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Digital Life

Gefährliche Fotos: Wie Eltern ihren Kindern die Privatsphäre nehmen

Eine Mutter umarmt ihr Kind, beide lachen in die Kamera. Geschwister spielen ausgelassen am See, der Vater hält das mit einem Schnappschuss fest. Ein Kleinkind möchte nicht essen, die Bäckchen sind mit Brei verschmiert und auch hier wird ein Foto gemacht, weil es schnell geht und später eine lustige Erinnerung ist. Und weil man die Kinder so gerne herzeigt, teilt man die Fotos mit Menschen auf Instagram - als Privatperson oder professionelle Blogger*in mit Tausenden oder Hunderttausenden Menschen.

Eltern-, Familien- oder Mama-Blogs gibt es zu Hauf, auch in Österreich. "Mir geht es um den Austausch und darum Erfahrungen zu teilen. Da meine Tochter ein Teil meines Lebens ist und ich sie im echten Leben auch nicht verstecke, teile ich gerne weiterhin Fotos von meiner Familie. Dazu gehört nun mal auch meine Tochter", beschreibt Larisa, die selbst einen Familien-Blog auf Instagram mit fast 10.000 Abonnent*innen betreibt, ihre Motivation der futurezone. Auf der Plattform zeigt sie Fotos ihrer Familie. Sie möchte damit Erinnerungen festhalten und erhält viel Zuspruch in den Kommentaren, oft von Gleichgesinnten. 

Wer bestimmt, was Kinder wollen?

Aber es gibt auch kritische Stimmen und eine besonders laute hat die Aktivistin Toyah Diebel. Mit ihrer Kampagne #DeinKindAuchNicht macht sie auf die Kehrseite von Kinder-Postings aufmerksam. Sie bewegte sich bereits mit 12 Jahren in sozialen Medien, war aber von Anfang an vorsichtig, welche Bilder und Inhalte über sie im Netz landen. "Ich finde den Gedanken grausam, dass viele Kinder und Jugendliche diese Entscheidung nicht mehr haben, weil die Eltern das bereits für sie entschieden haben", sagt sie im futurezone-Gespräch. 

Toyah Diebel: "Ich finde den Gedanken grausam, dass viele Kinder und Jugendliche nicht entscheiden können, welche Inhalte über sie im Netz landen"

Natürlich sei nicht jedes Bild gleich schlimm. Wichtig sei vor allem, dass die Privatsphäre der Kinder geschützt werde. "Die Privatsphäre ist ein Grundrecht der Menschen. Private Momente - beim Schlafen, beim Weinen, im Kinderzimmer - dürfen eigentlich nicht veröffentlicht werden, wenn die Kinder das nicht selbst wollen können", sagt sie.

Kinder haben ein Recht am eigenen Bild

Damit spricht sie einen Punkt an, der schnell vergessen wird: Eltern können nicht immer über das Recht am eigenen Bild ihres Kindes bestimmen. Sie können deshalb eigentlich nicht einwilligen, dass eine Schule oder ein Sportverein Fotos öffentlich teilt, ohne dass sie es zuvor mit ihrem Kind besprochen haben und dieses die Konsequenzen versteht.

Laut Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes Oberösterreich geht man davon aus, dass von Kindern unter 14 Jahren keine wirksame Zustimmung eingeholt werden kann. Gemacht wird das aber trotzdem, weil es schwierig ist zu bestimmen, ob "berechtigte Interessen der abgebildeten Person verletzt werden" (§78 Urheberrechtsgesetz).

"Eine solche Verletzung liegt vor, wenn jemand bloßgestellt wird, sein Privatleben der Öffentlichkeit preisgegeben wird oder die Verwendung des Fotos zu Missdeutungen führt oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt. Dabei sind auch Bildunterschriften, Begleittexte und der Gesamtzusammenhang ausschlaggebend. Das Gesicht der abgebildeten Person muss dabei nicht sichtbar sein, es reicht, wenn etwa im Begleittext der Name genannt wird oder aufgrund besonderer Merkmale für jemanden aus dem Bekanntenkreis Erkennbarkeit vorliegt", erklärt die Kinder- und Jugendanwältin Christine Winkler-Kirchberger der futurezone.

Juristischer Balanceakt

Wie das Justizministerium mitteilt, können Fotos gegen verschiedene Rechte, wie Datenschutzrecht und den Persönlichkeitsschutz, verstoßen. Das muss ein Gericht individuell entscheiden und wie so oft heißt es: "Wo kein Kläger, da kein Richter". Laut Winkler-Kirchberger gibt es zwar immer wieder Diskussionen und auch Unterlassungserklärungen, das sei aber ein juristischer Balanceakt. Das Wichtigste sei, die Eltern aufzuklären, so die Anwältin. Theoretisch können Kinder ab ihrer Geburt dagegen klagen, und eine Löschung erwirken und in einigen Fällen auch Schadensersatz fordern. Sind sie noch nicht alt genug, passiert das durch einen gesetzlichen Vertreter.  

