Simulationsforscher: Corona-Mutationen werden Oberhand gewinnen
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Die neuen infektiöseren Varianten des Coronavirus sind bisher noch nicht weit in Österreich verbreitet. Doch das ist nur eine Momentaufnahme. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag im Gesundheitsministerium erklärten Experten, dass sich die britische Variante B.1.1.7. auch hierzulande durchsetzen wird. "Wir gehen davon aus, dass sie im Februar, spätestens im März die Oberhand gewinnen wird", sagte Simulationsforscher Niki Popper. Das bedeute nun aber nicht, "dass die Welt untergeht".
Die gute Nachricht sei, dass auch in Großbritannien und Irland die Zahlen wieder nach unten gehen. "Offensichtlich wirken die Maßnahmen", sagte Popper. Bis die Hospitalisierungszahlen sinken, dauert es aber mindestens drei bis vier Wochen. Insgesamt gebe es bei SARS-CoV-2 eine "enorme Dynamik". "Wir alle sind dem ausgeliefert und müssen damit umgehen", sagte Popper und betonte, dass mehr Distanz und eine strengere Maskenpflicht wirken. Denn damit "gewinnen wir Zeit", die Ausbreitung könne aber "nicht verhindert werden". "Es wird weitere Mutationen geben", sagte der Forscher.
Kein Anstieg der Fallzahlen erwartet
Er prognostizierte für die kommende Woche eine Reduktion der täglichen Fallzahlen Richtung unter 1.000. Die Situation sei stabil, "ich erwarte im Moment keinen Anstieg". Die Maßnahmen - der harte Lockdown wurde ja verlängert, ab Montag wird nochmals nachgeschärft - wirken, "aber nicht so stark, wie wir uns da oft wünschen würden", sagte der Experte. Nunmehr müsse auf "testen und isolieren" gesetzt werden, "so können wir die Ausbreitung im Griff behalten", erklärte Popper. Wenn das nicht funktioniert, sei es Sache der Entscheidungsträger, als letztes Mittel weitere Maßnahmen zu setzen.
Wichtig sei nun testen, tracen und isolieren. Erste messbare Reduzierungen bei den Hospitalisierungen werde man ab 200.000 Impfungen sehen, prognostizierte Popper. Markante Reduktionen seien dann ab 2,5 Millionen Geimpften zu erwarten. Der Simulationsforscher hat außerdem berechnet, dass im Jänner etwa 14 Prozent der Bevölkerung eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben - auf Basis einer Dunkelzifferstudie. Das bedeutet, dass über 1,2 Millionen Österreicher immunisiert sind. Die schlechte Nachricht sei jedoch: "Das nützt uns noch nichts". Es werden aber immer mehr, was langfristig natürlich helfe.
Positive Entwicklung ist kein Grund zur Entwarnung
Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) berichtete von der positiven Entwicklung in Österreich. So lag etwa die Sieben-Tages-Inzidenz am Mittwoch bei 115, im November verzeichnete Österreich noch 600 Neuinfektionen in einer Woche pro 100.000 Einwohner. "Dieser gute Trend ist aber kein Grund für Entwarnung, wir müssen besonders vorsichtig sein und uns besonders anstrengen", sagte Anschober. "Februar und März wird die schwierigste Phase der Pandemie überhaupt", sagte der Gesundheitsminister in Hinblick darauf, dass sich die britische Mutation B.1.1.7 in ganz Europa ausbreitet.
Sie ist "auch in Österreich angekommen", nun gebe es das Risiko, "dass es eine Pandemie in der Pandemie geben kann". Um die dynamische Entwicklung genau verfolgen zu können, werde man dafür in Österreich ein "umfassendes Kontrollsystem etablieren", sagte der Minister. Alle Bundesländer sollen deshalb "schrittweise auf erweiterte PCR-Testungen umstellen", die auch bereits Mutationen untersuchen. Außerdem sollen Testungen in Kläranlagen stark ausgebaut werden. Und als dritten Schritt wolle man die Vollsequenzierungen auf 400 pro Woche ausdehnen.
