Wie kann ein Flugzeug trotz Radar in einen Hagelsturm geraten?
Am Sonntagnachmittag geriet ein Airbus A 320 der Austrian Airlines in einen Hagelsturm, der die komplette Front des Flugzeugs schwer beschädigte. Der Flieger mit der Flugnummer OS434 war auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Wien, als er in 6.000 Meter Höhe nahe Hartberg ordentlich durchgeschüttelt wurde.
Erst beim Aussteigen konnten die Passagiere sehen, dass dem Flugzeug die komplette Nase weggerissen wurde, die Cockpitscheiben waren stark eingedrückt. Wie kann so etwas passieren, wenn es doch Instrumente wie ein Wetterradar gibt, die solch gefährliche Zonen in der Luft anzeigen?
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Die Austrian Airlines haben für den Vorfall noch keine Erklärung. Laut den Piloten habe man auf den Displays im Cockpit, auf denen Wetterradardaten angezeigt werden, nicht gesehen, dass sich eine Gewitterzelle in unmittelbarer Nähe befand. Der Vorfall dauerte laut Aussagen der Crew nur wenige Sekunden, teilt die Fluglinie der futurezone mit.
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Wetterradar erkennt Größe von Partikeln in der Luft
Vorfälle wie diese kommen immer wieder vor. Trotz aller Fortschritte beim Vorhersagen von Wetterphänomenen lassen sich Zusammenstöße mit Hagelkörnern bei hohen Fluggeschwindigkeiten manchmal nicht vermeiden. Eines der wichtigsten Instrumente, mit denen solche Begegnungen verhindert werden sollten, ist das Wetterradar.
Mikrowellenstrahlen werden dabei in den Himmel ausgeschickt. Sie reflektieren an Wassertröpfchen und werden vom Radargerät wieder empfangen. Aus der Richtung und der Frequenz, mit der die Strahlen zurückkehren, kann man ableiten, wo sich am Himmel Niederschläge von welcher Größe befinden. Die Skala reicht von Nieselregen über Schnee und stärkeren Regen bis hin zu Hagel. Visuell werden die Bereiche in farblich abgestimmten Zonen (zB: grün: leichter Regen, gelb: Regen, rot: Hagel) abgegrenzt. Dazu kommen noch violette Zonen, in denen starke Turbulenzen herrschen.
Aus der Luftwalze Richtung Boden
Auf die Art können Pilot*innen gleich erkennen, ob sie es mit Gewitterwolken (Cumulonimbus) zu tun haben. In ihnen entsteht Hagel, wenn warme Luftströmungen Wassertröpfchen in höhere Luftlagen schieben, wo es so kalt ist, dass sie gefrieren. Wie in einer Walze können diese Eiskörner dann wieder tiefer sinken, mehr Wasser aufnehmen und wachsen, bis sie irgendwann zu schwer für die Luftströmung sind und aus der Wolke zu Boden fallen.
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Wetterprognosen vor dem Flug
Wetterradardaten bekommen Pilot*innen einerseits vor dem Flug. Anbieter wie die Flugsicherungsbehörde Austro Control, die 4 Wetterradarstationen in Österreich betreibt, liefern Fluglinien genaue Wettervorhersagen, teilweise mehrmals pro Tag.
Sie erstellen daraufhin Flugpläne, die sie vor Abflug bei der Austro Control einreichen. Sollte es während eines Fluges zu kurzfristigen Veränderungen kommen, die ein Abweichen vom Flugplan erfordern, müssen Pilot*innen darauf reagieren und Ausweichmanöver per Funk mitteilen.
Aktuelle Daten vom Bordradar
Die Wetterlage während des Fluges wird mit einem Bordradar überprüft. Es befindet sich im so genannten Radom an der Rumpfspitze. Das Bugradar besteht meist aus einer flachen Antenne, die in mehreren Richtungen bewegt werden kann. Das Bugradar kann damit von links nach rechts in 180 Grad scannen. Außerdem kann der Neigungswinkel verstellt werden, wodurch das Radar verschiedene Wolkenschichten abtasten kann. Das Wetter kann sich während eines Fluges rasch und sehr kleinräumig verändern, weshalb das Bordradar ein wichtiger Bestandteil jedes Flugzeuges ist.
Laut der Austro Control liegt die Letztentscheidung darüber, wo in der Luft sicher geflogen werden kann, bei den Pilot*innen. Die Austro Control warnt Pilot*innen nicht kurzfristig, wenn ihr Flugzeug auf eine Gewitterzelle zusteuert. Auch die Austrian Airlines bestätige auf Anfrage der futurezone, dass die Beobachtung der aktuellen Wettersituation entlang der gesamten Flugstrecke eine der Hauptaufgaben der Cockpit-Crews sind, die "bei jedem Flug mit sehr großer Gewissenhaftigkeit" durchgeführt werden.
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Hagel kann für das Radar "unsichtbar" sein
Die Aussage, dass der Hagelsturm nicht am Radar zu sehen war, ist für Luftfahrtexpert*innen und andere Pilot*innen jedenfalls plausibel. Diese Art von Hagel, mit der Flugzeuge öfters zu kämpfen haben, ist sehr kalt und damit trocken. Das erschwert dem Bordradar den Hagel zu sehen, da es dafür ausgelegt ist, Feuchtigkeit im Himmel zu erkennen.
Je nach Wetterlage kann außerdem der Wind die Hagelkörner kilometerweit wegwehen. Die Hagelkörner sind womöglich also schon an einer ganz anderen Stelle, als dort wo am Bordradar eine Gewitterzelle angezeigt wurde.
Schließlich ist das Bordradar nach vorne hin ausgerichtet - es blickt nicht nach oben. Denn die meiste Zeit fliegen Flugzeuge in ihrer Reiseflughöhe über dem Wetter. Daher betrifft das vor allem Flugzeuge, die sich im Landeanflug und damit unter der üblichen Reisehöhe befinden. Hat der Wind Hagelkörner in einer höheren Lage verweht, kommen die auch irgendwann wieder runter: In diesem Fall prasseln sie auf das darunterfliegende Flugzeug ein, ohne, dass die Eisklumpen am Wetterradar sichtbar waren.
Hagel hält kein Flugzeug aus
Flugzeuge geraten trotz aller Vorsichtsmaßnahmen immer wieder mal in Hagelstürme. Im vergangenen Jahr ist dies etwa einer Boeing 767-300 der Delta Airlines kurz nach dem Start in Mailand passiert. Wie Airbus in einem Dokument beschreibt, ist kein ziviles Luftfahrzeug darauf ausgerichtet, den Aufprall großer Hagelkörner unbeeindruckt wegzustecken. Die Zerstörung des Radoms ist die häufigste Folge, gefolgt von zersprungenen Cockpit-Scheiben. Hagel kann aber auch Sensoren und wichtige Flugsysteme stören, sowie Triebwerke beschädigen.
Ausweichen ist die einzige Möglichkeit, unbeschadet davonzukommen. In den meisten Fällen klappt das auch. Warum es beim Austrian-Airlines-Flug OS434 nicht funktioniert hat, ist noch unklar. Möglicherweise war das Bordradar defekt. Die genauen Ursachen sollen nun in einer Untersuchung zutage kommen.
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