Leuchtstärkster Quasar gefunden: Entdecker Christian Wolf im Interview
Der Beginn dieser Woche war für Christian Wolf sehr aufregend. Am Montagabend mitteleuropäischer Zeit wurde verkündet, dass der deutsche Astronom mit Kolleg*innen der Australian National University und anderen Weltraumforscher*innen das leuchtstärkste bisher bekannte Objekt des Universums entdeckt hat. Der 12 Milliarden Lichtjahre entfernte Quasar weist die Leuchtkraft von 500 Billionen Sonnen auf. Die futurezone konnte mit dem in Australien lebenden Wolf zu später lokaler Stunde am Dienstag ein Videotelefonat führen.
futurezone: Warum ist Ihnen das Objekt J0529-4351 so auffällig erschienen, dass Sie und Ihr Team nachgeforscht haben, worum es sich dabei handelt?
Christian Wolf: Unser Team sucht schon seit einer Weile nach extremen Quasaren, also nach den am schnellsten wachsenden und leuchtkräftigsten im Universum. Im Laufe der letzten 2 Jahre haben wir über 200 davon gefunden. Insgesamt kennt man rund eine Million Quasare. Das sind beeindruckende Objekte, aber nicht ganz so extrem. Wir haben vermutet, dass in der Liste an Quasaren eine Lücke herrscht. Die wollten wir mit unserer Suche füllen. Wir haben 2018 mit der Analyse von Beobachtungsdaten der ESA-Mission Gaia begonnen und sind schon nach 3 Tagen auf einen Quasar gestoßen, der damals als der am schnellsten wachsende jemals entdeckte gegolten hat. Jetzt wurde der auf Platz 2 verdrängt.
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Woher wussten Sie, dass es eine Lücke in der Liste an Quasaren gab?
Das war ein Bauchgefühl. Die Entfernung von Objekten bedeutet ja auch eine Rückschauzeit, man blickt also in der Zeit zurück. Wenn man sich in den Katalogen die Verteilung der Quasare ansieht, dann gehen die Zahlen rauf und runter. Das kann aber eigentlich nicht sein, dass mit der Entwicklung des Weltalls Quasare auftauchen, verschwinden und wieder auftauchen. Das heißt, dass die Suche unvollständig ist und etwas fehlt.
J0529-4351 wurde ja von KI fälschlicherweise als Stern eingestuft. Hat das die Entdeckung als Quasar erschwert?
Die Einstufung mittels KI ist erst 2022 veröffentlicht worden. Solche Einstufungen werden aber auch von Wissenschaftler*innen gemacht. Die ESA hat über 300 Leute, die sich darum bemühen, Gaia-Daten für Wissenschaftler*innen rund um die Welt nutzbar zu machen. Mit KI-Methoden haben sie versucht, Objekten bestimmte Labels anzuheften. Die stimmen nie perfekt. Das liegt am Datensatz, mit denen die KI trainiert wird. Die KI hat anhand der Trainingsdaten gesagt: Es gibt keine so hellen Quasare. Alles, was zu hell ist, SOLL kein Quasar sein. Wir wussten schon, dass KI in der Nische, in der wir nach extremen Quasaren suchen, Fehler macht.
J0529-4351 haben Sie zunächst mit einem Teleskop der Australian National University untersucht. War dadurch sofort klar, dass es sich um einen Quasar und nicht um einen Stern handelt?
Ja. Durch die hohe Rotverschiebung [Frequenzänderung des Lichts aufgrund zunehmender Distanz, Anm.] war klar, dass es ein Quasar ist. Auch die hohe Helligkeit war erkennbar. Da wussten wir, dass das sehr interessant ist und wir nun ein richtig großes Teleskop und technische Tricks benötigen, um herauszufinden, wie hoch die Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum des Quasars ist.
Das haben Sie dann durch Beobachtungen mit dem Very Large Telescope herausgefunden. Wie war Ihre Reaktion, als sich herausgestellt hat, dass es sich um solch ein außergewöhnliches Objekt handelt?
Wir haben uns einfach riesig gefreut. Zu dem Zeitpunkt hatten wir über 100 neue Quasare entdeckt. Die waren alle interessant, aber keiner war so herausragend. Das ist ein Gefühl, als würde man plötzlich einen Berg entdecken, der noch höher als der Mount Everest ist. Wir haben damit wirklich nicht gerechnet. Es ist faszinierend, was die Natur alles bereithält. Aber manchmal macht sie es einem nicht einfach, ihr ihre Geheimnisse zu entlocken. Man muss Tricks einsetzen.
Wie konnten Sie feststellen, wie schnell das Schwarze Loch im Zentrum des Quasars wächst?
Die Menge Licht, die der Quasar ausstrahlt, ist direkt proportional zu der Massenabsorption pro Zeiteinheit. Indem wir die Leuchtkraft bestimmt haben, konnten wir umrechnen, dass der Quasar eine Sonnenmasse pro Tag aufnimmt.
