Blended-Wing: Sind diese futuristischen Flugzeuge die Zukunft?
1929 fand der Erstflug der Junkers G 38 statt. Bei dem deutschen Riesenflieger waren in den Tragflächen sowohl Passagiere als auch Monteure untergebracht. Obwohl sie ein wichtiger Schritt in der Entwicklung moderner Verkehrsflugzeuge war, konnte sich die Junkers-Maschine nicht wirklich durchsetzen.
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JetZero mit US-Luftwaffe und NASA
Geht es nach dem Unternehmen JetZero, sollten bereits 2030 wieder Flugzeuge abheben, bei denen Menschen in den Flügeln sitzen. Das junge Unternehmen arbeitet an einem Nurflügler-Passagierflugzeug und erhält dabei tatkräftige Unterstützung von der US Air Force, der NASA und dem Rüstungskonzern Northrop Grumman. Erst kürzlich hat JetZero die Zulassung der US-Luftfahrtbehörde FAA für Testflüge mit einem verkleinerten Modell erhalten.
Das Start-up behauptet, dass ein solches Design zahlreiche Vorteile gegenüber herkömmlichen Passagierflugzeugen hat. Bessere Aerodynamik, weniger Treibstoffverbrauch und geringeren Fluglärm verspricht das Flugzeug. Die Überlegenheit sei so groß, dass sich Nurflügler durchsetzen werden, ist sich JetZero sicher. An derartigen Flugzeugen arbeiten auch Boeing, Airbus und zahlreiche andere Unternehmen.
Wir haben bei einem Experten nachgefragt, ob ein solches Flugzeug-Design tatsächlich das Zeug dazu hat, die Luftfahrt nachhaltig zu verändern. Ganz so einfach ist es nicht, lässt uns Martin Berens, Leiter der Forschungsgruppe Luftfahrzeugsysteme an der TU Wien, gleich zu Beginn des Gesprächs wissen.
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Was ist überhaupt ein Nurflügler?
Charakteristisch für einen Nurflüglers ist, dass die gesamte Konstruktion des Flugzeugs zum Auftrieb beiträgt - so wie beim B-2 Bomber der US-Luftwaffe. Der Übergang zwischen Rumpf und Tragflächen ist fließend, sodass auch von einem "Blended Wing Body" (BWB) gesprochen wird. Außerdem haben solche Flugzeugtypen in der Regel kein Höhenleitwerk und auch kein Seitenleitwerk.
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Bessere Aerodynamik
Grundsätzlich sei es möglich, dass ein Nurflügler tatsächlich effizienter ist, erklärt Berens: "Bei gleicher Nutzlast und gleichem Nutzlastvolumen kann ein Blended-Wing-Body ein bis 25 Prozent besseres Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand im Vergleich zu herkömmlichen Flugzeugtypen haben."
Das erreicht man unter anderem durch größere Spannweiten und damit geringerem auftriebsabhängigen Widerstand. Bei einem konventionellen Flieger trägt nämlich die Rumpfröhre nicht wesentlich zum Auftrieb bei und verursacht überwiegend Widerstand. Das ist bei einem Blended-Wing-Body eben nicht der Fall.
Ob ein Flugzeugmodell erfolgreich ist und sich durchsetzen kann, hängt aber längst nicht von einer effizienten Aerodynamik allein ab.
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Kein Markt für riesige Flugzeuge
Nurflügler- oder Blended-Wing-Body-Konfigurationen eignen sich eher für sehr große Flugzeuge im Bereich des Airbus A380, sagt Berens. Allerdings gibt es für solche Flugzeugtypen derzeit keinen Markt, wie eben der A380 unter Beweis gestellt hat. Das doppelstöckige Prestigeprojekt des europäischen Flugzeugbauers wird nämlich seit 2021 nicht mehr produziert, da es zu wenige Abnehmer gegeben hat.
Für mittelgroße Flugzeuge wie JetZero eines bauen möchte, sei es fraglich, ob ein solcher Nurflügler wirtschaftlich mit den bestehenden Flugzeugtypen konkurrieren kann, so der TU-Professor.
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Zahlreiche offene Fragen
Fragezeichen gibt es aber nicht nur bei finanziellen Aspekten. Auch bei psychologischen, sicherheitstechnischen Themen sowie beim Schadstoffausstoß und bei der grundsätzlichen Konstruktionsweise gibt es noch Diskussionsbedarf.
"Tendenziell ist es so, dass Nurflügler aufgrund der geringeren Flächenbelastung eine höhere Reiseflughöhe von ungefähr 14.000 Meter haben", erklärt der Luftfahrtexperte. Herkömmliche Passagierflugzeuge sind hauptsächlich in einer Höhe von rund 11.000 Meter unterwegs.
Die höhere Reiseflughöhe ergibt sich aus den verschiedenen Parametern der Blended-Wing-Bodies. Eine solche Höhe gilt für die Effizienz von solchen Flugzeugtypen als optimal.
