Mastodon: Dezentrale Twitter-Alternative mit neuen Apps im Test
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Nicht erst seit dem Kauf-Wirrwarr rund um Elon Musk steht Twitter in der Diskussion. Fragwürdige Entscheidungen zu Inhalten und der Ausrichtung der Plattform haben über die Jahre immer wieder zu breiteren Diskussionen geführt. Neben der Debatte rund um Meinungsfreiheit und dem Zulassen von Inhalten, werden beispielsweise der geheime Algorithmus und die stark beschnittenen APIs kritisiert.
Während es über die Jahre viele mit Alternativen versucht haben, hatten sämtliche Plattformen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Mit neuen Apps für iOS und Android versucht jetzt aber das Software-Projekt Mastodon in die Lücke zu stoßen.
Seit seinem Initial-Release im Jahr 2016 verfügbar, gilt der Microblogging-Dienst als Twitter-Alternative, der ähnliche Ansätze verfolgt, während einige Probleme der Vogel-Plattform mit einer alternativen Herangehensweise gelöst werden sollen.
Mastodon für iOS und Android
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Dezentraler Ansatz
Die Microblogging-Software Mastodon wurde 2016 vom deutschen Entwickler Eugen Rochko ins Leben gerufen. Mastodon orientiert sich auf den ersten Blick sehr stark am Social-Media-Giganten Twitter, der gerade in den letzten Jahren permanent rund um die Themen Meinungsfreiheit in den Fokus geriet. Während Mastodon oberflächlich sehr starke Ähnlichkeiten mit Twitter aufweist, gibt es einige Punkte, vor allem unter der Haube, die den großen Unterschied ausmachen.
So findet Mastodon nicht auf einem zentralen Serverkomplex statt, der von einer einzigen Entität betrieben wird. Stattdessen bekommen wir viele verschiedene, unabhängig gehostete Server. Dank freier Verfügbarkeit der Software bekommen wir viele einzelne Server, bei Mastodon Instanzen genannt, die von Admins betrieben werden können und einen grundsätzlich unabhängigen Teil des Mastodon-Komplexes darstellen. Trotz dieses unabhängigen Ansatzes ist Mastodon aber nicht in tausende Einzelteile fragmentiert.
Die unabhängigen Instanzen können getrennt voneinander existieren, sind aber sehr wohl unter einander verbunden und ermöglichen so auch die gegenseitige Kommunikation, sofern dies von den jeweiligen Communites gewollt ist. Jede der Instanzen wird von untereinander unabhängigen Admins verwaltet, die eigene Themen und Regeln festlegen können.
Manche spezialisieren sich auf bestimmte Themen oder fassen etwa Regionen wie Städte oder Bundesländer zusammen, andere existieren einfach für den allgemeinen Austausch. Als Hauptinstanz gilt mastodon.social, die von Eugen Rochko selbst betrieben wird. Kürzlich medial in Erscheinung getreten ist die Instanz truth.social, die vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ins Leben gerufen wurde und ebenfalls auf Mastodon als Software aufbaut.
Individuelle Regeln
In Sachen Regeln ist es vor allem die Instanz, die den Ton angibt. Möchten wir an einer bestimmten Instanz teilhaben, müssen wir uns mit den von der Administration vorgegeben Regeln vertraut machen und diese respektieren. Die Instanz Mastodon.social definiert in seinen Regeln beispielsweise, dass Inhalte sexueller oder gewalttätiger Natur als sensible Inhalte gekennzeichnet werden müssen. Außerdem ist die Verbreitung von Hass und das Anstacheln von Gewalt untersagt.
Auch wird das Verbreiten von falschen oder irreführenden Inhalten verboten. Als grundsätzlicher Gradmesser ist darüber hinaus alles untersagt, was gegen Gesetze in Deutschland verstößt. Die persönliche Wahl der Instanz definiert sich aber nicht nur anhand der vorherrschenden Regeln. Thema, Sprache und Größe sind ebenfalls ein Faktor. Manche verschreiben sich etwa bestimmen Themen wie Sport, Musik oder Politik, während andere einen sehr allgemeinen Ansatz verfolgen.
