Klimaschutz aus dem Chemiebaukasten
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Die chemische Industrie ist einer der größten Industriezweige Österreichs. Sie besteht aus rund 250 Unternehmen mit knapp 50.000 Beschäftigten und zählt zu den energieintensivsten Branchen.
Im Vergleich zur Eisen- und Stahlerzeugung oder der Baustoffherstellung erzeugen Chemieunternehmen weniger Emissionen, dennoch sind es rund 1,1 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr (Österreich hatte gesamt zuletzt 73,6 Millionen Tonnen).
Die Ambitionen in der Branche, Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele einzuhalten, sind aber vorhanden, wie die futurezone bei einem vom Fachverband FCIÖ organisierten Besuch mehrerer Chemieunternehmen in Oberösterreich erfuhr. Erreicht werden sollen Reduktionen etwa durch erneuerbare Energien, Recycling, Kreislaufwirtschaft und technische Innovationen.
Dampf ablassen in das gemeinsame Netzwerk
Das japanische Pharmaunternehmen Takeda will seinen Standort im Chemiepark Linz, an dem vor allem Medikamente zur Behandlung von Darmerkrankungen produziert werden, bis 2035 komplett emissionsfrei machen. Auf den Dachflächen wurde bereits eine 1.100 Quadratmeter große Photovoltaikanlage installiert, die 132 Megawattstunden Strom pro Jahr erzeugt. In Zukunft soll "jeder Quadratmeter freier Fläche am Dach" für die Stromerzeugung genutzt werden, wie Standortleiter Roland Fabris erklärt.
Heißen Wasserdampf, den man für bestimmte Produktionsschritte benötigt, erhält Takeda aus einem Dampfnetzwerk. Mehrere Betriebe im Chemiepark Linz stellen sich darin überschüssigen Dampf gegenseitig zur Verfügung. Im Konzern wird die Verwendung von Wasserstoff als Ersatz für Erdgas getestet.
Als eine der größten Herausforderungen bei der Dekarbonisierung sieht Fabris das Thema Distribution. Der Transport der Produkte verursacht hohe Emissionen. Auch Abfall lässt sich nicht ganz vermeiden. Rund 3 Prozent der produzierten Medikamente müssen als Ausschussware entsorgt werden. Fabris: "Die Sicherheit der Patient*innen ist das Wichtigste."
Wasserstoff statt Erdgas verbrennen
Ein großer Teil des Chemieparks Linz wird auch vom US-Unternehmen Thermo Fisher Scientific genutzt. Als Auftragsentwickler hat es sich auf die Herstellung von Arzneiwirkstoffen für andere Unternehmen in großem Maßstab spezialisiert. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen am Standort Linz um die Hälfte reduziert werden.
Gelingen soll dies u.a. durch eine große neue Photovoltaikanlage, die weitgehende Wiederverwertung von Chemikalien sowie den Aufbau einer neuen Verbrennungsanlage. Thermo Fisher ist verpflichtet, giftige Abgase zu verbrennen. Derzeit wird dafür noch Erdgas eingesetzt. In Zukunft soll grüner Wasserstoff verbrannt werden. Die Abwärme will das Unternehmen für die Heizung seiner Gebäude verwenden.
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Plastik im Kreislauf bewegen
Die OMV-Tochter Borealis betreibt in Linz sein Innovation Headquarter, wo u.a. die Kunststoffproduktion für Kunden getestet und neue Materialien entwickelt werden. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Polyolefine, dazu zählen etwa die bekannten Plastikvarianten Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP). Sie werden aus Erdöl gemacht, dessen Verwendung das Hauptproblem des menschgemachten Klimawandels ist. Nachhaltigkeit stehe aber im Zentrum der Bemühungen von Borealis, versichert CEO Thomas Gangl.
Die größte Hoffnung wird auf Kreislaufwirtschaft und Recycling gelegt. Borealis besitzt eigene Recyclingbetriebe und will seine Kunststoffe als hochwertige und wiederverwertbare Ressource positionieren. Bis 2030 soll der verwendete Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen. Die eigenen Emissionen sollen um mehr als die Hälfte gegenüber 2018 reduziert werden. Miteingerechnet ist dabei allerdings der Verkauf des Stickstoffgeschäfts, etwa für Pflanzendünger.
Textilien wiederverwertbar machen
Der Rohstoff Holz, wie in der Faserhersteller Lenzing verwendet, klingt per se nachhaltig. Die Bezeichnung "Bioraffinerie" für die Produktionsstätte des Unternehmens im Ort Lenzing nahe dem Attersee ist aber nicht zufällig gewählt. Riesige Mengen Holz werden aus mehreren europäischen Ländern angeliefert - per Bahn und per Lkw. In mehreren energieaufwendigen Arbeitsschritten wird das Holz zu weichen Fasern verarbeitet, die für Textilien und Vliese verwendet werden.
Der eigene Strom- und Wärmebedarf wird zum Teil durch Biomasse gedeckt, neben dem Werk steht dazu Oberösterreichs größte Photovoltaikanlage (55.000 Quadratmeter, 5.500 MWh pro Jahr). Lenzing will auch durch 99 Prozent Rückgewinnungsgrad bei Chemikalien, die Verwendung von zertifiziertem Holz und eine eigene Kläranlage besonders nachhaltig sein. Das Unternehmen ist auch stolz darauf, bei Nachhaltigkeit zu den besten Unternehmen der Welt gezählt zu werden.
Eine große Baustelle ist noch das Recycling. Textilien wiederzuverwerten sei derzeit sehr schwierig, wie Verfahrenstechnikerin Susanne Möderl von Lenzing erklärt. Die Sammlung von Textilien und Trennung von Materialien sei ein Problem, dazu kämen Fasermischungen und Farbstoffe. "Das Schlimmste sind Einhorn-T-Shirts mit Pailletten", sagt Möderl. Ziel des Unternehmens sei es, recyclingfähige Fasern zu verbreiten und einen systemischen Wandel in der Textilbranche zu ermöglichen.
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