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Schadstoffe in der Stratosphäre
Problematisch könnte dabei die Schadstoffbelastung sein, wenn die neuen Konfigurationen mit zwar modernen, aber immer noch konventionellen Turbofans versehen werden. "In der Stratosphäre oberhalb der Tropopause gibt es nämlich relativ wenig Austausch mit den darunterliegenden Luftschichten", erklärt Berens.
Das bedeute, dass Schadstoffe für lange Zeit dort oben bleiben würden. Wenn zahlreiche kommerzielle Flugzeuge in diesen Höhen operieren, sind die Auswirkungen der Schadstoffbelastung noch nicht abschätzbar. Außerdem verlangt die höhere Flughöhe größere Triebwerke.
Positiv ist hingegen, dass Blended-Wing-Bodies in einer Höhe unterwegs sind, in der es deutlich weniger Turbulenzen gibt. Grundsätzlich komme man bei Nurflüglern aber aufgrund des fehlenden Höhenleitwerks schnell an die Grenzen der Stabilität und Steuerbarkeit, so Berens. Tendenziell seien die Flugeigenschaften etwas instabiler, was man aber durch moderne Avionik in den Griff bekommt.
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Sicherheit und Psychologie
Dann gibt es noch die Frage der Sicherheit. Das Röhrendesign aktueller Flugzeuge ist für eine schnelle Evakuierung wohl besser geeignet, als die großflächigere Kabinengestaltung eines Nurflüglers, schätzt der Luftfahrtexperte. Während es heutzutage auf jedem Deck nur 1 oder 2 Gänge gibt, könnten die Kabinen von Blended-Wing-Bodies deutlich mehr Gänge haben. Die Kabine wird kürzer, aber deutlich breiter.
Dabei kommt auch eine psychologische Komponente ins Spiel, die sich schwer abschätzen lässt, so Berens: "Wenn es mehrere Sitzreihen nebeneinander gibt, ist die Anzahl der Fensterplätze und der Einfall des natürlichen Lichts sehr beschränkt. Das könnte unter Umständen negative Folgen für das Wohlbefinden an Bord haben."
Außerdem sei eine Rumpfröhre wesentlich besser als Druckbehälter geeignet, als die großflächigere und unförmigere Kabine eines Nurflüglers, erklärt der Universitätsprofessor "Das führt dazu, dass man für die Konstruktion einer solchen Druckkabine rund 20 Prozent mehr Masse benötigt, was die grundsätzlichen strukturellen und aerodynamischen Vorteile schmälert."
Und die Flughäfen?
JetZero will bei seinem Konzept die bestehende Flughafeninfrastruktur bereits berücksichtigt haben, sodass keine grundlegenden Umbauten notwendig sein sollen. Ein neuer Flugzeugtyp, bei dem die Flughäfen ihre Infrastruktur entsprechend anpassen müssten, hätte von vornherein einen ziemlich schweren Start.
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Das Familienproblem
Und noch etwas: Die Flugzeughersteller Airbus und Boeing bauen ihre Maschinen auf Basis sogenannter Modellfamilien. So gibt es etwa die A320-Familie in verschiedenen Ausgaben, mit einem längeren oder einem kürzeren Rumpf - vom A318 mit einer Länge von fast 31,5 Meter bis zum A321 mit 44,5 Meter.
Die Hersteller gestalten so die Produktion von Flugzeugen mit unterschiedlichen Rumpflängen unter unveränderter Beibehaltung der allermeisten Komponenten und Systeme möglichst flexibel. Häufig sind überhaupt keine Anpassungen erforderlich.
In einzelnen Fällen sind lediglich geringe Anpassungen der Tragflächen, der Leitwerke und der Schubratings der Triebwerke erforderlich. Bei Nurflüglern sei eine solche Familienplanung und Produktionsweise nicht wirklich umsetzbar, weiß Berens.
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Militärische Version könnte mehr Sinn machen
Dass der Fahrplan von JetZero hält und ein Nurflügler-Passagierflugzeug bis 2030 an den Start geht, bezweifelt Berens: "Das kann sich eigentlich nicht ausgehen." Ob ein JetZero-Linienflugzeug überhaupt realisiert wird, sei aufgrund der vielen Besonderheiten der Blended-Wing-Bodies generell fraglich.
Eine militärische Version - etwa als Tanker oder Frachter, wie JetZero bereits erwähnt hat - könnte durchaus mehr Sinn machen. Da würde man sich das Problem mit der Druckkabine ersparen, komfortable Flugeigenschaften wären nicht derart zentral, die Fragen der Fensterplätze und der Evakuierung würden sich erübrigen. Vermutlich ist das auch der Grund, warum JetZero von der US-Luftwaffe und dem Rüstungskonzern Northrop Grumman unterstützt wird.
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