Dazu kommen die Maßnahmen, die auch bei den infektiöseren Mutationen wirken. Die neue Verordnung mit der Lockdown-Verlängerung, die einen Mindestabstand von zwei Metern und FFP2-Pflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und im Handel vorsieht, soll planmäßig ab Montag gelten, sagte Anschober. „Der Babyelefant ist erwachsen geworden“, so Anschober. Die CoV-Schutzimpfung soll „konsequent und schnell ausgerollt“ werden, dabei sei man aber „zu 100 Prozent abhängig von Zulassungen“. Möglichst rasch sollen in den Alters- und Pflegeheimen die Bewohner auch die zweite Dosis erhalten. Das führe zu einem Schutz „vor allem gegen Todesfälle und schwere Erkrankungen“.
Mutation B.1.1.7 noch nicht in Österreich verbreitet
Die britische Mutation B.1.1.7 ist "noch nicht in der Breite angekommen", konstatierte Genomforscher Christoph Bock. Der leitender Forscher am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin, führt die Genom-Sequenzierung und Analyse für Genom Austria durch. Er erläuterte den Ablauf von Vollgenomsequenzierungen und betonte, dass diese vor allem für Fälle, die man sich noch nicht ganz erklären kann, sinnvoll sind. Wie oft die Mutationen vorkommen, dafür sind die Vollsequenzierungen "nicht das Mittel der Wahl".
Bock berichtete von "spannenden Ergebnissen" bei den Kläranlagenuntersuchungen. Die meisten Ergebnisse die bisher geprüft wurden seien negativ gewesen. Das lasse darauf schließen, dass B.1.1.7 noch nicht flächenmäßig ausgebreitet sei, aber es gäbe einzelne Cluster. In der kommenden Woche könne man mit den Kläranlagenproben etwa 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung abdecken. Dadurch könne man sich vorbereiten. Damit, den Abstrichen und Sequenzierungen könne man "ein Stück weit auch nach vorne blicken, wir sehen neue Varianten", sagte Bock. Auch er betonte, dass "die englische Variante sicher nicht die letzte sein wird, die auf uns zukommt".
Abwasser-Analyse
Die Analyse der Abwasserproben sei "ein sehr herausfordernder Prozess", vergleichbar mit der Suche "nach Nadeln in einem Waldstück". Einzelne Ausbruchsgeschehen - wie etwa in Salzburg - lassen sich hier gut absehen. Dort hab es in zwei Kläranlagen auffällige Befunde gegeben. Infektiologe Greil vom Uniklinikum Salzburg ging im Detail auf die Lage in seinem Bundesland ein. Dort gab es insbesondere zwischen 21. Dezember und 4. Jänner einen enormen Anstieg der Fallzahlen, die Sieben-Tages-Inzidenz stieg auf 360. Besonders im Lungau und Tennengau seien die Ansteckungsraten hoch. Ende Dezember habe man die ersten B.1.1.7-Fälle in Salzburg festgestellt. Auch hier seien Abwasserproben geprüft worden. In den Proben beim Reinhalteverband Salzach-Pongau vom 27. Dezember wurde in 16 Prozent der positiven Proben die Mutation nachgewiesen. Am 3. Jänner waren es bereits 54 Prozent.
Als unmittelbare Maßnahme habe man 14 fixe Teststationen etabliert, dazu gibt es zwei mobile Testteams, erläuterte Greil. Doch die "Akzeptanz der Testung erreicht nicht das Ausmaß, um das Geschehen adequat kontrollieren zu können", kritisierte der Infektionologe. Auch er forderte weitere Studien zu den Mutationen. Auch die Thematik der Reinfektionen sei wichtig. Ohne Sequenzierungen können man nämlich bei positiv Getesteten gar nicht feststellen ob sie zum ersten oder zweiten Mal infiziert sind. Deshalb werde man in Zukunft auch öfter sequenzieren.
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