Für Instagramerin Larisa steht fest: "Ich würde meine Kinder nie und nimmer bloßstellen indem ich unangebrachte Fotos oder Videos hochlade." Sie teile auch immer wieder Kinderfotos von sich selbst - "weil ich es einfach schön finde solch wunderbare Erinnerungen zu haben und was wäre ein Fotoalbum ohne mit Schoko verschmierten Gesichtern von uns?" Diese Position teilen viele Eltern, die auf Social-Media-Plattformen aktiv sind. Meist gehen sie unterschiedlich mit der Darstellung um. Einige wie Larisa zeigen die Gesichter der Kinder, andere wählen Posen aus, in denen man nur den Hinterkopf oder das Profil sieht, setzen den Kindern Sonnenbrillen auf oder verdecken ihr Gesicht mit Emojis. 

Warum das Gesicht verstecken nichts bringt

Damit wollen sie die Privatsphäre des Kindes schützen. Das geht aber nicht weit genug, erklärt der Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger, der sich immer wieder für Kinderrechte auf Social-Media-Plattformen stark macht. Er warnt davor, dass man es Stalkern und Sexualtätern sehr leicht machen könnte: "Wenn die Eltern posten wo sie wohnen, wo sie gerne essen gehen, wo sie schwimmen gehen, wie das Haus aussieht, wie sie mit Vor- und Nachnamen heißen und wie alt das Kind ist, kann man viel anhand der Bildinformationen und des Kontext herauslesen. Stalker wissen so, was Kinder gern mögen und könnten sie auch im Kindergarten finden." Mit Gesichtserkennungssoftware können schon jetzt biometrische Daten aus den hochauflösenden Bildern gezogen werden. Wie das geht hat die Polizei in den USA mit der App Clearview AI bereits vorgemacht (futurezone berichtete).

Das ist ein besonders schlimmes Szenario, das Rüdiger hier beschreibt. Doch es lauert noch eine weitere Gefahr, die deutlich weiter verbreitet ist und vor der Interpol schon seit Jahren warnt: Illegale Webseiten, die Bilder und Videos von Kindern teilen die sexuelle Gewalt und Ausbeutung erfahren, verbreiten auch massenweise Inhalte, die zunächst völlig harmlos aussehen.

Pädophilen-Netzwerke sammeln "harmlose" Bilder

"Das müssen gar keine Bilder sein, auf denen Kinder nackt sind, sondern fröhliche, emotionale, offenherzige Bilder, Fotos auf denen eine Mutter mit ihrem Kind interagiert. Wenn das aber plötzlich neben kinderpornografischem Material gezeigt wird, wirkt das ganz anders", berichtet auch Barbara Buchegger von der Initiative saferinternet.

Die Bilder ziehen sich Täter aus dem Internet von Plattformen wie Instagram. Cybercrime-Experte Rüdiger warnt auch davor, hier nicht nur Eltern in die Verantwortung zu nehmen, sondern auch Schulen und Sportvereine. Sie würden häufig Fotos von Kindern posten, darunter kleine Kinder beim Sport, die ebenfalls auf solchen Plattformen landen können.

Toyah Diebel findet dazu sehr deutliche Worte: "So wie bei allem anderen auch muss ich mich hier fragen: Ist mein Kind geschützt? Es kann sein, dass da jemand vor dem Computer sitzt und sich zum Bild meines Kindes befriedigt. Das ist Realität. Warum geht man dieses Risiko ein?" 

Larisa weiß natürlich, dass das ein Problem ist. Sie erzählt aber auch von einem Mann, der sich im Freibad zu ihr setzte, als sie hochschwanger mit ihrer Nichte im Kinderbecken saß. Er habe sich in die Nähe der Kinder gesetzt und in die Hose gegriffen. "Ich persönlich finde das Social Media nicht ganz so gefährlich ist wie das echte Leben, denn auf den Social-Media-Kanälen entscheide ich wie weit es geht."

Gefährliche Zukunft

Das ist ein Argument, das Rüdiger immer wieder hört - und widerspricht. "Wenn ein fremder Mann auf der Straße auf Eltern zukommt und sagt: ‘Ich finde Ihr Kind aber richtig schön’, sagt doch auch niemand ‘Dann gib mir einen Daumen hoch‘ und gibt der Person dann noch ein Foto von dem Kind für zuhause mit. Das Ziel sollte es sein, Risiken von Kindern zu minimieren und nicht bewusst zu erhöhen, indem die Bilder den Tätern ohne Aufwand präsentiert werden." 

