Der neue nukleare Marschflugkörper könnte von der MiG-31K gestartet werden (Symbolbild)
Russland kündigt Nachfolger der Wunderwaffe Skyfall an
Innerhalb weniger Wochen hat Russland gleich 2 erfolgreiche Tests seiner „Wunderwaffen“ vermeldet. Dabei handelt es sich um Poseidon und um 9M730 Burewestnik, besser bekannt unter dem NATO-Namen Skyfall.
Was der Torpedo und der Marschflugkörper gemeinsam haben, außer, dass sie 2018 von Putin zusammen mit weiteren „Wunderwaffen“ erstmals vorgestellt wurden? Beide sollen mit Atomsprengköpfen bestückt sein und „unendlich Reichweite“ haben, also von ihrem Abschussort jedes beliebige Ziel auf der Welt erreichen können. Möglich wird dies durch Mikro-Atomreaktoren.
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Im Rahmen einer Zeremonie in Russland, bei der die Entwickler-Teams von Skyfall und Poseidon geehrt wurden, hat sich der russische Präsident zur nächsten Waffen-Generation geäußert. Skyfall soll demnach eine Hyperschallrakete werden, berichtet die russische Nachrichtenagentur TASS.
Erst Mach 3, dann Hyperschall
„Die nächste Generation der Waffen auf Basis dieser Mikroreaktoren wird bereits entwickelt. Außerdem haben die Arbeiten an der nächsten Generation der nuklearen Marschflugkörper begonnen“, sagt Putin: „Diese werden die 3-fache Schallgeschwindigkeit erreichen und in Zukunft Hyperschallgeschwindigkeit.“
Marschflugkörper mit hoher Reichweite fliegen üblicherweise mit Unterschallgeschwindigkeit, oft im Bereich von 800 bis 1.000 km/h. Die niedrigere Geschwindigkeit reduziert den Treibstoffverbrauch, was Reichweiten von über 1.000 km ermöglicht.
Mach 3 (3-fache Schallgeschwindigkeit) entspricht 3.700 km/h. Von Hyperschallgeschwindigkeit spricht man ab Mach 5 (6.174 km/h). Dass der Skyfall-Nachfolger mit höherer Geschwindigkeit fliegt, macht zumindest von der Idee her Sinn, weil der Reaktor ohnehin „unendlich Reichweite“ liefert und deshalb keine Geschwindigkeitsreduktion zugunsten einer Reichweitensteigerung nötig ist.
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Elektromotor verdichtet Luft
Die Frage ist, wie das technisch umgesetzt werden soll. Bei Skyfall wird angenommen, dass der Mikroreaktor Strom für einen Elektromotor erzeugt. Der Elektromotor verdichtet und bündelt die im Flug eingesaugte Luft und stößt diese aus dem Triebwerk aus, wodurch der Schub erzeugt wird.
Bei hohen Geschwindigkeiten ändern sich aber die physikalischen Bedingungen, vor allem wegen des Luftstroms – deshalb gibt es verschiedene Antriebsarten, die für bestimmte Geschwindigkeitsbereiche optimiert sind (Turbojet, Scramjet, Ramjet). Möglicherweise könnte Russland versuchen, die hohen Geschwindigkeiten zu erreichen, indem mehrere kleine Elektromotoren und ein mehrstufiges Verdichtungsverfahren eingesetzt wird.
Schnelles Flugzeug oder Booster für Start nötig
Bei Skyfall wird vermutet, dass dessen Elektromotor erst bei hohen Unterschallgeschwindigkeiten eingeschaltet werden kann. Der Luftstrom könnte nämlich gleichzeitig als Kühlung dienen, um ein Überhitzen zu vermeiden. Das könnte auch beim Nachfolgemodell so sein.
Als Startplattform kommen dann vermutlich nur Flugzeuge in Frage, die selbst Überschall erreichen. Der strategische Bomber Tu-160 kommt bei Bedarf auf 2.220 km/h (Mach 1,8). Außerdem hat er eine Nutzlast von 40 Tonnen, könnte also mehrere der Marschflugkörper transportieren und starten.
Sollte die Geschwindigkeit nicht reichen, hätte Russland noch die MiG-31K (3.480 km/h, Mach 2,8). Die K-Variante des Kampfjets ist eine angepasste MiG-31, um die Hyperschallrakete Kh-47M2 Kinzhal unter dem Rumpf zu tragen. Falls der neue Marschflugkörper ähnlich groß wie Skyfall (geschätzt 9 Meter) ist, sollte er unter dem Rumpf der MiG-31K passen – Kinzhal ist ca. 7,2 Meter lang.
