Strompreise sind keine Verschwörung
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
„Hören wir auf die Wissenschaft!“ Diesen Slogan hört man in unterschiedlichen Bereichen: Etwa, wenn es um Viren und Epidemien geht, oder auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Und das ist auch gut so. Seltsamerweise hört man diese Forderung aber kaum, wenn es um wirtschaftswissenschaftliche Fragen geht – und das ist schade. Denn auch ökonomische Entscheidungen sollten wir so gut es eben geht auf wissenschaftlicher Basis treffen.
Beinahe verschwörungstheoretische Töne kann man bei der Diskussion um die hohen Energiepreise hören: Das teuerste Kraftwerk, das zum Decken des Strombedarfs nötig ist, bestimmt den Preis – wie kann das sein? Ein Skandal! Wer hat sich so eine dumme Regel ausgedacht? Die öffentliche Entrüstung kocht rasch hoch, und das ist verständlich. Man könnte aber auch einfach das tun, was man auch in anderen Bereichen tun sollte: Wissenschaftler*innen fragen.
Der korrekte Preis für Apfelsaft
Die erklären dann, dass es sich hier um das Grundprinzip marktwirtschaftlicher Preisbildung handelt. Stellen wir uns vor, wir leben in einem kleinen Dorf und produzieren Apfelsaft. Zufällig besitzen wir einen großen Obstgarten, massenhaft liegen die Äpfel auf der Wiese, wir müssen sie nur einsammeln und in unserer Apfelpresse zu Saft verarbeiten. 80 Liter Apfelsaft können wir pro Tag produzieren, wenn wir ihn für einen Euro pro Liter verkaufen, lohnt sich das für uns.
Auch unser Nachbar besitzt eine Obstpresse, er hat aber keinen Obstgarten, sondern muss die Äpfel erst kaufen. Daher lohnt sich der Saftverkauf für ihn erst dann, wenn er zwei Euro pro Liter bekommt. Angenommen, der Apfelsaftbedarf im Dorf beträgt 100 Liter pro Tag (und es gibt keine weiteren Anbieter, und zwischen unterschiedlichen Apfelsaftsorten besteht kein Unterschied). Was wird dann der Marktpreis sein?
Natürlich kann ich um einen Euro pro Liter verkaufen – doch ich alleine kann den Bedarf nicht decken. Es wird also Leute geben, die den teureren Saft kaufen müssen. Somit weiß ich: Ich kann meinen Preis anheben, bis knapp unter den Preis der Konkurrenz und man wird den Apfelsaft immer noch lieber mir abkaufen. Oder jemand bietet mir freiwillig einen höheren Preis als den Euro, den ich fordere – weil er sieht, dass bei mir die Warteschlange schon lange ist, und er sonst beim teureren Anbieter einkaufen müsste.
Der Preis ist dort, wo sich Angebot und Nachfrage treffen
Ausschlaggebend für den Apfelsaftpreis ist auch in diesem vereinfachten Modell der letzte Liter Apfelsaft, der zum Decken der Nachfrage benötigt wird – nicht etwa die Kosten, die mir pro Liter in der Produktion anfallen. Das ist nicht bösartig, das ist keine Verschwörung, das hat niemand in geheimen Konferenzräumen so festgelegt – sondern das ist der Preis, der sich in einem freien Markt logischerweise ergibt.
Das bedeutet natürlich nicht, dass der Markt heilig ist, immer richtig liegt, und nicht beeinflusst werden darf. Selbstverständlich kann man die Regeln des Marktes verändern – durch staatliche Eingriffe. Man kann bestimmte Dinge besteuern, man kann Beihilfen auszahlen, man kann Apfelsaft aufkaufen und Apfelsaftkontingente zuteilen. Bei Strom und Gas wird staatliches Eingreifen wohl nötig sein, um das Schlimmste zu vermeiden. Aber man soll nicht so tun, als wären die Marktmechanismen selbst bösartig oder das Ergebnis dunkler Machenschaften.
Es ist ein bisschen wie mit der Schwerkraft: Sie ist der Grund, dass wir nicht fliegen können. Das können wir schlecht finden, aber es bringt nichts, sich darüber aufzuregen, oder die Tatsache, dass uns die Gravitation Richtung Erdmittelpunkt zieht, für eine dunkle Verschwörung zu halten.
Wir können aber Flugzeuge bauen – damit hebeln wir die Schwerkraft nicht aus, aber wir greifen gezielt ein, um ihre Konsequenzen zu verändern. Auf ähnliche Weise kann man auch in den Markt eingreifen, um für Wohlergehen zu sorgen – nicht indem man die Gesetze der Wirtschaftswissenschaft aushebelt, sondern indem man sie auf kluge Weise nutzt.
Wenn wir wissen wollen, wie das am besten gelingt, dann sollten wir mit Leuten reden, die sich damit wissenschaftlich beschäftigen. Wirtschaftswissenschaft hat oft viel mit Ideologie zu tun – das ist ein Problem, und das macht die Sache kompliziert. Aber Ideologie alleine ist sicher kein guter Ersatz für Wirtschaftswissenschaft.
Kommentare