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Klimawandel: "Den Grünen Veltliner wird es nicht mehr geben"

Irgendwann auf Etappe 17 oder 18 erwischte der Klimawandel die Wandererinnen mit voller Wucht: „Im Juli, als die Starkregenfälle runterkamen, waren wir am Wilden Kaiser“, erzählt Eva Holzinger. Muren am Weg haben der jungen Kultur- und Sozialanthropologin und ihren Mit-Gehern das Der-Natur-ausgeliefert-sein hautnah vor Augen geführt. Und das ist gut so.

Denn: „Wir gehen durch Österreich und machen Klimawandelforschung“, erklärt Holzinger. Raus aus der akademischen Blase, folgen sie Wanderwegen, durchqueren unterschiedliche Landschaften und achten darauf, immer wieder durch Dörfer zu kommen, „denn wir wollen ja mit Leuten reden“. Der Inbegriff von Feldforschung: einfach mit offenen Augen und Ohren losgehen.

Der ursprüngliche Plan war es, quer durch Europa zu wandern. Was aber coronabedingt verschoben werden musste. „Damit wir in der Zwischenzeit nicht untätig sind, haben wir beschlossen, einen Austria-Walk zu machen“, sagt Martina Perzl, die wie Holzinger Teil des Kernteams des Climate Walk ist und gerade ihren Master in sozialer Ökologie macht.

Europäischer Climate Walk

12.000 Kilometer, 16 Länder, eineinhalb Jahre: Ab Sommer 2022 wollen junge Sozial- und Naturwissenschafter*innen aus ganz Europa auf die Auswirkungen der Klimaveränderung in Europa aufmerksam machen. Ihr Großprojekt, der Climate Walk, wird sie vom Norwegischen Nordkap durch 16 Länder bis an die Küste Portugals führen – 12.000 Kilometer zu Fuß, eineinhalb Jahre lang. 

Unterwegs wollen die  Wissenschafter*innen auf Menschen zugehen, nachfragen, zuhören. Im direkten Gespräch sollen die Erfahrungen und Eindrücke der Menschen in Europa zum Thema Klimakrise gesammelt werden.

 

Mittlerweile haben sich Gewitter sowie Hagelstürme verzogen, die Muren sind weggeschoben worden und die Klimawandererinnen durchqueren Weinberge und Wiesen des Weinviertels. Zucchini-Blüten, Sonnenblumen, die wegen der vielen Kerne die Köpfe bereits gesenkt halten, abgeerntete Felder links und rechts: „Samma eh am Weg?“ Eva Holzinger hält den Locator in der Hand. „Manchmal ist die Onlinekarte nicht so super“, scherzt sie und zeigt auf ihre von Schlammspritzern übersäten Wadln. Immer wieder sei es vorgekommen, dass sie sich verlaufen hätten. Jetzt, auf Etappe 63, ist man wieder auf Kurs, derzeit an der March.

Der große Rucksack mit dem Zelt obenauf macht es für jeden offensichtlich: Das sind keine normalen Spaziergängerinnen. „Wenn wir durch Dörfer gehen, werden wir immer wieder angesprochen: ,Was macht ihr denn?’“, erzählt Holzinger. Nach einer kurzen Aufklärung „beginnen die Leute meisten sofort zu erzählen, wie sie den Klimawandel in ihrer Lebenswelt spüren.“ So auch der Weinbauer, bei dem Holzinger und Perzl eines Abends untergekommen sind.

Das Ende des Veltliners

„Er hat berichtet, dass der Zuckergehalt in den Trauben so angestiegen ist, dass er dem Wein kaum noch Zucker zufügen muss.“ Super? Eher nicht. „Das kommt bei den Älteren nicht gut an, weil sie den herberen Weingeschmack bevorzugen“, sagt Perzl, die sich in ihrem Studium mit nachhaltiger Landwirtschaft beschäftigt.

Holzinger weiter: „Der Eisbär als Symbol des Klimawandels ist zu weit weg. Aber wenn man hört: Den Grünen Veltliner wird es wegen des Klimawandels nicht mehr geben, bist du ganz nahe bei den Menschen, beim Geschmack und der Emotion.“ Überhaupt: „Den Klimawandel spürt man überall anders“, sagt sie und schaut zu Boden. „Man merkt es selbst: Jeden Tag sind meine Schuhe nass, seit wir im Weinviertel sind. Im Burgenland wird es dagegen sehr trocken werden.“

Das sei auch das Problem in der Klimawandel-Kommunikation. „Man muss mehrere Narrative schaffen, um das Thema zugänglicher zu machen – für jede Person und jede Lebenswelt.“ Mitten unterm Gehen, ist die Wissenschafterin in Holzinger erwacht: „Man bekommt schon mit, wie es den Leuten geht und an welchen Stellen man ansetzen könnte“, sinniert sie.