Warum konnte J0529-4351 eine derart große Akkretionsscheibe um sein Schwarzes Loch ansammeln?
Im frühen Universum gab es sehr viel ungeordnete Bewegung. Das Universum war kleiner und dichter, da kam es viel öfter zu Kollisionen. Bei jeder Frontalkollision wird Geschwindigkeit aus Objekten herausgenommen. Dadurch stürzen Bruchstücke viel leichter in ein Schwarzes Loch, anstatt auf einer stabilen Umlaufbahn zu bleiben. Wir sehen den Quasar jetzt, wie er 1,5 Milliarden Jahre nach dem Urknall. In dieser Phase vor 10 bis 12 Milliarden Jahren war der Höhepunkt der Quasaraktivität. Wenn wir unser lokales Universum betrachten, also etwa den Bereich zwischen 1 und 3 Lichtjahren: Da gibt es quasi keine Quasare mehr. Einen gibt es, der vor 61 Jahren der erste war, den man entdeckt hat. Aber der ist nicht so extrem. Die Schwarzen Löcher der Quasare bleiben übrig als schlafende Riesen im Zentrum von Galaxien, und schlucken kaum mehr neue Masse.
Akkretionsscheiben werden von Schwarzen Löchern ja mit der Zeit konsumiert. Wie könnte J0529-4351 denn heute tatsächlich aussehen?
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Quasar von einer Galaxie umgeben. Vielleicht wäre das Schwarze Loch noch ein wenig weiter gewachsen, möglicherweise hätte es seine Masse [17 Milliarden Sonnenmassen, Anm.] sogar verdoppelt. Aber ich denke nicht, dass es viel weiter gegangen ist. Die Galaxie um das Schwarze Loch wäre wahrscheinlich so etwas wie die Zentralgalaxie eines ganzen Galaxienhaufens, ein Knotenpunkt in der Struktur des Universums. An solchen Knotenpunkten findet man extreme Schwarze Löcher üblicherweise.
Würde das Objekt heute immer noch stark leuchten?
Nein. Die Akkretionsscheibe wird vom Schwarzen Loch eingesaugt. Wenn kein Material mehr nachfließt, gibt es irgendwann keine Akkretionsscheibe mehr. Akkretionsscheiben sind räumlich nicht sehr groß. Im Falle von J0529-4351 hat die Scheibe einen Durchmesser von 7 Lichtjahren. Das ist ca. das eineinhalbfache der Distanz zwischen der Sonne und dem nächsten Sternsystem, Alpha Centauri. Aber wenn man sich die Milchstraße ansieht, hat die einen Durchmesser von 100.000 Lichtjahren. Dagegen ist diese Akkretionsscheibe ein verschwindend kleiner Bereich. Sie pumpt mehr Licht raus, aber räumlich ist sie sehr klein.
Wie kommt es dazu, dass die Akkretionsscheibe dermaßen hell leuchtet?
Da ist sehr viel Material drin, eine sehr dichte Gasmasse. Die Materie, die spiralförmig auf das Schwarze Loch zufliegt, drängt sich auf kleinem Raum, es gibt viel Reibung. Im äußeren Bereich einer Akkretionsscheibe rotiert das Material mit ein paar Tausend Kilometer pro Sekunde. Im innersten Bereich sind es zehntausende Kilometer pro Sekunde. Ein zweiter Faktor sind starke Magnetfelder, die aufgespult werden, auseinander schnappen und dabei Blitze wie in einem Gewitter bilden. Eine Akkretionsscheibe ist eigentlich ein Monstersturm. Sie ist undurchsichtig, heiß und erreicht 10.000 bis 100.000 Grad Celsius. Da wird unheimlich viel Energie frei.
Sind Quasare Ihr Hauptforschungsgebiet?
Ja. Ich forsche an verschiedenen Aspekten, etwa daran, wie man Akkretionsscheiben genauer untersuchen kann, obwohl es keine räumlich aufgelösten Bilder davon gibt. Wie kann zum Beispiel ihre Leuchtkraft fluktuieren? Von Akkretionsscheiben haben wir hauptsächlich theoretische Vorstellungen, aber die Details sind relativ unklar.
Hat Sie die Forschung an Quasaren nach Australien geführt?
Nein. Ich bin nach Australien gekommen, um ein Sky Survey des Südhimmels durchzuführen. Brian Schmidt, der 2011 den Nobelpreis für die Entdeckung der beschleunigten Ausdehnung des Universums bekommen hat, hat das Projekt SkyMapper Southern Survey initiiert. Er hat mich an der Universität Oxford - wo ich vorher gearbeitet habe - getroffen und mich gefragt, ob ich diese mehrjährige Untersuchung leiten will. Die Forschung an Quasaren hat mich aber immer begleitet. Schon während der Studienzeit in Heidelberg war das ein Hobby von mir.
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