Möchten wir uns vor allem zu bestimmten Themen austauschen, sollten wir die passenden Instanzen dafür suchen. Auch bei der Größe der jeweiligen Instanzen sollten wir abwägen. Ist die gewählte Instanz zu groß, wird unsere lokale Timeline in Nachrichten untergehen.
Befindet sich niemand auf der Instanz, bleibt diese wiederum leer. Um die für uns passenden Instanz zu finden, gibt es mehrere Möglichkeiten. Wer etwa über die Apps von Mastodon startet, bekommt eine Liste mit verschiedenen Instanzen präsentiert. Für eine umfangreichere Suche gibt es aber auch Seiten wie instances.social oder joinmastodon.org, die uns beim Stöbern unterstützen.
Einfache Registrierung
Haben wir eine Instanz gefunden, kann es an die Registrierung gehen. Bei der Anmeldung werden nicht viel mehr als Nutzername, E-Mail-Adresse und Passwort benötigt. Zur Registrierung gilt es, eine Instanz auszuwählen, die unser Ausgangspunkt für sämtliche Inhalte ist, die wir verbreiten. Nehmen wir etwa mastodon.social, lautet unser Nutzername user@mastodon.social. Dieser ist für die Kommunikation innerhalb sowie außerhalb der Instanz von Bedeutung.
Die seit 2021 für iOS und seit April 2022 für Android verfügbaren offiziellen Apps machen die Anmeldung bei Mastodon zum Kinderspiel. In einer kompakten Suche können wir uns Instanzen nach Themen sortiert vorschlage n lassen oder nach Inhalten filtern. Haben wir eine bestimme Instanz, die wir nutzen möchten, kann diese über dir Suche gefunden werden. Nachdem eine oder mehrere Instanzen gewählt wurden, geht es dann zur eigentlichen Registrierung.
Sind hier alle Daten eingetippt, müssen wir lediglich unsere Mail-Adresse über einen Link bestätigen. War die Registrierung erfolgreich, gilt es unsere Timeline mit Inhalten zu befüllen. Mastodon ermöglicht uns hier die einfache Suche nach Accounts, denen wir folgen können. Initial wird vor allem nach Popularität gelistet, gibt es bei Mastodon doch keine Algorithmen, die uns in eine Ecke drücken wollen.
Die Suche nach Accounts erstreckt sich dabei über Instanz-Grenzen hinweg. Vertreten sind unter anderem der Verein epicenter.works, einige Politiker oder die ein oder andere inoffizielle Variante von News-Webseiten. Besonders auffällig ist aber, dass einige deutsche Bundesämter offiziell vertreten sind. So finden sich etwa das Bundespresseamt oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik auf der Mastodon-Instanz @social.bund.de.
Apps sollen den Unterschied machen
Haben wir uns mit dem Thema Instanzen vertraut gemacht und die Registrierung hinter uns gebracht, steht der Kommunikation mit Mastodon nichts mehr im Wege. Obwohl sich Mastodon vor allem technisch aufgrund des dezentralen Daseins von Twitter unterscheidet, sind sich die beiden Dienste ansonsten sehr ähnlich. So ähnlich, dass der Einstieg bei Mastodon für Twitter-Veteran*innen ein Kinderspiel sein sollte.
Die offiziellen Mastodon-Apps, seit April 2022 sowohl für iOS als auch Android verfügbar, sind übersichtlich und einfach aufgebaut und eine perfekte Alternative zu den Webanwendungen. Ausgestattet mit insgesamt vier Reitern, einem Button für Nachrichten sowie einem Button für Einstellungen, verirrt es sich in der Mastodon-App nur sehr schwer. Über den Reiter „Home“ finden wir sämtliche Nachrichten jener Accounts, denen wir Instanz-übergreifend folgen.
