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Digital Life

Überwachung am Arbeitsplatz: Was Mitarbeiter dagegen tun können

Mehr als 300 Mitarbeiter*innen wurden innerhalb eines Jahres im Amazon-Entwicklungszentrum in der US-Stadt Baltimore gekündigt, weil sie ihr Leistungssoll nicht erfüllt haben. Festgestellt wurde dies über Scanner, die die Leistungsdaten der Lagerarbeiter*innen detailliert protokollierten. Das System verschickte nicht nur Verwarnungen an die Mitarbeiter*innen, sondern kündigte diese im Anschluss daran auch gleich selbst.

Ein System, bei dem ein Algorithmus ohne menschliche Beteiligung Mitarbeiter*innen entlässt, ist ein Extrembeispiel und in Österreich kaum vorstellbar. Systeme, die Leistungs- und Produktivitätsdaten von Mitarbeiter*innen sammeln, kommen in der Arbeitswelt jedoch auch hierzulande breitflächig zum Einsatz.

Betriebe könnten die Daten dazu nutzen, um den Druck auf die Arbeitnehmer*innen zu erhöhen, damit diese ihre Arbeit  beschleunigen und um einzelne Gruppen herauszugreifen, sagte der Datenschutzexperte Wolfie Christl bei der Betriebsrät*innen-Konferenz der Gewerkschaft GPA, die am Dienstag in Wien stattfand. Daten würden zusammengeführt und analysiert. Sie sollen Führungskräfte dabei unterstützen, Entscheidungen über Mitarbeiter*innen zu treffen, sagte Christl.

Wolfie Christl

Datenschutzexperte Wolfie Christl

Breites Spektrum

Das Spektrum reicht von Programmen wie Microsoft 365, das eine Produktivitätsauswertung nach Kritik von Datenschützern entschärfen musste, über Personalverwaltungssyteme, Software zur Ressourcenplanung, bis hin zu Zeiterfassungs-Apps, die durch zusätzliche Funktionen zunehmend den Arbeitsalltag takten.

"Beschäftigte verlieren an Autonomie und werden stark überwacht", sagte Christl, der im vergangenen Jahr in einer umfangreichen Studie untersuchte, wie Mitarbeiter*innen am Arbeitsplatz kontrolliert werden.

Mitbestimmung häufig schwierig

Die Möglichkeiten der Betroffenen, den Einsatz solcher Systeme über Betriebsvereinbarungen zu begrenzen, scheitern häufig an fehlenden Ressourcen und am fehlenden Fachwissen über die Programme.

Die große Anzahl der Anwendungen sei ein Problem, sagte Thomas Gödel, Betriebsratsvorsitzender bei IBM Österreich. In seinem Betrieb gebe es etwa 2.000 Anwendungen. Kenntnisse dazu im Betriebsrat aufzubauen sei schwierig. Dazu komme, dass die Vereinbarungen auch kontrolliert werden müssten.

"Daten werden zum Machtfaktor"

IT und Datenverarbeitung könne die Arbeit erleichtern. Die Frage, sei aber, wer sie gestalte, wer davon profitiere und wer draufzahle, meinte Christl. Ohne Informationen über die Systeme, könnten Mitarbeiter*innen wenig ausrichten.

Betriebsrät*innen bräuchten Schulungen um sich auch gegen komplexe Systeme wehren zu können: "Je mehr Arbeitnehmer*innen darüber wissen, desto besser können sie damit umgehen", sagte der Datenschutzexperte: "Daten werden zum Machtfaktor."

Diskussion um Mitarbeiterüberwachung

Wolfie Christl (links) und IBM-Betriebsrat Thomas Gödel im Gespräch mit futurezone-Redakteurin Barbara Wimmer

Gesetzlicher Rahmen veraltet

Welche Mitbestimmungsmöglichkeiten Mitarbeiter*innen haben, wird in Österreich im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) geregelt. Das stammt aus dem Jahr 1974 und wird dem Wandel in der Arbeitswelt in vielen Bereichen nicht mehr gerecht.

Neben der Digitalisierung haben auch der Klimawandel und die Energiewende, die neue Berufsbilder und neue Formen der Arbeit hervorbringen, sowie die zunehmende Globalisierung die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren kräftig durcheinandergewirbelt.

Update notwendig

Susanne Auer-Mayer, Vorständin des Instituts für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der WU Wien, hält ein Update des Arbeitsverfassungsgesetz für notwendig. Anpassungsbedarf sieht sie vor allem im Bereich der Kontrolle von Mitarbeiter*innen durch Unternehmen und beim Einsatz von künstlicher Intelligenz.

Aber auch Regelungen zu virtuellen Betriebsversammlungen und zu digitalen Abstimmungsmöglichkeiten müssten umgesetzt werden, sagte Auer-Mayer. Luft nach oben gebe es auch bei den Regelungen zum Homeoffice, bei denen viele Bereiche ausgespart blieben. Als Beispiel nannte sie etwa das Recht auf Nichterreichbarkeit.

Neuregelung in Deutschland

In Deutschland hat die Bundesregierung unter dem Eindruck des Digitalisierungsschubs durch die Corona-Pandemie zumindest ansatzweise auf die neuen Herausforderungen reagiert.

In einem im vergangenen Jahr verabschiedeten Betriebsräte-Modernisierungsgesetz sei etwa die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Gestaltung mobiler Arbeit und bei der Planung und beim Einsatz von Systemen künstlicher Intelligenz festgeschrieben worden, erzählte Kerstin Jerchel von der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Sachverständige bei KI verpflichtend

Sollen etwa Algorithmen in Unternehmen zum Einsatz kommen, sei die Beiziehung eines/r Sachverständigen verpflichtend. Auch die Gründung von Betriebsräten sei vereinfacht und digitale Beschlussfassungen bei Abstimmungen ermöglicht worden.

Nachholbedarf sieht Jerchel unter anderem bei der betrieblichen Mitbestimmung bei Persönlickeitsrechten und Datenschutz. Aber auch bei Veränderungen der Arbeitswelt, die die Transformation von Unternehmen durch den Klimawandel und die Globalisierung nach sich zogen.

Herausforderungen durch Globalisierung

Internationale Konzerne würden durch Veränderungen in ihrer Gesellschaftsform häufig versuchen, Mitbestimmungsrechte zu unterlaufen, warnte der deutsche Gewerkschafter Ralf Götz von der IG Metall.

Als Beispiel nannte er etwa Tesla, das in seiner Gigafactory in Berlin durch die Gründung einer europäischen Aktiengesellschaft Mitbestimmungsmöglichkeiten eingrenzte und auch mit einer zu weiten Teilen aus dem Management bestehenden Liste versuchte, die Betriebsratswahl zu kapern.

Mitbestimmung sei nötig, um Krisen und betriebliche Transformationen bewältigen zu können, sagte Götz. Das gelte auch über Grenzen hinweg. Grenzüberschreitende Möglichkeiten der Mitbestimmung, etwa über europäische Betriebsräte, seien aber oft zahnlos. Bei Verstößen gegen Regelungen seien in vielen Ländern nicht einmal Sanktionen vorgesehen, meinte Götz: Um Druck auszuüben, müsse man kreativ sein. Manchmal helfe auch nur der Gang vor Gericht.

Disclaimer: Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen der GPA und der futurezone.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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