MiG-31 mit Kinzhal
© EPA / SERGEI ILNITSKY
Ist selbst die MiG-31K zu langsam um den neuen Marschflugkörper eine ausreichende Startgeschwindigkeit zu bescheren, benötigt dieser einen Booster. Dabei handelt es sich um ein Raketentriebwerk, das nach dem Erreichen der Zielgeschwindigkeit abgeworfen wird. So ein Booster wäre auch nötig, falls der neue Marschflugkörper vom Boden, von Schiffen oder von Russlands Bomber Tu-95 gestartet werden soll, der 925 km/h (Mach 0,75) Höchstgeschwindigkeit hat.
Warum „unendlich Reichweite“ für Marschflugkörper?
Russland sprach mehrfach darüber, dass Skyfall unendlich Reichweite haben wird – nannte aber nie eine konkrete Zahl. Internationale Experten gehen von einer Reichweite von mindestens 25.000 km aus.
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Da die Erde einen Umfang von 40.000 km hat, könnte Skyfall also jedes Ziel von jedem erdenklichen Abschusspunkt aus erreichen. Je nach Entfernung muss er nicht mal den direkten Weg nehmen. Skyfall könnte also in Russland starten und sein Ziel aus jeder Himmelsrichtung anfliegen oder taktisch ausgedrückt: Aus der Richtung bzw. auf der Route, wo die Luftabwehr des Feindes am schwächsten ist.
Für so hohe Reichweiten, wie Skyfall angeblich erzielen kann, braucht man üblicherweise eine Interkontinentalrakete. Und diese sind riesig. Russlands neuestes Modell, die RS-28 Sarmat, ist 35 Meter lang.
Das macht es einfach, sie im Flug zu orten. Zudem startet sie aus unterirdischen Silos, deren Positionen Großteils bekannt sind. Frühwarnsysteme können deshalb einen Start recht verlässlich erkennen. Dadurch kann der Feind vor Eintreffen der Rakete einen Gegenschlag oder Abwehrmaßnahmen einleiten.
Skyfall könnte hingegen einfach auf einem Lkw-Starter aus einem Tunnel herausrollen und abgefeuert werden. Auch Starts von einer MiG-31K oder einer Tu-160 im russischen Luftraum würden weit weniger auffallen, als wenn sich die Silotore einer RS-28 öffnen.
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Warum Hyperschall?
Die langsame Fluggeschwindigkeit wird üblicherweise als Nachteil von weitreichenden Marschflugkörper gesehen. Denn was langsam fliegt, kann leichter getroffen werden und es gibt der Luftabwehr mehr Chancen, die Rakete aufzuspüren. Moderne Marschflugkörper setzen deshalb oft auf Stealth-Eigenschaften, können besonders tief fliegen, um schlechter vom Radar erfasst zu werden und bei Bedarf selbstständig Ausweichmanöver fliegen.
Ein Hyperschall-Marschflugkörper würde stattdessen, oder zusätzlich, auf die hohe Geschwindigkeit bauen. Das reduziert die Reaktionszeit der Luftabwehr und kann, etwa in Kombination mit Ausweichmanövern, ermöglichen, dass der Marschflugkörper den Luftabwehrraketen davonfliegt.
Zerstörungskraft
Wenn der Hyperschall-Marschflugkörper die ungefähren Proportionen von Skyfall beibehält, wird der Atomsprengkopf vermutlich eine Stärke bis zu 250 Kilotonnen haben. Das entspricht dem Sprengkopf von Kh-102, die nukleare Variante des russischen Stealth-Marschflugkörpers Kh-101 (bis zu 4.000 km Reichweite).
Eine Kh-101 wird verladen.
© Russisches Verteidigungsministerium
Das ist zwar immer noch reichlich Zerstörungskraft, kann aber nicht mit Interkontinentalraketen mithalten. Diese sind mit MIRVs bestückt – also Mehrfachsprengköpfen, wovon jeder eine gewaltige Zerstörungskraft hat. Eine einzelne RS-28 kann etwa 10 Sprengköpfe mit je 750 Kilotonnen tragen. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen.
Die geringere Zerstörungskraft gegenüber einer Interkontinentalrakete kann kompensiert werden, indem mehrere nukleare Marschflugkörper gleichzeitig gestartet werden. Als Alternative zum nuklearen Gefechtskopf, könnten sie konventionellen Sprengstoff tragen, um wichtige Ziele zu zerstören, wie etwa die kritische Infrastruktur eines weit entfernten Landes. Durch den atomaren Brennstoff an Bord könnte das Zielgebiet nach der Explosion aber trotzdem verstrahlt werden, ähnlich wie bei einer schmutzigen Bombe.
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