Im Schnitt wirft jeder Tag gut 3 Interviews, Fragebögen und Gedächtnisprotokolle ab – „eine Masse von Daten zum heimischen Klimawandel. Wir werden die Stimmen aus Österreich ins Klimaschutzministerium bringen“, erzählt Holzinger, um aufzuschauen und sich selbst zu unterbrechen: „Mei schau – ein Hase! Wie lieb. Natur berührt mich.“

Die jungen Feldforscherinnen verstehen sich als Role Model und nehmen ihre Mission durchaus ernst: Am Weg wird möglichst saisonal und regional gegessen, sowie im Stoffsackerl Müll gesammelt.

Unterwegs mit Stoffsackerl Müllsammeln ist Ehrensache

Auch die Menschen, mit denen sie auf ihrem Weg von Dornbirn nach Mannersdorf gesprochen haben, sind bereit, etwas zu tun. „Aber sie wissen nicht, was.“ Das haben die beiden Studienkolleginnen herausgefunden, weil sie sich  auch an die Stammtische in den Wirtshäusern gewagt haben.

„Von ganz vielen Leuten kam der Wunsch an die Politik nach klaren Regulierungen und Strukturen, an denen man sich festhalten kann. Auch, dass das etwas kosten wird und möglicherweise einschränkend wirkt, ist den Leuten klar und für sie ok“, berichten Holzinger und Perzl, während sie am Fuß eines Marterls Pause machen.

Pause beim Marterl irgendwo im Pulkautal

Unterdessen ist auch die Historikerin Hildegard Schmoller bei der Gruppe eingetroffen. Wie sie sind im Laufe der gut 2 Monate die unterschiedlichsten Leute dazu gestoßen: Biolog*innen, Humananthropolog*innen, Politikwissenschafter*innen, Soziolog*innen, Geograf*innen, Philosoph*innen, Expert*innen für internationale Entwicklungen, Raumplaner*innen von der Boku haben die Climate Walker einige Etappen lang begleitet „weil sie das Projekt toll finden“, sagt zumindest Holzinger.

Vergleiche

Schmoller vom Institut für Osteuropäische Geschichte der Uni Wien jedenfalls macht auf österreichischer und tschechischer Seite Interviews über die Wahrnehmung des Klimawandels. „Die Idee dahinter: Südmähren und das Weinviertel gehören zur selben Klimazone und haben ähnliche Probleme. Aufgrund der unterschiedlichen historischen Entwicklungen diesseits und jenseits der Grenze gibt es aber eine andere Wahrnehmung von Klimawandel. Und ganz andere Lösungsstrategien. In Tschechien ist man viel technikgläubiger. Da kann man Vergleiche anstellen“, berichtet sie unterm Gehen.

Apropos gehen: Während Sie diese Zeilen lesen, treiben sich unsere Climate Walker irgendwo zwischen Zwerndorf und Groißenbrunn herum. Am Dienstag, 7. September, endet ihr langer Marsch mit einer „Wanderdemo“ durch Wien. „Und wir freuen uns über jeden, der uns auf diesen letzten Metern begleitet“ . Treffpunkt: Schwarzenbergplatz 16:00.

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Susanne Mauthner-Weber

Noch bin ich ja nicht überzeugt, dass das tatsächlich irgend jemanden interessiert. Für den Fall, dass doch: Seit einem halben Leben beim KURIER. Fad wird mir nur deshalb nicht, weil ich ständig Abenteuer im Kopf erlebe, Besser-Wisser interviewe und mich zumindest auf dem Papier mit Erfindungen, Entdeckungen und Errungenschaften beschäftige. Anscheinend macht das nicht nur mir Spaß - 2012 wurde ich mit dem Staatspreis für Wissenschaftspublizistik ausgezeichnet, 2013 mit dem Kardinal-Innitzer-Preis für wissenschaftlich fundierte Publizistik und 2014 mit dem Inge-Morath-Preis für Wissenschaftspublizistik. Wie gesagt: Falls das wirklich irgendwen interessiert.

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