So sieht der Computer von Cortical Labs aus.

So sieht der Computer von Cortical Labs aus. 

© Cortical Labs

Science

Erster biologischer Computer der Welt nutzt Gehirnzellen

Das australische Biotechnologie-Unternehmen Cortical Labs hat laut eigenen Angaben den ersten Biocomputer der Welt auf den Markt gebracht. Das Gerät namens CL1 enthält einen Basischip aus Silizium, der mit gezüchteten, menschlichen Gehirnzellen angereichert ist. Diese Kombination soll ein dynamisches und energieeffizientes neuronales Netzwerk ermöglichen.

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Forscher nennen solche Technologien SBI Synthetic Biological Intelligence. Cortical Labs glaubt, dass solche Systeme die Entwicklung von KI-Technologien von Grund auf verändern können.

Im Vergleich mit gewöhnlichen Silizium-Chips sei ihre Technologie flexibler und könne schneller lernen, weil das organische Netzwerk sich ständig weiterentwickle. „Dadurch, dass es Neuronen als Rechensubstrat nutzt, hat SBI das Potenzial, Systeme zu schaffen, die im Vergleich zur traditioneller, siliziumbasierter KI organischere und natürlichere Formen von Intelligenz aufweist“, sagt Cortical Labs.

Gehirnzellen über Cloud-Zugriff nutzbar

Der australische Biocomputer wurde am Sonntag in Barcelona beim Mobile World Congress offiziell präsentiert. Das Produkt richtet sich an Forscher, die CL1-Geräte entweder direkt kaufen oder über die Cloud darauf zugreifen können. Um mit den Gehirnzellen-Computern zu arbeiten, benötigen die Forscher keine spezielle Hardware. Den Cloud-Zugriff auf die Gehirnzellen nennt Cortical Labs Wetware-as-a-Service.

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Laut Cortical Labs könnte der KI-Biocomputer vor allem in der medizinischen Forschung eine Rolle spielen. Etwa wenn es darum geht, neue Medikamente zu entwickeln oder komplexe Krankheiten zu modellieren.

Man könnte damit möglicherweise Tierversuche reduzieren und neue Therapien für neurologische Erkrankungen wie Alzheimer entwickeln. Die Biocomputer könnten auch in der Robotik eine Rolle spielen, etwa wenn es darum geht, biologische Komponenten in Roboter einzubauen und diesen eine menschenähnlichere „Intelligenz“ zu verleihen, auch wenn Versprechen solcher Art generell eher mit Vorsicht zu begegnen ist.

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Vergleich mit Lebewesen

„Wir betrachten es eigentlich fast als eine Art andere Lebensform im Vergleich zu zum Beispiel Tieren oder Menschen“, sagte der Chief Scientific Officer Brett Kagan zu New Atlas. „Wir sehen es als mechanischen und ingenieurtechnischen Ansatz für Intelligenz. Wir nutzen das Substrat der Intelligenz, nämlich biologische Neuronen, aber wir bauen sie auf eine neue Weise zusammen.“

Cortical Labs ist kein neues Start-up, sondern arbeitet bereits seit einigen Jahren an SBI-Technologien. So ließen sie „Mini-Gehirne“, bestehend aus menschlichen Nervenzellen, die mit einem Computersystem verbunden waren, 2021 das Spiel Pong spielen und dokumentierten diese Leistungen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Seither sorgten sie mit ähnlichen Experimenten und Erfolgen ihres DishBrain („Gehirn im Gefäß“) immer wieder für Aufmerksamkeit.

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Jahrelanges Tüfteln im Labor

Bei Laborexperimenten mit DishBrain konnten sie zeigen, wie sich Neuronen verbinden und anpassen. „Die aktuelle Version ist eine völlig andere Technologie“, sagte Kagan zu New Atlas: „Die vorherige verwendete einen sogenannten CMOS-Chip und damit gab es Probleme. Wenn man etwa mit einem CMOS-Chip Zellen stimuliert, kann man die Ladung nicht richtig ausbalancieren. Es kommt zu einem Aufbau von Ladung an bestimmten Stellen und das ist ziemlich schlecht für die Zellen.“

Menschliche Gehirnzellen leben auf einem Silizium-Chip und sind dort mit Elektroden verbunden.

Menschliche Gehirnzellen leben auf einem Silizium-Chip und sind dort mit Elektroden verbunden.

Die nun verwendeten, neuen Chips seien hingegen viel stabiler und würden die Ladung aktiv ausgleichen. Im CL1-System werden die im Labor gezüchteten Gehirnzellen auf einem Elektroden-Array platziert, das aus Metall und Glas besteht. 59 Elektroden kommen auf einem Chip zum Einsatz, die dem Nutzer ermöglichen, das neuronale Netz zu kontrollieren. Das Ganze wird mit einer Software verbunden und läuft in Echtzeit.

Im länglichen Gehäuse des CL1 befindet sich zudem das Lebenserhaltungssystem für die Hirnzellen. Cortical Labs arbeitet an einem speziellen Rack, in dem 30 CL1 Platz haben. Das Ziel ist, dass in ein paar Monaten so der erste Server für ein biologisches, neuronales Netzwerk online gehen kann. Bis Ende des Jahres sollen 4 solche Server laufen, um Wetware-as-a-Service anzubieten.

Biocomputer ist kein Schnäppchen

Wer die Rechenleistung nicht mieten will, kann die Computer auch kaufen. Ein CL1-Biocomputer kostet 35.000 US-Dollar (rund 33.477 Euro) und benötigt 650 bis 1.000 Watt Strom. Die Computer arbeiten selbstständig, sind programmierbar und müssen nicht an andere Computer angeschlossen werden. Die Auslieferung der Geräte soll in der zweiten Jahreshälfte starten.

35.000 Dollar für einen Computer ist freilich kein Schnäppchen – Cortical Labs verspricht aber, dass man daran arbeite, die Kosten zu senken, damit der Preis keine so hohe Hürde mehr darstellt. Langfristig ist es das Ziel, die Biocomputer so vielen Forschern und Unternehmen wie möglich zur Verfügung zu stellen. Wie gut diese Biocomputer wirklich funktionieren, wird man erst erfahren, wenn unabhängige Wissenschafter und Institute damit zu arbeiten beginnen.

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