Dunkle Materie fehlt: Was ist mit dieser Galaxie los?
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Eigentlich dürfte NGC 1277 gar nicht existieren. Denn die massereiche Galaxie enthält keine Dunkle Materie. Ein Umstand, den die Astronomie nicht erklären kann.
"Dieses Ergebnis passt nicht zu den derzeit akzeptierten kosmologischen Modellen, die Dunkle Materie einschließen", sagt der Forscher Sebastién Comerón von der Universität La Laguna. Comerón hat NGC 1277 gemeinsam mit seinem Team im Rahmen einer Studie untersucht.
Dunkle Materie, der Kitt von Galaxien
Aber der Reihe nach: Was ist Dunkle Materie überhaupt? Dunkle Materie ist praktisch unsichtbar. Sie interagiert nicht mit Licht wie gewöhnliche Materie. Ihre Existenz lässt sich jedoch anhand ihrer Gravitationswechselwirkungen ableiten.
Astronom*innen beobachteten massive Galaxien, die sich so schnell drehten, dass sie eigentlich auseinander fliegen müssten. Dabei kamen sie zu dem Schluss: Es muss irgendetwas geben, dass die Planeten trotz ihrer Geschwindigkeit zusammenhält. Dieses "irgendetwas" ist die Dunkle Materie.
Dunkle Materie ist also die Voraussetzung für die Bildung von Galaxien. Sie fungiert als eine Art Kleber, der Sterne und das Gas dazwischen zusammenhält.
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NGC 1277 gibt Forschern Rätsel auf
Bei der Untersuchung von NGC 1277 stellten Comerón und sein Team allerdings fest, dass die Galaxie gar keine Dunkle Materie enthält. Das hat mit ihrer Masse zu tun. Die Gesamtmasse von NGC 1277 - zu der auch die dunkle Materie gehören sollte - ist nahezu identisch mit jener Masse, die man von gewöhnlicher Materie erwarten würde. Das bedeutet: Die Forscher*innen konnten keine Dunkle Materie in der Galaxie nachweisen. Dabei sollte NGC 1277 in der Theorie eigentlich zu 10 bis 70 Prozent Dunkler Materie bestehen.
"Diese Diskrepanz zwischen den Beobachtungen und dem, was wir erwarten würden, ist ein Rätsel und vielleicht sogar eine Herausforderung für das Standardmodell", sagt Ignacio Trujillo, ein beteiligter Forscher.
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Erste Erklärungsansätze
Die Wissenschaftler*innen haben allerdings einige Ideen, warum NGC 1277 so wenig Dunkle Materie enthalten könnte. "Eine davon ist, dass die Gravitationswechselwirkung mit dem umgebenden Medium innerhalb des Galaxienhaufens, in dem sich diese Galaxie befindet, die Dunkle Materie herausgelöst hat", sagt Anna Ferré-Mateu, Forscherin an der Universität La Laguna. "Die andere Möglichkeit ist, dass die Dunkle Materie aus dem System vertrieben wurde, als sich die Galaxie durch die Verschmelzung protogalaktischer Fragmente bildete, aus denen die Galaxie hervorging."
Sollte sich herausstellen, dass NGC 1277 tatsächlich keine Dunkle Materie enthält, wäre dies aber kein Paradigmenwechsel. Im Gegenteil: Das Team glaubt, eine solche Entdeckung würde Alternativtheorien zur Dunklen Materie, sogenannte modifizierte Gravitationstheorien, in Frage stellen. "Obwohl die Dunkle Materie in einer bestimmten Galaxie verloren gehen kann, muss ein modifiziertes Gravitationsgesetz universell sein; es darf keine Ausnahmen geben", erklärt Trujillo. "Eine Galaxie ohne Dunkle Materie ist also eine Widerlegung dieser Art von Alternativtheorie".
Schlüssige Antworten werden allerdings noch auf sich warten lassen. "Das Rätsel, wie sich eine massive Galaxie ohne Dunkle Materie bilden kann, bleibt ein Rätsel", sagt Cameron. Gemeinsam mit seinem Team will der Astronom NGC 1277 nun in einer weiteren Studie genauer untersuchen.
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