Von hier aus können die Toots, wie sie bei Mastodon genannt werden, direkt geteilt, favorisiert oder kommentiert werden. Über den Reiter „Suche“ lassen gezielt Inhalte und Benutzer*innen suchen sowie nach Hashtags und Trends stöbern. Im Reiter „Benachrichtigungen“ finden wir alles, was uns selbst betrifft.
Hier erscheinen beispielsweise Nachrichten zu neuen Followern, Antworten oder Erwähnungen. Der vierte und letzte Reiter betrifft unser Profil. Hier können wir unser Erscheinungsbild anpassen, indem wir beispielsweise ein Profilbild hinzufügen, unseren Namen ändern oder Beschreibungen hinterlegen.
Tröten statt twittern
Während bei Twitter gezwitschert bzw. getweetet wird, wird bei Mastodon meist getrötet bzw. im englischen getootet. Zwar können einzelnen Instanzen eigene Begrifflichkeiten für die einzelnen Vorgänge nutzen, aufgrund des Mastodon-Maskottchen, dem Mammut, hat sich aber vor allem das Getröte etabliert.
Für leidgeplagte Twitter-Nutzer*innen ein Segen wird die chronologische Ordnung der Nachrichten sein. Während Twitter in den letzten Jahren seinen Nutzer*innen verstärkt den eigenen Algorithmus aufdrückt, gibt es bei Mastodon einzig und alleine die chronologische Zeitleiste.
Ein weiterer Unterschied zu Twitter ist das Anschreiben bzw. Markieren von Nutzer*innen. Da diese sich grundsätzlich auf verschiedenen Instanzen registrieren können, gilt es bei der Instanz-übergreifenden Kommunikation auf die richtigen Usernames zu achten. Während Instanz-intern einfach nur @username verwendet werden kann, müssen wir bei Instanz-übergreifenden Markierungen auch die Domain, also etwa mastondon.social, anhängen. Toots selbst können wie bei Twitter aus Text, Bildern und Videos bestehen, bringen aber ein paar Besonderheiten mit.
Statt der 240-Zeichen Beschränkung können wir über Mastodon 500 Zeichen absetzten. Verbreiten wir Inhalte, die wir sonst mit einer Content-Note versehen würden, können wir diese bei Mastodon mit einer eigenen Content-Warnung versehen. Wird der Toot dann in einer Timeline angezeigt, muss erst eine Warnmeldung angetippt werden, um den eigentlichen Inhalt sehen zu können. Auch die Sichtbarkeit von Toots wird bei Mastodon anders geregelt.
Über eine eigene Menüoption haben wir vor dem Absetzen einer Nachricht die Auswahl, diese öffentlich, nur für Folgende oder nur für erwähnte Personen zu verbreiten. Letztere Option ist dabei mit einer Direktnachricht auf Twitter gleichzusetzen. Neben den Unterschieden gibt es aber vor allem einige Gemeinsamkeiten.
So werden auch bei Mastodon Hashtags zum Kategorisieren und Filtern von Nachrichten genutzt. Wollen wir eine Nachricht weiterverbreiten, können wir diese „boosten“ statt sie zu retweeten. Und statt dem Herz gibt es hier den Stern, der zum Favorisieren genutzt werden kann.
Fazit
Mastodon darf als ernstzunehmende Alternative zu Twitter wahrgenommen werden. Während Mastodon in Sachen Nutzer*innen-Zahlen vorerst nicht einmal ansatzweise mithalten kann, ist das dezentrale Open-Source-Konzept gepaart mit den vielen oberflächlichen Ähnlichkeiten zu Twitter vielversprechend.
Dank der nun veröffentlichten offiziellen Apps gelingt es Mastodon in Zukunft möglicherweise auch, noch mehr Nutzer*innen anzulocken und so zu einer echten Twitter-Alternative zu werden.
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