Erde vom Nordpol zum Südpol, während sich der Planet unter ihnen dreht. Das Ergebnis sind Bilder, die immer zur gleichen Tageszeit entstehen, damit gleiche Lichtverhältnisse haben und somit vergleichbar sind. Alle 5 Tage gibt es neue Bilder vom Äquator, in Europa sind es ungefähr alle 2 Tage.
Der letzte Vega-Flug
Mit dem neuen Sentinel-2C-Satelliten an Bord endet beim Raketenstart vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guyana, auch eine Ära. Ein letztes Mal fliegt die kleine europäische Trägerrakete Vega heute Nacht ins All.
Nach ihrem Erstflug 2012 absolvierte sie über 100 erfolgreiche Missionen. Auch Sentinel-2A und Sentinel-2B hat sie bereits ins All gebracht.
Warten auf Vega-C
Eigentlich hätte das Zepter schon 2022 an die neue, verbesserte Vega-C übergeben werden sollen. Ihr großer Vorteil ist, dass ihre erste Raketenstufe gleichzeitig als Antrieb für Europas neue Schwerlastrakete Ariane 6 dient. Das vereinfacht und vergünstigt die Produktion der beiden Raketen. Doch die von der italienischen Firma Avio designte und gebaute Rakete scheiterte nach einem erfolgreichen Jungfernflug bei ihrem ersten kommerziellen Start.
Seither blieb sie am Boden und musste sich einer Reihe neuer Tests unterziehen. Die laufen allerdings gut genug, sodass die ESA zuversichtlich ist, die Vega-C noch Ende dieses Jahres wieder ins All zu schicken.
Die Satelliten haben eine Lebenserwartung von 7 Jahren. Beschränkt wird das durch die Lebensdauer der Batterie für die Instrumente und den Treibstoff. Der ist nötig, um die Satelliten gelegentlich anzuheben oder Ausweichmanöver zu fliegen, damit sie nicht mit Weltraumschrott kollidieren. Je sparsamer mit diesen Ressourcen umgegangen wird, desto länger können die Satelliten im Einsatz bleiben. Sentinel-2A, den Sentinel-2C ersetzten soll, bleibt daher vorerst noch im Einsatz.
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Was sich unter den Wolken versteckt: Sentinel-1
Das Copernicus-Programm besteht jedoch aus sehr viel mehr Instrumenten, die zusammen ein großes Ganzes ergeben. 2014 startete alles mit Sentinel-1A, dem ersten von 2 Radarsatelliten. Alle 6 Tage liefern die Satelliten mit einer Auflösung von bis zu 9 Metern pro Pixel.
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Der Vorteil ist, dass sie auch durch Wolkendecken hindurchsehen. Das ist unter anderem für den Katastrophenschutz von Bedeutung. So kann bei Überschwemmungen trotz Regenwetters ein Überblick über die Situation gewonnen werden. Doch auch Vulkanausbrüche, Erdrutsche sowie Bodensenkungen oder Ölteppiche auf dem Meer hat Sentinel-1 im Blick.
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Derzeit muss Sentinel-1A diese Arbeit allein übernehmen. Sentinel-1B sendet keine Daten mehr. Der Nachfolger Sentinel-1C soll im Dezember starten. Der Flug hatte sich verzögert, weil die Rakete Vega-C, mit der der Satellit starten soll, nach einer Panne am Boden blieb.
Vermessung der Meere: Sentinel-3 und -6
Die beiden Konstellationen Sentinel-3 und Sentinel-6 erheben Daten über die Ozeane. Sentinel-3 misst etwa die Oberflächentemperatur von Wasser und Land sowie die Wasserqualität, auch von Flüssen und Seen. Die Instrumente können Farben genau erkennen und damit auch Veränderungen der Landschaft erfassen. Auch die Dicke von Eisdecken erfasst der Satellit.
Sentinel-6 ist hingegen in der Lage, sehr genau den Stand des Meeresspiegels zu ermitteln. Da dieser nicht überall gleich ist, sondern je nach Schwerkraft regionale Unterschiede auftauchen, ist die regelmäßige globale Erfassung entscheidend. Erste Messungen zeigten etwa, dass der Meeresspiegel nicht mehr wie zuvor um 3 mm pro Jahr ansteigt, sondern um 5 mm.
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Die Atmosphäre im Blick: Sentinel-4 und -5
Nicht nur die Erdoberfläche ist für die Beobachtung von Bedeutung. Zu unserem Planeten gehört auch seine schützende Atmosphäre. Untersucht wird sie von Sentinel-4 und -5. Sie sind keine eigenständigen Satelliten, sondern ihre Instrumente sitzen auf Wettersatelliten.
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Sie erfassen die Zusammensetzung der Atmosphäre. Sie finden Spurengase wie Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Methan und Ozon. Die erfassten Daten geben Auskunft über die Luftqualität.
Katastrophenschutz, Industrie und Klimawandel
Jeden Tag liefert das Copernicus-Programm insgesamt 25 Terabyte an neuen Daten, die dann bereitgestellt werden. "Wir haben seit 10 Jahren ein operationales System, die Daten sind für jeden auf der Welt frei verfügbar. Das macht das Copernicus-Programm besonders", sagt Meisner.
Das ist der riesige Vorteil des EU-Programms Copernicus gegenüber kommerziellen Satellitenbetreibern. Über die Online-Plattform kann jeder die Rohdaten herunterladen und für Forschung und Industrie verwenden. Ungefähr 700.000 User sind auf der Copernicus-Plattform aktuell angemeldet und nehmen das in Anspruch.
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Täglich werden so 300 TB an Daten heruntergeladen. Das sorgt auch für eine enorme Freiheit, sich selbst Wissen anzueignen. "Wir geben keine Informationen aus, die wir nicht belegen können, die nicht gemessen wurden. Jeder kann diese Daten herunterladen und überprüfen. Man muss sich nicht auf das verlassen, was einem andere vorsetzen", beschreibt es Meisner.
Datenfluss und Nachhaltigkeit
Diese Datenmengen werden in Rechenzentren gespeichert, erklärt Meisner. "Sicherzustellen, dass diese Daten auch in 30 Jahren noch zur Verfügung stehen, ist ein praktisches Problem. Aber das haben wir ganz gut im Griff. Wenn ich mit den Daten jetzt etwas mache, habe ich die Garantie, dass sie auch langfristig verfügbar sind".
Für viele Anwendungsfälle ist eine Betrachtung über einen langen Zeitraum sinnvoll. Werden etwa landwirtschaftliche Daten mithilfe von Sentinel-2 erhoben, um eine Ernteprognose zu erstellen, dann ist es nötig, die Bilder aus mehreren Jahren auszuwerten. "Satellitenbilder sind in den ersten 24 Stunden besonders wertvoll, dann verlieren sie schnell an Wert." Relevant werden sie wieder in 15 Jahren, wenn man Analysen macht und langfristige Trends berechnen will.
Update: Arianespace, die den Sentinel-2C-Start (VV24) durchführen, teilte mit, dass der Launch aufgrund technischer Probleme um einige Stunden verschoben wurde. Die letzte Vega-Rakete soll nun am Donnerstagmorgen (3:50 Uhr MESZ) vom Weltraumbahnhof Kourou, Französisch-Guyana, starten.