Zudem solle man sich bewusst machen, dass die technischen Möglichkeiten erst in den Kinderschuhen stecken. Die Fotos und Videos werden immer hochauflösender, das Leben der Kinder wird teils vom ersten Tag an im Internet geteilt. "Man kann jetzt noch gar nicht 100-prozentig sagen, welche Gefahren es gibt, denn wir wissen nicht, was in der Zukunft möglich ist", sagt Rüdiger.

Deepfakes erzeugen verstörende Bilder

Deepfakes könnten in den kommenden Jahren eine Rolle spielen und die Gesichter der Kinder in eine Kontext setzen, der im besten Fall peinlich und im schlimmsten Fall tief verstörend sein kann. Die Gesichter von Kindern werden dann digital auf Fotos oder Videos von pornografischem Material gesetzt. "Kostengünstige und einfache Verwendung von mächtigen Werkzeugen führen leider immer mehr zu Missbrauch und Kriminalität. Es ist heute auf einfachste Weise möglich Bilder, Videos und auch Audioinformationen in vielfältiger Weise zu verändern.

Vor allem weil viele Bilder von Personen im Internet frei zugänglich sind, können diese Personen potentiell durch den Einsatz von KI-Systemen in anderen Verhaltensweisen, Aussagen und damit in einem veränderten Kontext dargestellt werden. So wie dies heute bereits als potentielles Problem für Politiker*innen und anderen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, gesehen wird, kann das natürlich auch für jede einzelne User*in ein zunehmendes Problem werden", teilt das AIT Austrian Institute of Technology der futurezone mit.

Aufklärung, Rechte, Verantwortung

Was ist also die Lösung für das Problem? Bessere Aufklärung? Stärkung der Kinderrechte durch Verbote? Klare gesetzliche Regelungen oder mehr auf das Verantwortungsbewusstsein der Eltern pochen? Toyah Diebel sieht vor allem Handlungsbedarf bei den Plattformbetreibern: "Es kann nicht sein, dass man dort erst mit 14 einen Account haben darf, es aber Millionen von Accounts gibt, die ihre Kinder in die Kamera halten." 

Instagram verweist auf die Regelungen darüber, welche Kinderbilder gezeigt werden dürfen und welche nicht. Eine Facebook-Sprecherin teilte der futurezone auf Anfrage mit: "Wir wissen, dass Eltern manchmal in bester Absicht Fotos ihrer Kinder teilen auf denen diese wenig oder gar nicht bekleidet sind. Wir haben jedoch klare und detaillierte Richtlinien in Bezug auf Nacktdarstellungen von Kindern. Diese wurden in Zusammenarbeit mit führenden Expert*innen auf diesem Gebiet entwickelt. Wir lassen keinerlei Inhalte zu, in denen oder durch die Kinder sexuell missbraucht, ausgebeutet oder gefährdet werden. Sobald wir solche Inhalte bemerken, entfernen wir sie umgehend und melden sie dem National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC)."

Risiko abwägen

Auch Larisa macht sich Gedanken darüber, wie sie ihre Tochter im Internet darstellt: "Mir ist es viel lieber sie zu sensibilisieren, indem ich ihr den richtigen Umgang mit sozialen Medien beibringe. Das Leben sollte mit mehr Freude und Humor genommen werden, denn nicht die Fotos sind das Problem, sondern die Personen, die aus den Fotos Probleme machen." Barbara Buchegger hält komplette Foto-Verbote für eine verkürzte Forderung: "Ich glaube, man muss einen Mittelweg gehen. In dem Moment, wenn ich das Gesicht von Kindern nicht zeige, sie nicht wirklich deutlich sichtbar mache, ist das ein brauchbarer Weg."

Unabhängig von rechtlichen Folgen und Sicherheitsbedenken sollte man sich also bewusst machen, dass man ein Risiko eingeht, wenn man Kinderfotos auf Social Media Plattformen teilt. "Es reicht doch auch schon, wenn das Kind irgendwann mit 12 oder 13 sagt: Das wollte ich alles gar nicht, jetzt krieg ich es nicht mehr raus. Jeder in der Klasse oder in der Schule weiß, wie ich nackt aussehe", sagt Toyah Diebel. Ob und wie man seine Kinder im Internet zeigt, sollte daher immer wohlüberlegt bleiben.

Den 2. Teil über den schmalen Grat zwischen Social-Media-Spaß und Kinderarbeit lest ihr morgen auf futurezone.at

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Franziska Bechtold

frau_grete

Liebt virtuelle Spielewelten, Gadgets, Wissenschaft und den Weltraum. Solange sie nicht selbst ins Weltall kann, flüchtet sie eben in Science Fiction.

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